Wahlprüfstein Migration und Diversität: Die Vielfalt wird nicht genug abgebildet
Menschen aus 180 Nationen leben in der Stadt. Die Integration gelingt dabei sehr unterschiedlich. Ein großes Problem ist die Ausländerbehörde.
Rund 512.000 Frankfurterinnen und Frankfurter sind am 5. März zur Wahl eines neuen Oberbürgermeisters oder einer neuen Oberbürgermeisterin aufgerufen. Knapp 123.000 Einwohner:innen über 18 Jahre können nicht an der Wahl teilnehmen, weil sie keinen deutschen oder keinen europäischen Pass haben. Und das obwohl sie teilweise seit mehr als 60 Jahren in Deutschland leben.
Die Frankfurter Politik rühmt sich gerne damit, dass Menschen aus rund 180 Nationen in dieser Stadt leben. Doch wie werden die Menschen in Frankfurt empfangen und integriert?

Ein Dauerproblem ist dabei die Frankfurter Ausländerbehörde. Durch die deutlich gestiegene Zahl von Ausländer:innen seit dem Jahr 2015 und sich ständig ändernde Gesetzgebungen ist der Job sehr anspruchsvoll. Die Behörde kann Stellen nicht besetzen und es gibt viele Langzeitkranke. 15.000 E-Mail-Anfragen sind unbeantwortet. Die Terminvergabe dauert teils Monate.
Wahlprüfsteine
Welche Themen entscheiden die OB-Wahl am 5. März? Wir stellen die Herausforderungen und die Herangehensweise der Kandidat:innen zu acht Politikfeldern vor.
- Wahlprüfstein Klima - wer kann das in Frankfurt?
- Wahlprüfstein Verkehr - Frankfurt muss sich neu erfinden
- Wahlprüfstein Sicherheit - und deren Grenzen in Frankfurt
- Wahlprüfstein Migration/Diversität - Vielfalt kaum abgebildet
- Wahlprüfstein Wohnen: Angst vor der Verdrängung
- Wahlprüfstein Bildung: zu langsam beim Schulbau
- Wahlprüfstein Kultur - vor der Spardebatte
- Wahlprüfstein Soziales - Hilferuf der Jugendarbeit
Im Frühjahr sollen Anträge nun online eingereicht werden können. Informationen auf der Website in anderen Sprachen sind nur sehr spärlich vorhanden. Viele Menschen fühlen sich auch schlecht behandelt, klagen über Rassismus.
Ein junger Mann aus Afghanistan berichtete kürzlich im Diversitätsausschuss, dass von ihm ein Reisepass verlangt wurde, obwohl die Konsulate seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 keine mehr ausstellen. Dann wurde ein elektronischer Tazkira (Ausweis) von ihm verlangt, den es gar nicht gibt. Letztlich wurde der Fall durch Einsatz von Politiker:innen geklärt.
Doch was ist mit den vielen anderen Menschen, die keine Unterstützung haben? Die Römer-Koalition will ein Gesamtkonzept mit Willkommenszentrum vorlegen. Das lässt jedoch seit Monaten auf sich warten.
Bei der Kommunalen Ausländerinnen- und Ausländervertretung (KAV) ist die Behörde seit Jahren das Thema Nummer eins. Doch die meisten Anträge der KAV werden abgelehnt. Ohnehin stellt sich immer öfter die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Gremiums, das mehr mit sich selbst als mit den Themen der ausländischen Bürgerinnen und Bürger beschäftigt ist. Zumal selbst bei der zusammengelegten Wahl mit der Stadtverordnetenwahl nur zwölf Prozent an die Urne gingen. Das kommunale Wahlrecht für alle kann jedoch nur vom Bund beschlossen werden.
OB-Wahl in Frankfurt
FR-Online-Dossier: Wer wird Oberbürgermeister oder Oberbürgermeisterin von Frankfurt? Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden am 5. März. Stichwahl-Termin wäre der 26. März. Die FR bündelt ihre Berichterstattung mit Analysen, Porträts und aktuellen Nachrichten in einem Online-Dossier.
Mit dem exklusiven FR-Wahlhelfer können Sie einfach und interaktiv herausfinden, welche:r Kandidat:in Ihnen inhaltlich nahe steht. 25 Thesen hat die FR-Redaktion ausgesucht - die Sie selbst gewichten können.
