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Warnstreik der Beschäftigten des hessischen Einzelhandels: „Wir sind jeden Cent wert“

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Von: Kathrin Rosendorff

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Der Streik an der Hauptwache in Frankfurt am Freitag ist deutlich und laut.
Der Streik an der Hauptwache in Frankfurt am Freitag ist deutlich und laut. © Monika Müller

Knapp 600 Menschen demonstrieren in Frankfurt bei Warnstreik im Einzelhandel. Die Beschäftigten sagen, dass sie wegen der Inflation kaum noch ihr Leben noch bestreiten könnten.

Frankfurt - Der Streik der Beschäftigten des Einzelhandels für mehr Lohn an der Frankfurter Hauptwache ist am Freitagmittag unüberhörbar: Der Sound der roten Trillerpfeifen ist ohrenbetäubend, als gefühlt alle 550 Demonstrierende – so viel zählt die Polizei an der Spitze – in ihren gelben Schutzwesten reinpusten. Die Sambaband auf der Bühne singt: „Stand up, don’t give up the fight“.

Mittendrin steht ein 42-Jähriger, der bei Ikea in Hofheim arbeitet. Er hält ein Schild hoch, auf dem steht: „Damit wir wieder gern bedienen, müssen wir viel mehr verdienen.“ Er und viele seiner Kolleg:innen sind in einem Reisebus angereist, weil das Geld am Ende des Monats nicht mehr ausreiche: „Durch die Inflation ist alles teurer geworden: Strom, Fahrkarte, Lebensmittel. Ich bin alleinerziehender Vater einer Tochter und verdiene 1500 bis 1700 Euro netto für 120 Stunden Arbeit. Ich gehe nur noch einkaufen, wenn ich einkaufen gehen muss.“ Er betont: „Es wird nicht der letzte Streik sein“.

Streik in Hessen: erhöhter Mindestlohn für rund 235 000 Beschäftigte

Laut Verdi sind Menschen hier, die bei Esprit, Frankfurt Airport Retail, Galeria Karstadt Kaufhof, H&M, Ikea, Kaufland, Parfümerie Douglas, Primark, Rewe/Penny, TK Maxx und Zara arbeiten. Wegen des Tarifkonflikts des hessischen Einzelhandels hatte die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten zu Warnstreiks aufgerufen. In Kassel hatten sich am Morgen etwa 100 Gewerkschafter:innen am Möbelhaus Ikea versammelt. Die Gewerkschaft verlangt für die rund 235 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen um 2,50 Euro erhöhten Stundenlohn. Das würde in der am weitesten verbreiteten Ecklohngruppe einer Erhöhung um 14,4 Prozent entsprechen. Die Auszubildenden sollen monatlich 250 Euro mehr bekommen.

Die Arbeitgeber haben bislang fünf Prozent mehr Lohn auf zwei Jahre und Einmalzahlungen von 1000 Euro angeboten. Die Verhandlungen sollen am 24. Mai fortgesetzt werden. In der laufenden Woche hatten die Arbeitgeber in Baden-Württemberg eine weitere Erhöhung zum Ende der Laufzeit von 24 Monaten ins Spiel gebracht. Es wird damit gerechnet, dass das Gesamtvolumen von 7,5 Prozent auch in Hessen auf den Tisch kommt. Das sei aber nichts, was den Menschen in der jetzigen schwierigen Situation helfe, betonte der Verdi-Landesfachbereichsleiter Handel, Marcel Schäuble.

Streik im Einzelhandel in Hessen: „Douglas in den Tarifvertrag“

Eine Frau hält bei der Kundgebung in Frankfurt ein Schild hoch: „Douglas in den Tarifvertrag.“ Eine 40-jährige Beautyberaterin, die seit 20 Jahren bei Douglas arbeitet, sagt, sie sei zwar im Tarif: „Aber wäre ich nicht verheiratet, könnte ich als alleinerziehende Mutter einer Tochter von meinem Gehalt nicht leben. Mit Abzug der Miete hätte ich 150 Euro zum Leben. Das ist doch sehr traurig.“ Ihre knapp 20 Jahre jüngeren Kolleg:innen erzählen, dass sie trotz Ausbildung zur Visagistin entweder zwei Jobs hätten oder noch bei den Eltern lebten, weil sie vom Mindestlohn sonst nicht leben könnten.

Auf der Bühne ruft ein Amazon-Mitarbeiter: „Wir sind jeden Cent wert, keinen Cent weniger.“ Es folgt eine Trillerpfeifen-Zustimmung aus der Menge. Natalie Jopen, die stellvertretende Landesbezirksleiterin von Verdi Hessen betont: „Es ist auch ein Kampf gegen Altersarmut. Besonders Altersarmut bei Frauen, denn 66 Prozent im Einzelhandel sind Frauen.“ Ein 56-jähriger Lagerarbeiter sagt, er habe seit zwölf Jahren keine Lohnerhöhung mehr erhalten. Er habe das Gefühl, dass sie „die alten Mitarbeiter“ loswerden wollten. Es gehe ihm beim Streik nicht nur um mehr Geld. „Die Wertschätzung für unsere Arbeit ist verloren gegangen.“ Die Beauty-Expertin sieht es ähnlich. Sie sagt: „Wir machen den Umsatz. Mit unserer Beratung bereiten wir den Kunden ein tolles Kauferlebnis. Das wird gern vergessen.“ (Kathrin Rosendorff mit dpa)

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