Exklave im Stadtwald: Die kuriose Geschichte des Frankfurter Hauses

Frankfurter Merkwürdigkeiten: Das Frankfurter Haus ist gefühltes Neu-Isenburg - aber tatsächlich eine Exklave der Mainmetropole.
Frankfurt - Frankfurter und Frankfurterinnen haben traditionell nichts gegen Fremde. Einige ihrer besten Freunde sind Fremde. Aber wenn diese Fremden nicht von hier sind, dann ist der Frankfurter traditionell misstrauisch. Daran hat der Lauf der Jahrhunderte nichts geändert. Dieser dezenten Xenophobie verdankt Frankfurt seinen einzigen Außenposten jenseits des Stadtwalds: das Frankfurter Haus. Es steht völkerrechtlich – nomen est omen – auf Frankfurter Gemarkung, ist aber eindeutig gefühltes Neu-Isenburg.
Und das kam so: Ende des 17. Jahrhunderts widmete sich Johann Philipp von Isenburg-Offenbach mit Inbrunst der Umvolkung. Oder besser der Aufvolkung: Noch immer war der Landstrich durch die Verheerungen des Dreißigjährigen Kriegs personell verschlankt und da kam es dem Grafen gerade recht, dass Heerscharen von Hugenotten keine Lust verspürten, sich in Frankreich totschlagen zu lassen. In seiner Grafschaft könne ein jeder nach seiner Façon selig werden, und das zu einer moderaten Besteuerung, lud der Graf die Geflüchteten ein.
Das Frankfurter Stadthaus - die Geschichte
Nachdem er Offenbach erfolgreich aufgevolkt hatte, erlaubte er 1699 einigen hugenottischen Familien, an der Grenze zum Frankfurter Stadtwald eine Lichtung zu roden und ein Dorf zu bauen. Um den Grafen zu ehren, nannten die Siedler das Dorf Neu-Isenburg – wohl auch in der weisen Voraussicht, dass die Frankfurter:innen die Gründung eines Neu-Offenbach als Casus Belli verstanden hätten.
Offenbach brummte, Neu-Isenburg wuchs und gedieh und alle waren glücklich. Wirklich alle? Nein. Die Bewohner einer großen benachbarten Reichsstadt beäugten die Fremden, die nicht von hier waren, mit Argwohn. Das Internetlexikon Wikipedia formuliert das sehr höflich, wenn es sagt, dass der gemeine Frankfurter „den Zuzug von fremden Arbeitskräften und großen, benachbarten Unternehmern in der Regel nicht befürwortete“. Stattdessen gingen die ihrer Lieblingsbeschäftigung nach und schimpften bembelschlotzend auf den Offenbacher und „die da oben“, die es zuließen, dass der Hugenotte ihnen alsbald die Wildschweine im Stadtwald totschießen und den Lebensabschnittspartner ausspannen werde. Oder umgekehrt. Bitteres Unrecht sei beides.
Die Serie
„Frankfurt steckt voller Merkwürdigkeiten“, hat Goethe einst gesagt. Merkwürdig ist auch, dass Frankfurt heute voller Goethe steckt. Aber ein paar Merkwürdigkeiten haben den Dichterfürst überlebt. Andere sind gar neu dazugekommen.
Die FR stellt sie in loser Reihenfolge vor. Einige davon könnten Ihnen merkwürdig vorkommen. Aber genau das sollen Merkwürdigkeiten ja auch. skb
Lukrative Gastfreundschaft im Frankfurter Stadthaus
Um schlimmere Randale zu verhindern, entschlossen „die da oben“ sich, an der Grenze von Frankfurt ein trutzburgartiges Forsthaus zu bauen, dessen architektonische Botschaft lautete: Bis hierher und nicht weiter! Primäre Aufgabe des neuen Försters war es, waldfrevelnden Hugenotten eins auf den Pelz zu brennen. Allerdings waren die viel zu beschäftigt zum Wildern und verdienten mehr Geld, als sie versaufen konnten. Was nun die zweite große Leidenschaft der Frankfurter:innen weckte: die lukrative Gastfreundschaft. Der Förster erhielt die Erlaubnis, Bier und Wein auszuschenken. Das tat er so erfolgreich, dass „die da oben“ sich schon 1714 genötigt sahen „das Schreien, Tanzen und Saufen“ im Frankfurter Haus zu verbieten – ein Verbot, das sich bis heute nie wirklich durchsetzen konnte.
Seitdem hat das Haus gute und schlechte Zeiten erlebt, ist aber allzeit ein Hort der legendären Frankfurter Gastlichkeit geblieben. Und Schauplatz von manch Schauergeschichte und Räuberpistole. Die schönste davon hat sich im November 2003 zugetragen. Der damalige Pächter hatte einen Kellner im Verdacht, ihm 3000 Euro gemopst zu haben. Zur Klärung des Sachverhalts engagierte der Wirt den wohl größten Frankfurter Boxer aller Zeiten. Willi „de Ox“ Fischer hatte damals seine wechselhafte Sportlerkarriere hinter sich und arbeitete für ein Inkassounternehmen. Der Kellner wurde in ein Büro im ersten Stock gebeten, wo de Ox auf ihn wartete. Auf Geheiß des per Funkgerät zugeschalteten Wirts verpasste der Boxer dem Kellner eine Maulschelle, die sich gewaschen hatte. Aus Angst vor noch mehr Dresche sprang der Kellner aus dem Fenster, fiel vier Meter tief und holte sich einen Bandscheibenvorfall ab. Der Prozess vor dem Frankfurter Amtsgericht wurde eingestellt, weil de Ox bereit war, dem Kellner 1800 Euro Schmerzensgeld zu zahlen und von der Geldeintreiber- in die Bademeisterbranche zu wechseln.
Doch noch heute vermeint manch Nachtwanderer im Stadtwald, aus der Ferne das Wehklagen des Kellners zu vernehmen. Vermutlich sind das aber bloß die Freudenschreie der Besoffenen, die das Verbot von 1714 missachten – im Frankfurter Haus, dem Wirtshaus am Stadtwald.