Wahlprüfstein Sicherheit - und deren Grenzen in Frankfurt
An der Diskussion über das Bahnhofsviertel zeigt sich: Viele Forderungen greifen viel zu kurz.
Lange spielte das Thema Sicherheit in der Frankfurter Stadtpolitik kaum eine Rolle – was vor allem der frühere Ordnungsdezernent Volker Stein (FDP) zu spüren bekam. Er trat bei der OB-Wahl 2018 als unabhängiger Kandidat mit dem Schwerpunkt „Sicheres Frankfurt“ an. Trotz eines sehr aufwendigen Wahlkampfes holte er keine sechs Prozent.
Die Frankfurterinnen und Frankfurter fühlen sich in ihrer Stadt einigermaßen sicher, das zeigen Umfragen. Und Frankfurt mag laut Statistik die Hauptstadt des Verbrechens sein. Aber eben auch nur laut Statistik, in die zum Beispiel auch die vielen ausländerrechtlichen Straftaten am Flughafen einfließen.
Doch gerade in den vergangenen Monaten scheint die Situation im Bahnhofsviertel außer Kontrolle geraten zu sein. Und damit ist Sicherheitspolitik in Frankfurt wieder ein Thema.
Irgendwann reichte es Annette Rinn (FDP). Die Frankfurter Ordnungsdezernentin hatte das Gefühl, dass die Diskussion über die Zustände im Bahnhofsviertel gerade in die falsche Richtung gehe. Deshalb stellte sie klar: Nur weil viele Menschen in dem Stadtteil krank und elend aussehen, könne die Stadtpolizei nicht gegen sie vorgehen.

