So klingt Frankfurt!

Das Deutsche Musikarchiv in der Nationalbibliothek stellt eine musikalische Liebeserklärung an die Stadt zusammen. Wer möchte, kann ein Lied vorschlagen.
Einst galten sie als größter Liebesbeweis: Eine mühevoll zusammen gestellte Mix-Kassette mit den neusten Hits oder besonders schönen Liedern. Später, als die CD aufkam, ging der Glanz dann langsam dahin. Einfach, weil der Aufwand viel weniger wurde, einen Mix zu basteln. Inzwischen gibt es Musik ja nur noch als Internetstream, man kann sich Playlists per Knopfdruck zusammenstellen. Das geht flott, aber liebevoll ist anders.
Ruprecht Langer hat sich auf die alten Zeiten besonnen. Der Leiter des Deutschen Musikarchivs in der Deutschen Nationalbibliothek hat 2019 mit größtmöglichem Aufwand eine Playlist erstellt. Als Liebeserklärung an eine ganze Stadt. „Wie klingt Leipzig?“, heißt die und ist in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig zu hören. „Weil wir nun einmal in Leipzig sitzen“, sagt Langer. Aber, und das ist die gute Nachricht, die Deutsche Nationalbibliothek und damit das Musikarchiv sitzen ebenfalls in Frankfurt. Logisch also, dass auch die Stadt am Main jetzt ihre ganz persönliche Liebeserklärung bekommt.
Zwar nicht auf einem alten Magnetband, sondern auf Terminals mit Touchscreen, sogenannten Hörstationen. Die kommen als Stelen zu den Sitzgruppen im Foyer. Viel Arbeit steckt dennoch dahinter. Die Frankfurterinnen und Frankfurter, Menschen aus dem Umland und sogar Durchreisende dürfen selbst Liedvorschläge machen. Sie müssen sie nur begründen können. „Wenn wir es im Bestand haben, kommt es auf die Liste“, sagt Langer. In 90 Prozent der Fälle ist der Titel vorrätig. Kein Wunder: Das Deutsche Musikarchiv sammelt mit Staatsauftrag Musik, um sie dauerhaft zu erhalten und verfügbar zu machen. Und zwar alles, was in Deutschland an Noten und Tonaufnahmen erscheint. Aktuell umfassen die Bestände mehr als zwei Millionen Werke. Darunter finden sich auch historische Tonträger wie Schellackplatten, Phonographenzylinder und Klavierrollen für den selbstspielenden Reproduktionsflügel.
Zurück zum besten Mix: Alle Menschen, die sich berufen fühlen, können einen Titel beisteuern, den sie mit de Stadt verbinden. Für die Leipziger Liste ist Langer mit gutem Beispiel voran gegangen. „Don’t turn the light on, leave me alone“ der Krautrockband „Can“ hat er sich gewünscht. Die kommt zwar aus Köln, aber das ist nicht der Punkt. In einem Leipziger Programmkino hat Langer den Film „Norwegian Wood“ gesehen, das Stück ist Teil des Soundtracks. Auf der Heimfahrt hat sich der Musiksammler dabei ertappt, wie er das Lied vor sich hin summte. Seither ist es für ihn mit Leipziger Nächten verbunden.
120 Titel hat Langer am Ende für Leipzig zusammen bekommen. In Frankfurt sind es bereits jetzt so viele. Und Langer sammelt noch bis Mitte April. Am Anfang der Aktion war er verblüfft erzählt er freimütig. Beworben hat das Musikarchiv die Aktion zunächst auf Postkarten, die in der Nationalbibliothek und in den Kneipen ausgelegt sind. Der Rücklauf: Zum größten Teil Gangster-Rap. Moses Pelham ist dabei, der Offenbacher Bub Haftbefehl, der Frankfurter Rapper Vega.
Frankfurter Klänge
Das Deutsche Musikarchiv eröffnet die neuen Hörstationen und damit die Klangausstellung „Wie klingt Frankfurt?“ am Montag, 15. Mai, in der Deutschen Nationalbibliothek, an der Adickesallee 1.
Claus Peter Gallenmiller von der Gesellschaft für historische Tonträger führt vor, wie in den 20er und 30er Jahren aufgenommen wurde. Den Fachvortrag illustriert er mit der Aufnahme einer echten Schallplatte, vor Ort. Den musikalischen Vortrag dazu steuert das A-Capella-Quartett AninA aus Frankfurt bei. Dann gehts ins Foyer zu den Hörstationen und einem Gläschen Wein. sky
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Erst als die Aktion auch im Newsletter der Bibliothek beworben wurde, erweiterte sich der Stilmix. „Viel Frankfurter Mundart“ ist jetzt dabei, etwa vom Blauen Bock Heinz Schenk. Außerdem noch Jazz der Mangelsdorff-Brüder Emil und Albrecht. Die szenische Kantate Carmina Burana von Carl Orff ist gewünscht, Uraufführung war 1937 in Frankfurt. Keineswegs mit ungeteilter Zustimmung der Nazis. Man stieß sich an der „Unverständlichkeit“ der lateinischen Sprache und witterte „Jazzstimmung“.
Revolutionär auch die Zusammenarbeit von Frank Zappa mit dem Ensemble Modern an „The Yellow Shark“, 1992 in der Alten Oper uraufgeführt.
Am häufigsten nominiert bislang, bereits sechs Mal, ist das Stück „Im Herzen von Europa“. die Schunkel-Hymne, die immer vor den Eintracht-Spielen im Stadion läuft. Eingesungen einst vom Polizeichor Frankfurt. Die schönste Begründung bislang kommt für den Gassenhauer „Klassenfahrt zum Titisee“ von den Crackers. „Grund: meine Jugend“ zitiert Langer die Einreichung und grinst.
Es ist also ein recht wilder Mix. „Ich glaube nicht, dass jemand alle Lieder anhört“, sagt Langer. Aber vielleicht hört man ja immer mal wieder rein. Etwa die Menschen, die ohnehin in der Bibliothek sind und vielleicht eine kleine musikalische Pause einlegen wollen. Mit der Gema hat er einen Pauschalvertrag geschlossen. Weil das Foyer eine juristische Grauzone ist. In den Lesesälen der Bibliothek darf die Musik ohne Abgabe gehört werden. Aber wie sehr gehört das Foyer dazu? Die Streams bleiben auf jeden Fall innerhalb der Mauern der Bibliothek., sind nicht über das Internet abrufbar.
In Leipzig wird das genutzt. Einige Tausend Likes hat Langer gezählt in den drei Jahren. „Im Youtube-Zeitalter klingt das nicht nach viel.“ Aber wenn man sich vorstellt, dass für jedes Like tatsächlich ein Mensch vor Ort an einer Hörstation gesessen hat, ist es doch beachtlich. Langer freut das, es wirft auch ein neues Bild auf die Bibliothek. Dort suchen die Menschen eher nach Büchern oder Zeitschriften. Gut zu wissen: Es gibt dort auch 500 000 Stunden Musik zu finden. Das meiste davon ist digital abrufbar.



