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Frankfurts Generalkonsul Kostiuk: „Die Ukraine verteidigt die Idee der Freiheit und Demokratie“

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Von: Timur Tinç

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Der ukrainische Generalkonsul in Frankfurt, Vadym Kostiuk, über Diplomatie in Zeiten von Krieg, warum er Positionen des ehemaligen Botschafters Andrej Melnyk teilt und was ihm Hoffnung macht.

Herr Kostiuk, vor einem Jahr wurde Ihr Land von Russland angegriffen. Wie haben Sie diesen 24. Februar 2022 erlebt?

Ich habe in der Früh einen Anruf von einem meiner Kollegen aus dem Konsulat bekommen. In unserer Whatsapp-Gruppe habe ich das Kollegium ins Konsulat um 7.30 Uhr bestellt. Wir haben Kontakt mit der Botschaft aufgenommen und uns koordiniert. Am gleichen Tag wurde ich vom damaligen Ministerpräsidenten Volker Bouffier angerufen und in die Staatskanzlei und den Landtag eingeladen und durfte dort auch sprechen.

Was ist Ihnen aus dieser Anfangszeit besonders in Erinnerung geblieben?

Es war eine sehr emotionsgeladene Zeit. Es war wie in einem schlechten Alptraum. Wir haben unsere Verwandten in der Ukraine kontaktiert. Wir haben nie darüber nachgedacht, was wir spüren, sondern was wir tun müssen.

Welche Aufgaben hatten Sie als Konsulat?

Wir mussten uns unter anderem um Ukrainer kümmern, die gerade im Urlaub waren und nicht mehr in das Land zurückfliegen konnten. Da waren wir oft in der Nacht unterwegs, um die Menschen in die Unterkünfte oder Hotels zu bringen. Wir haben auf Automatismus umgestellt.

Die Teilnehmer knien bei einer Schweigeminute für die Opfer des Krieges in der Ukraine auf dem Römerberg nieder. Mehrere tausend Menschen erinnern bei einer Kundgebung in der Innenstadt von Frankfurt an den Beginn der russischen Invasion in der Ukraine.
Die Teilnehmer knien bei einer Schweigeminute für die Opfer des Krieges in der Ukraine auf dem Römerberg nieder. © Boris Roessler/dpa

Frankfurts Generalkonsul Vadym Kostiuk über die Chancen der Diplomatie

Sie sind als Generalkonsulat in Frankfurt für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland zuständig. Wie hat der Krieg ihre Arbeit im Konsulat verändert?

Vor dem Februar waren wir für rund 13.000 ukrainische Staatsbürger zuständig und dafür wurde das Konsulat auch ausgelegt. Mittlerweile sind es fast 200.000. Die Belastung ist ums Mehrfache gestiegen. Wir haben die ersten vier Monate jeden Tag gearbeitet, manchmal bis in die Nacht. Wir beschweren uns nicht. Unsere Landsleute in der Ukraine müssen viel mehr leiden. Wir müssen das tun, was primär das Leben der Menschen in der Ukraine erleichtert.

Der ehemalige Botschafter in Berlin, Andrej Melnyk, hat in seiner Zeit oft mit sehr klaren und harten Aussagen von sich Reden gemacht. Wie definieren Sie Ihre Rolle als Diplomat?

Es gibt Friedensdiplomatie und es gibt Kriegsdiplomatie. Unsere Aufgabe ist, die Beziehung zwischen Ländern aufrechtzuerhalten und auch das Land, wo wir die Ukraine repräsentieren, dazu zu bringen, dass sie nicht nur unsere Position, sondern auch Situation verstehen. Oft sieht man in Gesprächen mit einfachen Menschen, Politikern und der Presse, dass es nicht wirklich wahrgenommen wird, was eigentlich bei uns im Land passiert und warum.

Wie meinen Sie das?

Was wir nicht verstehen können, ist der hiesige Gedanke, dass der Krieg irgendwo sehr weit weg passiert und man in Deutschland nicht betroffen ist. In der Tat sehen wir aber, dass andere Länder in Europa von diesem Krieg unmittelbar betroffen sind. Wir verstehen nicht, wieso der Krieg als Ukraine-Krieg bezeichnet wird. Für Menschen, die sich nicht für Politik interessieren, klingt das so, als ob die Ukraine Schuld an diesem Krieg hat. Ich verstehe da die Position von Melnyk. Seine Aufgabe war, die Menschen und Politiker wachzurütteln, damit man versteht, dass die rosige Zeit in der Komfortzone schon zu Ende ist und man sich umstellen muss. Da muss man auch mal lauter werden. Das hängt von der Mentalität des Menschen ab. Die Signale, die wir als Botschafter und Konsule senden, sind aber gleich.

Welche Signale sind das?

Die Ukraine verteidigt nicht nur sich, sondern die Idee der Freiheit, der Demokratie und die Rechte auf die Souveränität eines einzelnen Landes. Das ist unsere Hauptaufgabe auf politischer Ebene.