Rinns Orientierungshilfe war ein erfreulich sachlicher Beitrag zu einer immer emotionaler geführten Diskussion. Nüchtern betrachtet muss man sagen: Eine gute Visitenkarte ist das Bahnhofsviertel für Frankfurt nicht. Viele Drogenabhängige halten sich dort auf – das ist nicht strafbar. Manche sitzen oder liegen auf dem Bürgersteig, das ist zumindest eine Ordnungswidrigkeit, da das Lagern in der Öffentlichkeit verboten ist.
Gleiches gilt für das Urinieren an Hauswände und in Einfahrten. Manche Drogenkranke liegen auch regungslos auf dem Boden – diese Leute brauchen Hilfe. Ein Bußgeldverfahren bringt die Stadt da nicht weiter.
Wahlprüfsteine
Welche Themen entscheiden die OB-Wahl am 5. März? Wir stellen die Herausforderungen und die Herangehensweise der Kandidat:innen zu acht Politikfeldern vor.
- Wahlprüfstein Klima - wer kann das in Frankfurt?
- Wahlprüfstein Verkehr - Frankfurt muss sich neu erfinden
- Wahlprüfstein Sicherheit - und deren Grenzen in Frankfurt
- Wahlprüfstein Migration/Diversität - Vielfalt kaum abgebildet
- Wahlprüfstein Wohnen: Angst vor der Verdrängung
- Wahlprüfstein Bildung: zu langsam beim Schulbau
- Wahlprüfstein Kultur - vor der Spardebatte
- Wahlprüfstein Soziales - Hilferuf der Jugendarbeit
- Wahlprüfstein Kultur: vor der Spardebatte
Es ist nicht so, dass im Bahnhofsviertel täglich Menschen erschossen würden. Aber klar, viele Passant:innen fühlen sich etwa in der Niddastraße extrem unwohl. Es ist schmutzig, und für Unbeteiligte lässt es sich schwer einschätzen, ob die Gemengelage aus Abhängigen, Dealern und anderen Kleinkriminellen gefährlich ist. Der Ausdruck No-go-Area macht die Runde.
Doch wie lässt sich an diesen Zuständen etwas ändern? Landes- und Stadtpolizei zeigen schon verstärkte Präsenz. Mehr geht kaum.
Die Probleme im Bahnhofsviertel sind gerade während der Pandemie, als der Stadtteil etwas aus dem Fokus geriet, einfach zu groß geworden. Das Suchtverhalten vieler Abhängiger hat sich verändert, Sie nehmen Crack, eine extrem gefährliche Droge. Gerade diese Gruppe braucht Hilfe, doch das werden bestehende Einrichtungen allein nicht leisten können.
Zumal die Abhängigen ständig auf der Suche nach neuen Rauschmitteln durchs Viertel ziehen. Das könnte man weitgehend unterbinden, wenn man den Kleinhandel mit harten Drogen in den Einrichtungen zuließe. Dann wären die Betroffenen für längere Zeit weg von der Straße. Aber das Gesetz lässt diesen Handel derzeit nicht zu.
OB-Wahl in Frankfurt
FR-Online-Dossier: Wer wird Oberbürgermeister oder Oberbürgermeisterin von Frankfurt? Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden am 5. März. Stichwahl-Termin wäre der 26. März. Die FR bündelt ihre Berichterstattung mit Analysen, Porträts und aktuellen Nachrichten in einem Online-Dossier.
Mit dem exklusiven FR-Wahlhelfer können Sie einfach und interaktiv herausfinden, welche:r Kandidat:in Ihnen inhaltlich nahe steht. 25 Thesen hat die FR-Redaktion ausgesucht - die Sie selbst gewichten können.
FR-Stadtgespräch zum Nachschauen: Am Mittwoch, 8. Februar, stellten sich den Fragen des FR-Römerteams die Kandidat:innen Manuela Rottmann, Uwe Becker, Mike Josef, Daniela Mehler-Würzbach und Yanki Pürsün. Die Diskussionsrunde lässt sich im Video nachsehen.
OB-Talks: Mit dem Medienmanager Bernd Reisig (Stiftung „Helfen helfen“) lud die FR vier Kandidat:innen zu Einzelgesprächen ins SAE Institute: Uwe Becker (CDU), Manuela Rottmann (Grüne), Mike Josef (SPD) und - als Ergebnis einer Lerser:innen-Abstimmung - der Kandidat der „Partei“, Prof. Dr. Dr. Bembel, vertreten durch Katharina Tanczos. Die vier Abende im Video zum Nachschauen.
Zudem gibt es weiterhin keine legale Möglichkeit, Cannabis zu erwerben. Gerade in der Düsseldorfer Straße wird massiv mit dem Stoff gehandelt. Die Polizei muss dagegen vorgehen, das bindet Kräfte. In Frankfurt hoffen viele, dass die von der Koalition in Berlin vereinbarte Legalisierung von Cannabis bald kommt.
Und noch ein anderes großes Problem tut sich auf im Frankfurter Bahnhofsviertel: Es gibt so etwas wie den Fluch der guten Tat. Die Politik verfolgt den Frankfurter Weg, der Abhängige nicht als Straftäter, sondern als kranke Menschen ansieht. Den stellt auch kaum jemand infrage, es wird lediglich über kleinere Veränderungen geredet, die im Wesentlichen mehr aufsuchende Sozialarbeit vorsehen.
In den meisten anderen Städten aber wird ganz anders mit Drogenkranken umgegangen. Sie finden dort keine Hilfsangebote, keine Druckräume, in denen sie unter hygienischen Bedingungen Rauschgift konsumieren können. Also kommen viele dieser Menschen nach Frankfurt. Bisweilen ist von Drogentourismus die Rede, ein ätzender Begriff, weil die Betroffenen keine Kaffeefahrt durchs Bahnhofsviertel machen, sondern Wege suchen, mit ihrer Sucht umzugehen.
Aber das Problem für Frankfurt ist klar. Und kaum eine Kommune in der näheren oder weiteren Umgebung denkt darüber nach, eigene Angebote aufzubauen.
Was bleibt der Politik? Es gibt den Ruf nach mehr Videoüberwachung. Gerade an der Elbestraße könnte das etwas bringen, findet die Polizei, aber es gibt immer wieder technische Probleme.
Und ganz grundsätzlich ist der Nutzen von Videoüberwachung zweifelhaft. Der Ortsbeirat 1 hat gerade gefordert, die vor 20 Jahren installierte Anlage an der Konstablerwache wieder abzubauen. Die Kriminalität verlagere sich zunehmend in die Seitenstraßen. Die Kameras an der Konstablerwache dürften aber stehen bleiben; nur neue Standorte sind nicht vorgesehen. Der Koalitionsvertrag im Römer ist an dieser Stelle eindeutig.
Bleibt der Ruf nach mehr Stellen für die Stadtpolizei. Die Belastung der Einheit ist hoch. Gerade Geschäftsleute fordern von den Mitarbeiter:innen immer wieder, gegen bettelnde Menschen vorzugehen – sei es im Bahnhofsviertel oder in der Innenstadt.
Doch auch zu diesem Thema gibt es viele Facetten und vor allem eine klare Rechtslage: Betteln ist in Frankfurt nicht verboten. Nur gegen aggressives oder bandenmäßiges Betteln kann die Stadtpolizei vorgehen.
DIE POSITIONEN DER KANDIDIERENDEN
Manuela Rottmann (Grüne)