FR-Stadtgespräch zum Nachschauen: Am Mittwoch, 8. Februar, stellten sich den Fragen des FR-Römerteams die Kandidat:innen Manuela Rottmann, Uwe Becker, Mike Josef, Daniela Mehler-Würzbach und Yanki Pürsün. Die Diskussionsrunde lässt sich im Video nachsehen.
OB-Talks: Mit dem Medienmanager Bernd Reisig (Stiftung „Helfen helfen“) lud die FR vier Kandidat:innen zu Einzelgesprächen ins SAE Institute: Uwe Becker (CDU), Manuela Rottmann (Grüne), Mike Josef (SPD) und - als Ergebnis einer Lerser:innen-Abstimmung - der Kandidat der „Partei“, Prof. Dr. Dr. Bembel, vertreten durch Katharina Tanczos. Die vier Abende im Video zum Nachschauen.
Frankfurt hat seit 2021 zum ersten Mal überhaupt zwei Frauen mit Migrationsgeschichte in wichtigen repräsentativen Ämtern. Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) ist in jungen Jahren aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner hat türkische Wurzeln. In Frankfurt haben mehr als 50 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Trotzdem wird in der Stadtverordnetenversammlung nicht die gesamte Gesellschaft abgebildet. Noch geringer ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Stadtverwaltung.
Die Stadt Frankfurt hat sich zum Ziel gesetzt, diskriminierungsfrei zu werden. Dafür wurde im September eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet. Zudem gibt es eine Ombudsstelle, die im Amt für multikulturelle Angelegenheiten untergebracht ist und über konkrete Beschwerden über Diskriminierung berät. Es geht darum, für alle Formen des Rassismus zu sensibilisieren. Ob Antiziganismus, Antisemitismus, antischwarzer Rassismus, etwa durch racial profiling oder Queerfeindlichkeit.
Im vergangenen Jahr gab es mehrere queerfeindliche Angriffe in der Frankfurter Innenstadt. In der Folge gab es mehrere Gespräche zwischen Politik, Polizei, aber auch den Betroffenen. Die Römer-Koalition hat mit einem Antrag reagiert, der sich vor allem um die Prävention bemühen soll. Wie das Ganze mit Leben gefüllt wird, um für mehr Toleranz und Akzeptanz zu sorgen, bleibt abzuwarten.
Ein Ansatzpunkt ist dabei die Bildung. Die spielt natürlich auch eine ganz große Rolle bei vielen anderen Themen. Wie etwa der Integration geflüchteter Menschen und da insbesondere der Spracherwerb. Die Coronavirus-Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen hat die Situation vieler Menschen verschlimmert.
Sprachkurse mussten reduziert werden, weil sie nicht in Präsenz stattfinden konnten. Gleichzeitig fehlten vielen Menschen die technischen Möglichkeiten, um an Onlinekursen teilzunehmen, weil beispielsweise der einzige Laptop von einem Kind für den Distanzunterricht benutzt wurde. Bildungsvereine, Volkshochschule und weitere Initiativen sind seit einigen Monaten dabei, das Programm wieder hochzufahren.
Gleichzeitig müssen auch Sprachkurse für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer angeboten werden. Seit dem russischen Angriffskrieg sind rund 11 000 Menschen nach Frankfurt geflohen. Hier hat die Stadt nach anfänglichen Schwierigkeiten schnell reagiert und im Zentrum Stadtraum eine sogenannte Clearingstelle eingerichtet. So konnten die Geflüchteten ihre nötigen Unterlagen dank der Erleichterungen vonseiten der Bundespolitik unkompliziert erhalten. Darauf warten Menschen aus Syrien, Irak oder Eritrea bis heute vergeblich. Der Stadt sind jedoch die Hände gebunden.
Aktuell leben in Frankfurt rund 10 000 geflüchtete und wohnungslose Menschen in bis zu 120 Not- und Übergangsunterkünften der Stadt. Es fehlen Sozialwohnungen. Auch das behindert die Integration und die Chancengleichheit von Menschen.
DIE POSITIONEN DER KANDIDIERENDEN
Manuela Rottmann (Grüne)

