Unfallklinik Frankfurt: Zusammen spielen auf Augenhöhe

Behinderte und nicht behinderte Kinder trainieren zusammen in der BGU in Frankfurt - der inklusive Spielenachmittag macht manche junge Besucherin nachdenklich
Theo tankt sich durch. Der 13-Jährige hat noch nicht genug, will den Parcours, der in der kleinen Turnhalle im Untergeschoss der BG-Unfallklinik Frankfurt aufgebaut ist, gleich noch einmal absolvieren. Mit seinem Rollstuhl schiebt er sich an denen vorbei, die mit ihren Gefährten seinen Weg blockieren, bleibt kurz hängen und wird zurechtgewiesen. „Achtung, darf ich einmal durch“, heiße das, wenn man mehr Platz brauche für sich und sein Hilfsmittel.
Theo ist nicht darauf angewiesen, kann als gesunder Fußgänger jederzeit aufstehen, wenn er nicht mehr sitzen will. Die nur wenige Zentimeter hohen Schwellen, die auf der künstlich angelegten Strecke den vorgegebenen Weg pflastern, würde er so mühelos überwinden. Für ungeübte Rollstuhlfahrer:innen können sie jedoch zu immens hohen Hindernissen anwachsen.
Die Jungen und Mädchen aus dem Kindergottesdienst der evangelischen Kirchengemeinde Neureut-Nord, die an diesem Samstag mit dem Bus nach Frankfurt gekommen sind, bekommen das am eigenen Leib zu spüren. Den Vormittag verbrachten sie im Zoo, wo sie versuchen mussten, auf unebenem Terrain mit ihren Rollstühlen zurechtzukommen; danach besuchten sie die Kinder- und Jugendgruppe des Rollstuhl-Sport-Clubs (RSC) Frankfurt bei ihrem Training in der Klinik und übten und spielten mit diesen zusammen.
„Niemand sah das Kind“
Seit 2007 besteht die Kooperation. Torsten Guldenschuh, Prälat der Karlsruher Kirche, hatte die Idee dazu gehabt. Mit einem Jungen, der Orthesen trug, wollte damals niemand spielen. „Jeder starrte nur auf diese, niemand sah das Kind.“ Um solche Barrieren abzubauen, schaute Guldenschuh sich nach Partnern für ein inklusives Treffen um.
Die stellvertretende RSC-Vorsitzende Andrea Schlicker freute sich über die Anfrage. Dass Übungsleiter des Vereins mit Rollstühlen Schulen besuchen, komme öfter vor. Das Projekt, bei dem Kinder mit und ohne Handicap zusammentreffen, sei aber bislang das einzige in dieser Art.
Etwa alle zwei Jahre treffen sich die Gruppen. Sanitätsvereine stellen der Gemeinde die Rollstühle zur Verfügung, die BGU spendet ein Mittagessen. 25 Euro kostet die Fahrt für die Karlsruher, den Rest decken Spenden ab. „Wir wollen es jedem Kind ermöglichen mitzukommen“, sagt Guldenschuh. „So etwas bekommen sie sonst nirgendwo.“
Lars Freisem bestätigt das. Der 30 Jahre alte Übungsleiter, der wegen Sauerstoffmangels bei seiner Geburt im Rollstuhl sitzt und das Projekt seit seiner Jugend kennt, betont, dass es im Alltag weiterhin zwei Lebenswelten gebe. In der Behindertenwerkstatt etwa, in der er arbeite, „sind wir Klienten“, und man begegne sich nicht auf Augenhöhe. Das sei an diesem besonderen Tag anders. Die Gäste „erleben eine andere Perspektive“, schon weil sie sitzen. Sie müssten sehen, wie sie Türen öffnen oder Teller transportieren. Das sensibilisiere die Kinder für die Probleme der Rollstuhlfahrer:innen im Alltag.
Zudem lernten sie, dass Bekanntes alle zusammen spielen können, wenn man es abwandle. So ging es bei einer „Reise nach Jerusalem“ nicht darum, sich auf einem freien Stuhl, sondern mit seinem Rollstuhl neben einem freien Hütchen zu platzieren.
„Ich habe Riesenrespekt davor, wie die alle hier ihren Alltag meistern“, resümierte die elfjährige Frieda aus der Kirchengruppe. Freundin Marlene ergänzte: „Das hat sehr viel Spaß gemacht, war aber auch anstrengend.“ Ihre Hände waren rot vom Antreiben der Räder, „man musste aufpassen, dass die Finger nicht in die Speichen kommen“. Eine Nachbesprechung hält Guldenschuh nicht für nötig. Dass die Erfahrungen Spuren hinterlassen, merke er stets auf der Rückfahrt. Nach dem fröhlichen Gequatsche am Morgen „ist es da immer ganz still“.