Sonny ist jetzt ein Adler im Himmel

Eintracht-Legende Helmut Sonneberg, der die Nazis überlebte, ist 91-jährig gestorben. Der Verein war seine Familie.
Frankfurt - Eintracht Frankfurt hat grandiose Kicker erlebt, Pfaff, Grabowski, Yeboah, Okocha. Integrationsfiguren wie Charly Körbel, den Mann mit dem vermutlich angenehmsten Händedruck der Fußballgeschichte. Starke Persönlichkeiten, die sich rigoros für Toleranz einsetzen, wie Peter Fischer und Dario Minden. Die Grande Dame der Leichtathletik, Ilse Bechthold. Fan-Initiativen wie die antirassistischen „United Colours of Bembeltown“. Das bärenstarke Eintracht-Museum mit seinem Gespür für den richtigen Umgang mit allen Facetten der Frankfurter Sportgeschichte.
Eintracht Frankfurt ist mit ihnen allen gewachsen, und ganz besonders auch mit Helmut Sonneberg, dem „Sonny“, der die Nachkriegsgeschichte des Vereins miterlebt und mitgeprägt hat, von Alfred Pfaff bis Randal Kolo Muani, von der Deutschen Meisterschaft 1959 bis zum zweiten Europapokaltriumph 2022. Am Freitag ist Sonny im Alter von 91 Jahren gestorben. Der Verlust lässt sich schwer in Worte fassen.
Eintracht-Legende Helmut Sonneberg gestorben: Mitfühlen, mitweinen
Es gibt Menschen, die sind mit 50 Jahren alt. Sonny war mit 90 noch jung. Wer ihm zuhörte, seinem Frankfurter Schlappmaul („Ich bin en aale Babbler“), seinen kurzen, treffenden Analysen zum Fußball der Zeit, der konnte nicht anders, als ihn zu bewundern, mit einem Lächeln im Gesicht. Wer ihm länger zuhörte, der Geschichte seines Lebens, der konnte nicht anders, als mit ihm zu fühlen, mit ihm zu weinen und mit ihm dafür zu kämpfen, dass sich manches in Deutschland nie, nie, nie mehr wiederholt.
Helmut Sonneberg, 1931 geboren, erfuhr erst als Siebenjähriger seinen wahren Namen und dass er Jude war. Mit dem Novemberpogrom 1938 stürzte sein Leben ein. Die Nazi-Diktatur sperrte ihn als Kind erst vom Lernen aus – ein Umstand, der ihn bis zuletzt betrübte, auch wenn er später unzählige Bücher verschlang, um sich zu bilden. Dann sperrte ihn das Hitler-Regime im Konzentrationslager Theresienstadt ein. Er überlebte. Und wurde bald nach Kriegsende Eintracht-Mitglied.
Das blieb er nicht durchgängig. Als Sonneberg erfuhr, dass Eintracht-Ehrenpräsident Rudolf Gramlich der Waffen-SS angehört hatte und mutmaßlich Kriegsverbrechen begangen hatte, trat er aus dem Verein aus. „Das verarbeitet mein Charakter nicht“, sagte er noch Ende Januar rückblickend im Podcast „Eintracht vom Main“. Als sich der Verein des Falles Gramlich annahm, was dazu führte, dass ihm der Ehrentitel aberkannt wurde, kehrte Sonny heim in den trauten Kreis, den er seine Eintracht-Familie nannte.
Eintracht-Legende: Die eigene schwere Geschichte
Doch von den eigenen Qualen unter den Nazis erzählte er erst 2018 öffentlich. Als es einmal raus war, nahm er seinen Mut zusammen, berichtete auf vielen Veranstaltungen, in Schulen und begleitete eine Eintracht-Delegation in der „Spurensuche“-Reihe nach Theresienstadt.
Dass er in ersten Nachrufen am Wochenende als „Edelfan“ bezeichnet wird, gibt Sonnys Wesen nicht wirklich wieder. Sonny war jemand, der das Museumsteam im Stadion besuchte und Kreppel mitbrachte, woran Museumschef Matthias Thoma und der Journalist Ron Ulrich, der einen enorm bewegenden Film über ihn drehte, gern erinnern. Sonny war jemand, der im VW Käfer der Eintracht-Meistermannschaft hinterherreiste. Jemand, der den Mund aufmachte, besonders, als er 2018 die Sprache auch über sein eigenes Leben wiedergefunden hatte.
Sonny war einer, der scherzte, der tröstete und ermutigte. Wenn man ihm eine SMS schickte am 18. Mai 2022, dem Abend des Europa-League-Finales der Eintracht, und ihm gestand, man sei fix und fertig, dann schrieb er zurück, ja warum das denn – „es ist doch nur ein Spiel, die Eintracht ist heute in aller Munde und hat eine Reputation erreicht, die nicht mehr wegzudenken ist“, so schön formulierte er nämlich, der Sonny, „das werden wir auch nach einer Niederlage erfahren, aber noch hoffen wir, liebe Grüße und bis bald, Sonny“. Das war um 20.25 Uhr. Vier Stunden später konnte man sich ihm erneut anvertrauen: „Danke für alles Sonny, Wahnsinn.“ Und er: „Bin völlig sprachlos und sehr zufrieden.“
Helmut Sonneberg: Stark gegen Rechtsextreme
Voriges Jahr war Helmut Sonneberg auch bei Markus Lanz im ZDF zu Gast, ein bundesweit beachteter starker Auftritt gegen Rechtsextremismus. Glückwünsche dazu wehrte er ab: „Danke für dein Lob, aber ich erzähle doch nur meine Geschichte.“
104 Jahre alt wollte er werden, um die eingezahlte Rente wieder rauszukriegen. Noch mal Deutscher Meister werden wollte er auch. Wenn der Himmel eine Liste führt mit den Leuten, die es verdient haben, bald wiedergeboren zu werden, kein Zweifel, da muss Sonny drauf. Meister werden kann die Eintracht bis dahin ja schon mal üben. (Thomas Stillbauer)