Die Grünen-Kandidatin will sich als Oberbürgermeisterin mit anderen großen Städten auf der ganzen Welt als eine starke Stimme für Europa, für die Freiheit von Medien, Kunst und Kultur, Toleranz, Menschenrechte und die Gleichstellung aller Geschlechter einsetzen. Für Rottmann machen unterschiedliche Erfahrungen, Kulturen und Lebenswege, verbunden in einer gemeinsamen Stadtkultur, Frankfurt aus. Die gelebte Frankfurter Vielfalt will sie bewahren und gezielt denjenigen helfen, die besondere Unterstützung brauchen. Der Grünen-Politikerin ist wichtig, dass vor allem ausreichende Mittel für die Verhinderung sozialer Notlagen da sind, bevor sie entstehen. Die Stärkung der Selbstbestimmung und der eigenen Potenziale der Menschen sollen im Mittelpunkt stehen.
Yanki Pürsün (FDP)

Der FDP-Kandidat kommt aus einem Elternhaus, wo der ständige Einsatz für Integration und Aufstieg gelebt wurde. Als Landtagsabgeordneter ist er integrationspolitischer Sprecher seiner Partei und fordert mehr Engagement beim Ausbau der Beratung für Geflüchtete und Geduldete durch ein Landesprogramm und die bessere Anerkennung ausländischer Berufe und Abschlüsse durch eine zentrale Ausländerbehörde. Pürsün setzt sich für bessere Zustände in der Frankfurter Ausländerbehörde ein, die 15 000 unbeantwortete E-Mails vor sich herschiebt. Außerdem hat er sich auf Landesebene auch für Türkisch und Griechisch als Fremdsprachen starkgemacht.
Daniela Mehler-Würzbach (Linke)

Die Kandidatin der Linken sieht Frankfurt als international, vielfältig und bunt an. Rechte Organisationen und Parteien würden immer wieder versuchen, die Ängste der Menschen auszunutzen und ihre Bedürfnisse gegeneinanderzustellen. Dabei würden sie von rechten Strukturen in der Polizei und den Behörden geschützt. Gemeinsam mit antifaschistischen Bündnissen will sich Mehler-Würzbach gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit und gegen Hass, Hetze und Diskriminierung einsetzen.
Sie will migrantische, feministische, queere und antifaschistische Organisationen stärken sowie antirassistische Bildungsarbeit von Initiativen für Demokratie und Menschenrechte und von Bündnissen gegen Rechts unterstützen. Sie fordert ein kommunales Wahlrecht für alle und dass Frankfurt als sicherer Hafen nicht nur eine Floskel ist.
Uwe Becker (CDU)

Der CDU-Kandidat betont bei jeder Gelegenheit, dass er der Kandidat für alle Frankfurterinnen und Frankfurter sein wolle und die Sorgen aller Menschen ernst nehmen werde. Beim kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger ist Becker zurückhaltend. Er findet aber, dass die deutsche Staatsbürgerschaft für Menschen, die seit 30 oder 40 Jahren hier lebten, nicht an einem schwierigen Deutschtest scheitern sollte. Bei der dritten oder vierten Generation solle man nicht mehr von Migrationshintergrund sprechen, findet Becker.
Mike Josef (SPD)

Der SPD-Kandidat spricht gerne von der Frankfurter Mischung, die die Stadt für ihn so besonders macht. Er setzt sich für das kommunale Wahlrecht für alle Frankfurterinnen und Frankfurter ein. Wer hier lebe, Steuern zahle, seine Kinder großziehe, habe ein Recht darauf auch mitzuentscheiden, wer Frankfurt regiert. Josef findet, dass es mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Stadtverwaltung brauche – auch in Leitungsfunktionen. Er sei stolz darauf, dass Frankfurt sich der Initiative Sicherer Hafen angeschlossen habe. Als Oberbürgermeister möchte er einen engen Austausch mit den Partnerstädten pflegen. tim