Russland hat uns nicht angegriffen, um ein Stück des Territoriums zu bekommen, sondern um das ukrainische Volk zu vernichten.

Vadym Kostiuk

Vadym Kostiuk, Netrebko und die Kunstfreiheit

In Frankfurt gab es mehrere Demonstrationen von Putin-Fans. In Wiesbaden soll Anna Netrebko auftreten. Können Sie nachvollziehen, wenn dort auf die Versammlungs- und Kunstfreiheit verwiesen wird?

Das kann ich nicht verstehen. Die russische Kultur ist das Gesicht vom heutigen Russland und man darf nicht zwischen Kultur und Politik unterscheiden. Die meisten russischen Künstler sind sehr kremlnah. Wie kann es also sein, dass bei den Maifestspielen, wo deklariert wird, solidarisch mit der Ukraine zu sein, die Vertraute von Putin hier auftreten soll? Die ukrainischen Künstler haben angekündigt, nicht mit Anna Netrebko aufzutreten. Dann wurde versucht, Ersatz für sie zu finden mit Pussy Riot. Die haben dann auch abgesagt. Der Intendant Laufenberg spricht über Meinungsfreiheit, warum werden dann gleichzeitig pro-ukrainische Kommentare auf der Facebook-Seite gelöscht? Die Wiesbadener Kommunalpolitik hat auch ihre kritische Position zu Netrebko-Einladung ausgesprochen. Der Ministerpräsident Boris Rhein hat die Schirmherrschaft des Festivals zurückgezogen.

Es gibt verschiedene Friedensorganisationen und Politiker, die die Bundesregierung auffordern, keine Waffen an Ihr Land zu schicken. Ärgern Sie solche Aussagen?

Russland hat uns nicht angegriffen, um ein Stück des Territoriums zu bekommen, sondern um das ukrainische Volk zu vernichten. Nicht sehr klug ist der, der glaubt, wenn ein Friedensabkommen erreicht wird, dass dann Ruhe einkehrt.

Warum nicht?

Es wird eine Pause geben, die von Russland genutzt wird, um nach ein, zwei Jahren unser Land wieder anzugreifen. Das verstehen vor allem unsere westlichen Nachbarländer wie Polen oder die baltischen Staaten. Die kennen die Mentalität von Moskau seit Jahrhunderten. Wir glauben kein Wort, das gesagt wird und keinem Vertrag, der unterschrieben wird. Das haben wir anhand des Budapester Memorandums und des Minsker Abkommens gesehen.

Der ukrainische Generalkonsul in Frankfurt, Vadym Kostiuk.
Der ukrainische Generalkonsul in Frankfurt, Vadym Kostiuk. © Monika Müller

Zur Person

Vadym Kostiuk ist ukrainischer Generalkonsul in Frankfurt. Das Konsulat ist zuständig für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Der 48-Jährige ist im Südwesten der Ukraine, in Kamjanez-Podilskyj, geboren. Er hat an der Linguistischen Universität in Kiew Germanistik studiert. In den diplomatischen Dienst trat er bereits im Alter von 22 Jahren. Unter anderem war Kostiuk von 2012 bis 2017 Generalkonsul in München. (tim)

Was Kostiuk nach einem Jahr Ukraine-Krieg Mut macht

Was macht Ihnen nach einem Jahr Krieg besonders Mut?

Vor einem Jahr haben die meisten westlichen Länder gedacht, die Ukraine wird diesen Angriff nicht überstehen. Geplant war ein Blitzkrieg, der dank des Muts der Ukrainer nicht zustande gekommen ist. Während wir mit unseren westlichen Partnern anfangs über 5000 Helme gestritten haben, geht es jetzt um Hunderte Panzer. Auch der Besuch vom US-Präsidenten Joe Biden hat gezeigt, dass die Ukraine immer mehr Unterstützung bekommt. Je schneller wir die Sachen bekommen, desto schneller können wir die russische Armee von unserem Territorium vertreiben.

Sie sind viel in Hessen unterwegs. Wie erleben Sie ihre ukrainischen Landsleute, die versuchen, mit ihren Familien hier Fuß zu fassen?

Alle sind stark traumatisiert. Sie haben Raketen über den Kopf fliegen gesehen, sie haben Bekannte, Verwandte oder Nachbarn verloren. Sie mussten ihre Familien in der Ukraine lassen und in ein fremdes Land fliehen. Die meisten haben in der Ukraine ziemlich gut gelebt und wollen, wenn der Krieg vorbei ist und die Städte wieder lebenswürdig sind, zurückkehren. Die Familien, die das planen, versuchen, dass ihre Kinder an den ukrainischen Online-Unterrichtsstunden teilnehmen. Nach unserem Sieg werden diese Familien dazu beitragen, dass Ukrainer und Bürger der Europäischen Union sich besser kennenlernen. Das wird auch unterstützend sein für den zukünftigen Beitritt der EU.

Interview: Timur Tinç

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