Jutta Ditfurth: „Ukrainer hinderten sie mit Gewalt daran, in Züge zu steigen“
Die Frankfurter Stadtverordnete Jutta Ditfurth spricht im FR-Interview über ihre Erwartungen an die Stadtregierung und strukturellen Rassismus gegen Geflüchtete ohne ukrainischen Pass.
Frankfurt - Es sollte eine nette Geste sein, sorgte aber zunächst für Irritationen: Geflüchtete aus der Ukraine hätten fortan freien Eintritt in die städtischen Museen und andere Einrichtungen, teilte die Stadt Frankfurt am Mittwochmittag mit. Nach scharfen Protesten von Politiker:innen wie der Stadtverordneten Jutta Ditfurth (Ökolinx) stellte die Stadt klar, dass das Angebot für sämtliche geflüchtete Menschen gelte.
Frau Ditfurth, Sie kritisieren schon länger, dass viele Geflüchtete weitaus schlechter behandelt würden als Ukrainerinnen und Ukrainer, die jetzt kommen. War die erste Meldung der Stadt, wonach das Angebot nur für Menschen aus der Ukraine gelten sollte, ein Beispiel dafür?
Es war zumindest unsensibel. Aber der strukturelle Rassismus setzte schon in der Ukraine ein. Zehntausende Studierende aus Nigeria, Kenia und anderen afrikanischen Staaten hatten große Schwierigkeiten, das Land zu verlassen. Ukrainer hinderten sie mit Gewalt daran, in Züge zu steigen und verjagten sie an der Grenze aus Warteschlangen. Sie mussten tagelang in der Kälte auf der Straße ausharren. Und in Deutschland setzt sich dieser strukturelle Rassismus dann fort.

Ukraine-Krieg: „Weiße, christliche Ukrainer:innen können in Europa hingehen, wohin sie wollen“
Inwiefern?
Schwarze Studierende von ukrainischen Universitäten, die keinen ukrainischen Pass haben, wurden in Frankfurt in die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen geschickt. Weiße, christliche Ukrainerinnen und Ukrainer können in EU-Europa hingehen, wohin sie wollen. In Frankfurt kommen sie bei Angehörigen unter, oder sie werden von der Stadt betreut. Sie bekommen eine Krankenversicherung, Kita-Plätze und eine Arbeitserlaubnis. Das ist prima! Aber es müsste für alle Geflüchteten gelten.
Viele dieser Erleichterungen hängen damit zusammen, dass die EU erstmals die sogenannte Massenzustromsrichtlinie in Kraft gesetzt hat.
Die Richtlinie 2001/55/EG wurde nicht gezückt, als 2015 Hunderttausende Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan kamen. Erst mussten weiße, christliche Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kommen. Aber bei dem jahrhundertealten antislawischen Rassismus, den es in Deutschland leider auch gibt, kann die Stimmung noch kippen, falls der Ukraine-Krieg länger dauert. Er richtet sich jetzt schon gegen Russen.
Zur Person:
Jutta Ditfurth sitzt seit 20 Jahren – mit einer kurzen Unterbrechung – für Ökolinx im Frankfurter Stadtparlament. Die 70 Jahre alte Autorin und Soziologin zählte zu den Gründer:innen der Grünen, die sie 1991 im Streit über die Ausrichtung der Partei verließ.
Ukraine-Krieg: Jutta Ditfurth über Rassismus und Willkommenskultur
2015 gab es eine große Willkommenskultur in Deutschland. Welche Unterschiede sehen Sie zur jetzigen Situation?
Rückblickend hatte ich den Eindruck, dass viele Deutsche selbst überrascht waren, dass sie eine „Willkommenskultur“ besaßen. Aber nach sechs Monaten etwa kam der Rassismus in voller Härte zurück.
Droht sich dieses Szenario zu wiederholen?
Ich finde ja, Elke Voitl macht als Sozialdezernentin gute Arbeit. Aber offenbar rechnen in der Stadtpolitik viele damit, dass der Krieg bald vorbei ist und die Geflüchteten in die Ukraine zurückkehren. Ich vermute aber, Putin wird das Ende des Krieges hinausziehen, weil er sich bessere Ausgangsbedingungen für die Zeit danach verspricht. Falls der Krieg andauert, wenn noch mehr männliche Angehörige der geflüchteten Frauen sterben, wenn ihre Häuser und Krankenhäuser zerbombt sind, dann werden vielleicht viele bleiben. Wie groß wird dann die Hilfsbereitschaft hier sein? Die Stadt Frankfurt muss sich darauf vorbereiten. (Interview: Georg Leppert)
Jutta Ditfurth über den Ukraine-Krieg als „willkommene Ausrede für die Aufrüstung der Bundeswehr“.