Die Kandidatin der Grünen sieht die Probleme im Bahnhofsviertel – aber keine einfachen Lösungen. Die Stadt könne die Angebote für Drogenkranke erweitern, aber Land und Bund müssten Gesetze ändern, um etwa den Kleinhandel mit harten Drogen in den Einrichtungen zu ermöglichen und Cannabis zu legalisieren. Gleichzeitig müssten andere Städte ihre Angebote für Abhängige ausbauen, damit die Menschen nicht alle nach Frankfurt kommen.
Eine Waffenverbotszone in der Nacht sollte die Stadt ausprobieren, findet Rottmann – befristet und mit genauer Evaluation der Ergebnisse durch die Polizei. Rottmann will wissen: Wer wurde kontrolliert, mit welchen Ergebnissen, wie hat sich die Gewaltkriminalität entwickelt?
Mehr Videoüberwachung sieht die Grünen-Politikerin zumindest skeptisch. Kameras könnten nur ein Element in einem Gesamtkonzept für Kriminalitätsschwerpunkte sein. Sie ersetzten nicht die Polizeipräsenz auf der Straße. Härtere Einsätze gegen Bettler:innen und Straßenmusiker:innen lehnt Rottmann ab. Das Problem seien organisierte Strukturen, die Menschen zum Betteln zwingen.
Yanki Pürsün (FDP)

Der Kandidat der FDP nimmt beim Thema Bahnhofsviertel nicht zuletzt die CDU in die Pflicht. Sie habe jahrelang keine Initiative für den Stadtteil gezeigt. Eine Waffenverbotszone in dem Viertel befürwortet Pürsün. Mehr Videoüberwachung lehnt er hingegen ab. Nur die Präsenz der Polizei schaffe Sicherheit. Die Stadtpolizei sollte stärker gegen mafiöse Strukturen unter Bettler:innen vorgehen, findet der FDP-Politiker.
Daniela Mehler-Würzbach (Linke)

Die Kandidatin der Linken verfolgt die Debatte über das Bahnhofsviertel mit Befremden. Man könne die Menschen nicht „mit einem Fingerschnipp aus der Sucht befreien“, sagte sie kürzlich. Eine Waffenverbotszone lehnt Daniela Mehler-Würzbach ab. Die bestehenden Waffengesetze sollten überall angewendet und durchgesetzt werden.
Eine Waffenverbotszone erlaube es der Polizei, ohne Anfangsverdacht Personendurchsuchungen vorzunehmen. Damit werde auch „racial profiling“ befördert. Auch härteres Vorgehen der Stadtpolizei gegen Bettelei sowie mehr Videoüberwachung lehnt die Politikerin der Linken ab.
Verdachtsunabhängige Überwachung sei nicht wünschenswert und rechtsstaatlich bedenklich. Mehr Überwachung schaffe nicht mehr Sicherheit.
Uwe Becker (CDU)

Der Kandidat der CDU hat die Forderung nach mehr Sicherheit und Sauberkeit zu einem Schwerpunkt seines Wahlkampfes gemacht. Er will Drogenabhängigen helfen, aber entschieden gegen Kriminalität vorgehen. Die offene Drogenszene müsse beendet werden.
Konkret fordert Uwe Becker mehr Polizei, mehr Videokameras, eine Waffenverbotszone, ein Alkoholverbot am Kaisersack und eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Stadt, Polizei und Justiz. Stadtpolizei und Sozialarbeiter:innen sollen gemeinsam auf Streife gehen.
Becker fordert mehr Toiletten und Sanitäranlagen sowie die Einrichtung eines Gesundheits- und Sozialcenters als Anlaufstelle für die Abhängigen. Ihnen sollen auch Hilfen zum Ausstieg aus der Szene aufgezeigt werden.
Mike Josef (SPD)

:Der Kandidat der SPD ist für eine Waffenverbotszone und stellt klar, dass er generell für strengere Waffengesetze sei. Für Drogenkranke müsse es eine Anlaufstelle im Bahnhofsviertel geben. Den Ausbau der Videoüberwachung hält Mike Josef an neuralgischen Punkten für sinnvoll. Wichtiger sei aber mehr Polizei auf der Straße.
Um Einsatzkräfte besser zu schützen, plädiert Josef für Bodycams und Kameras an Streifen-, Rettungs- und Feuerwehrwagen. Gegen organisierte Bettelei müsse die Stadtpolizei vorgehen, so der SPD-Politiker.