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Städtetag will Millionen vom Land Hessen für die Lebensmittelkontrolle

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Lebensmittelkontrolleur bei der Arbeit.
Lebensmittelkontrolleur bei der Arbeit. © Uwe Anspach/dpa/Symbolbild

Die Lebensmittelüberwachung in Hessen ist unterfinanziert – nun streiten die Kommunen und das Land Hessen über das Geld.

Wenn am kommenden Mittwoch Präsidium und Hauptausschuss des Hessischen Städtetages in Darmstadt tagen, dürfte sich der Streit um die Finanzierung der Lebensmittelüberwachung weiter zuspitzen. Die kreisfreien Städte sehen sich von Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) im Stich gelassen – und bereiten eine Millionenforderung an das Land vor.

Der FR liegt der Entwurf einer Beschlussvorlage für die Gremien vor, erarbeitet in der Geschäftsstelle des Städtetages unter Federführung von Geschäftsführer Jürgen Dieter. Zentrale Forderung ans Land: das „entstandene und noch entstehende Defizit in vollem Umfang auszugleichen“. Für das Jahr 2022 betrage die Unterfinanzierung der städtischen Veterinärämter mehr als 5 Millionen Euro. Insgesamt weist das Dokument eine Forderung von knapp 22,8 Millionen Euro für sieben Jahre aus – allein für die fünf kreisfreien Städte.

Die Vorlage beruft sich auf Berechnungen des Landesrechnungshofs. Wie die FR im März exklusiv berichtete, hatte dieser die hessische Lebensmittelüberwachung umfassend geprüft und in einem 250 Seiten starken Bericht als „unzureichend“ eingestuft. Die kommunalen Ämter seien überlastet, zu wenige Betriebskontrollen und Probennahmen die Folge. Als im April bekanntwurde, dass die Produkte eines hygienisch mangelhaften Obst- und Gemüsebetriebs aus Südhessen mutmaßlich mehrere Listerien-Erkrankungen ausgelöst hatten, geriet zugleich der Landkreis Groß-Gerau als Kontrollbehörde in die Kritik: Er hatte das Unternehmen entgegen der Vorschriften zwei Jahre lang nicht mehr kontrolliert.

Dass Veterinärämter ihre Kontrollvorgaben verfehlen, ist seit Jahren bekannt. Während Ministerin Hinz von den Kommunen neue Stellen und eine bessere Aufgabenpriorisierung einfordert, klagen diese über zu wenig Geld vom Land. In seinem Beschlussentwurf wird der Städtetag nun konkret: Für die Veterinärämter der kreisfreien Städte habe der Rechnungshof die Unterfinanzierung im Zeitraum 2016 bis 2018 auf durchschnittlich gut 2,2 Millionen Euro pro Jahr beziffert, mit steigender Tendenz. Diese schrieb der Städtetag überschlagsweise einfach fort und errechnete so seine Gesamtforderung für die Jahre 2016 bis 2022.

Auch der Landkreistag will sich nach Informationen der FR mit der Geldfrage befassen. Sein Präsidium tagt einen Tag nach dem des Städtetages, am 30. Juni in Hofheim. Seit langem ist in den Kommunen viel von Unzufriedenheit die Rede: Einerseits mussten die Veterinärämter in den vergangenen Jahren aufgrund neuer EU- und bundesrechtlicher Vorgaben zusätzliche Aufgaben übernehmen, andererseits gab es dafür nicht mehr Geld vom Land.

Insgesamt hatte der Rechnungshof das Defizit aller kommunalen Veterinärämter in Hessen für die Jahre 2016 bis 2018 mit durchschnittlich 11,6 Millionen Euro angegeben. Nach dem Vorbild des Städtetages hochgerechnet, ergäbe sich daraus allein für 2022 ein Fehlbetrag von 30 Millionen Euro und ein Gesamtdefizit für den Zeitraum 2016 bis 2022 in Höhe von weit mehr als 120 Millionen Euro. Allerdings gibt es bislang keine allseits anerkannte Methode, um den Finanzbedarf der Ämter zu ermitteln. Fest steht, was ein Insider formuliert: „Es geht um viel Geld und Ärger.“

Sollten die Gremien des Städtetages den Entwurf beschließen, steht noch eine weitere brisante Forderung im Raum: Dann will er mit der Landesregierung darüber „verhandeln, die Veterinärverwaltung wieder komplett in die Landesverantwortung zu übernehmen“. Es wäre eine Rückabwicklung der Kommunalisierung von 2005.

In Deutschland sind die Bundesländer politisch dafür verantwortlich, EU-rechtliche und nationale Vorgaben an die Lebensmittelkontrollen zu erfüllen. Die meisten Kontrollaufgaben jedoch werden gegen Geld aus den Landeshaushalten an die Kommunen übertragen. Der Beschlussvorlage zufolge hatte das Präsidium des Hessischen Städtetages Ministerin Hinz bereits am 7. Januar 2020 zu Verhandlungen über eine Rücknahme der Kommunalisierung der Veterinärbehörden aufgefordert. Hinz’ Ministerium jedoch habe nichts dafür getan, „den Gesprächsfaden aufzunehmen“.

Wie groß die Frustration über die Landesebene ist, zeigt der Schlusssatz des vierseitigen Entwurfs: „Die Landesregierung muss ihre bequeme Rolle verlassen, ihre Landesaufgaben zulasten kommunaler Kassen durch die hessischen Städte erledigen zu lassen.“ (MARTIN RÜCKER)

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