Sorge um Schwalben am AKW Biblis

RWE hat Ersatznistplätze für die Brüter am Atomkraftwerk geschaffen – zu spät, fürchtet der Vogelschutz.
Für die Schwalben wird es jetzt langsam ernst. Die Zeit rückt näher, in der sie aus den Winterquartieren tief im Süden zurückkehren und brüten wollen – unter anderem in Biblis, und zwar an den Kühltürmen des früheren Atomkraftwerks. Dort befanden sich rund 400 Mehlschwalben-Brutplätze an den vier Türmen, die größte Kolonie dieser kleinen Zugvögel in Südhessen. Das ist Geschichte, denn zwei der Kühltürme sind inzwischen abgerissen; der zweite fiel am Donnerstag.
Vogelschützerinnen und Vogelschützer sorgen sich, denn Mehlschwalben gelten als bedeutsam für die Artenvielfalt. Ihre Nester sind nach Paragraph 44 des Bundesnaturschutzgesetzes ganzjährig unantastbar, und Naturschutzorganisationen sehen diese Vögel mittelfristig im Bestand bedroht. Was sie bereits 2014 lautstark klarmachten, als der Biblis-Abriss geplant wurde. Seither sei nicht genug geschehen, befürchten sie.
Ingolf Grabow, seit Jahrzehnten für Nabu und BUND im Dienste der Vogelwelt aktiv, ist einer derjenigen, die schon früh darauf pochten, Ersatzwohnraum für die Schwalben zu schaffen. Der Abriss des AKW sei eine gute Sache, bekundete er 2014 – noch besser werde sie, wenn auch rechtzeitig an die Vögel gedacht werde.
Das sei auch geschehen, sagt RWE-Pressesprecher Alexander Scholl im Gespräch mit der FR. „Wir haben das gutachterlich untersuchen lassen und Anfang des Jahres Ausgleichsmaßnahmen geschaffen.“ Acht sogenannte Schwalbentürme seien in Absprache mit der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Bergstraße aufgestellt worden; dort sollen die Vögel aus dem AKW-Block A ihr neues Sommerquartier aufschlagen, wenn sie voraussichtlich im April ankommen.
RWE habe die Türme viel zu spät aufgestellt, kritisieren die Naturschutzbewegten, die sich in der Nähe umgesehen haben. Schwalben bräuchten Zeit, um sich neu zu orientieren. Außerdem sei es fragwürdig, ob sie den „Abstieg“ ihrer Nistplätze aus etwa 80 Metern Höhe unterm First der Kühltürme auf maximal neun Meter in den neuen Türmen schaffen, sagt Grabow. Ob die Ersatzbrutstätten schon früher hätten aufgestellt werden müssen, dazu habe RWE keine Erkenntnisse, sagt Sprecher Scholl. „Wir haben entsprechend der Genehmigung rechtzeitig Ausgleich geschaffen.“
Die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland erklärt auf FR-Anfrage, sie habe noch keine Gelegenheit gehabt, sich mit dem Sachstand vertraut zu machen. Prinzipiell sei aber jetzt noch eine passende Zeit für neue Schwalbenunterkünfte, da die Schwalben ja noch nicht zurück seien, sagt eine Sprecherin.
Vogelschützer Grabow kritisiert, die Behörden hätten das Thema „verschlafen“. Es sei damit zu rechnen, dass die Schwalben in großer Zahl die beiden zunächst verbleibenden Kühltürme anfliegen oder neue Unterkünfte in der Umgebung suchen – und dann komme es auf die Gastfreundschaft der Menschen an, Nester unter ihren Dachfirsten zu dulden, wie es das Naturschutzgesetz vorschreibt.
Der Abriss der zwei weiteren Kühltürme in Biblis ist für 2024 geplant. Dann geht es auch um andere Vogelarten – an einem der Türme wurden seit Jahrzehnten Wanderfalken beobachtet. Jetzt sei die Zeit, sich auch um sie Gedanken zu machen, fordern Naturschutzorganisationen über Hessens Grenzen hinaus. Eine Nabu-Aktivistin kam sogar auf die kühne Idee, einen der Kühltürme zu erhalten: „Nach der Artenschutzkonferenz in Montreal wurden doch etliche Maßnahmen beschlossen, um endlich den Artenschutz voranzutreiben. Das wäre doch mal ein Musterbeispiel.“