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Setzlinge zum Tag des Waldes

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Von: George Grodensky

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Aktion zum Tag des Waldes: Kinder der Textorschule in Sachsenhausen tragen das 17-Ziele-Lied „Welt in Not“ Tag des Waldes: Kinder pflanzen Eichen und Kastanien, Forsthaus Goldstein, Unterschweinstiegschneise 2, gegenüber Waldfriedhof Goldstein
Bei den jungen Helferinnen und Helfern ist die Stimmung gut. Konzentriert setzen sie Bäumchen. © christoph boeckheler*

Carl-Schurz-Schülerinnen und -Schüler forsten in Goldstein auf.

Eigentlich könnten sie gemütlich zu Hause sitzen, Videospiele zocken, chatten, rumhängen. Die Carl-Schurz-Schule hat pädagogischen Tag, die Lehrkräfte bilden sich fort, die Kinder haben frei. Nicht aber diese eine neunte Klasse. Die steht bei Nieselregen im Frankfurter Stadtwald, Revier Goldstein, und setzt junge Bäumchen in den Boden. Freiwillig. Der Chemielehrer habe herumgefragt, erzählt Jonny, 15, die Klasse zugesagt. „Wir sind eben eine sehr soziale Klasse“, erklärt Konstantin, auch 15 Jahre.

Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald bietet im Verbund mit dem Stadtforst öfter solche Aktionen für Bürgerinnen und Bürger an. Zudem ist heute Internationaler Tag des Waldes. Aber zwei Stunden freiwillig rackern? Jonny nimmt den Spaten und sticht ein Loch. „Ja, ja“, versichert er, „wir sind eine ganze normale Klasse.“ Klimawandel sei aber ein größeres Thema an der Schule. Der betreffe seine Generation. Mitschülerin Romy (auch 15) schleppt sich mit angebrochenem Fuß (geschient) über den Waldboden. „Es ist unsere Umwelt“, sagt sie.

Der Klimawandel macht dem Frankfurter Stadtwald zu schaffen. 97,6 Prozent der Bäume sind krank. „Wir reden hier über einen Patienten“, sagt Förster Andreas Knöffel. Er ist in Doppelfunktion vor Ort, als Forstmitarbeiter und für die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Sektion Frankfurt. Jedes Grüppchen hat einen erfahrenen Waldarbeiter oder Förster an der Seite zur Unterstützung.

Die Einführung übernimmt Forstwirtschaftsmeister Matthias Appelt. Gekonnt hebt er mit dem Spaten ein Loch aus. Trotz des aktuellen Schmuddelwetters sei der Boden viel zu trocken. Appelt greift zur Demonstration ins Erdreich, es zerkrümelt, ach was, zerrieselt unter seinen Fingern. Sandboden eben. Da bringe es nichts, Bäume zu setzen, die viel Wasser und Nährstoffe bräuchten.

Statt dessen buddeln die Jugendlichen Flaumeichen und Esskastanien ein, 500 Setzlinge. Die können gut mit Hitze und Trockenheit, sind dazu heimische Arten, vertragen auch mal einen Nachtfrost. Ein zukunftsfähiger Mischwald soll entstehen.

„Bäume können nicht weglaufen“, sagt Knöffel. Sie haben aber manch andere Stellschraube, sich an den Klimawandel anzupassen. Flaumeiche und Esskastanie würden sich auch ohne Hilfe in Frankfurt ansiedeln, sagt Knöffel. „Was wir tun, würde auch die Natur tun.“ Nur eben viel langsamer. Zu langsam. Oder anders gesagt: „Wir Menschen sind zu schnell beim Zerstören.“ Dabei sei der Mensch in der Lage, sich zu ändern, wirbt Knöffel. Er könne das Auto stehen lassen und sich aufs Rad schwingen, Bus und Bahn fahren, auf die Flugreise verzichten. „Man verliert ja auch nicht viel, ein bisschen Bequemlichkeit, ein paar lieb gewonnene Routinen.“ Zu gewinnen gäbe es mehr: Lebensqualität. Knöffel ist von Berufs wegen viel im Wald. Alleine die grüne Farbe wirke schon beruhigend. Er sehe das bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Die seien im Wald ausgeglichener.

Tatsächlich sind die Schurz-Schülerinnen und -Schüler hoch konzentriert am Werk. Man muss regelrecht aufpassen, wo man hintritt. Überall sind plötzlich Setzlinge zu finden. Ein paar habe der Forst schon vorher gesetzt auf dem etwa einen Hektar großen Areal nahe des Goldsteiner Waldfriedhofs, verrät der Förster. Eingezäunt ist es, um die frischen Triebe vor Wildfraß zu schützen. „Rehwild nascht gerne“, sagt Knöffel. Da würden zwei Tiere locker reichen, um die ganzen Triebe aufzufuttern.

Im stärker werdenden Nieselregen werden die Forstleute melancholisch. Viel mehr Regen wäre nötig. Die Frustrationsgrenze sinke bei ihm, sagt Knöffel. Die Kiefern und auch die Buchen hätten keine Zukunft in der Rhein-Main-Ebene. Zudem verlaufe das Waldsterben eher exponenziell als linear, stimmt Kollege Axel Saamer ein. „Man muss sich an den kleinen Dingen festhalten“, versucht Knöffel dann verbal in die Hände zu klatschen. Er zeigt auf einen Setzling: „Ein bisschen Hoffnung haben“. Wobei die jungen Bäumchen eben viel weniger CO2 zu speichern vermögen als so ein großer dicker Baum.

Mut machen möchte auch Tina Baumann, Leiterin der Abteilung Stadtforst im Grünflächenamt, quasi die Oberförsterin. „Das ist etwas ganz Besonderes“, findet sie, „junge Bäume zu setzen.“ Das sei keine Sache für die kommenden Monate, ganze Generationen würden von dem Einsatz profitieren. „In 80 Jahren werden Sie herkommen und staunend zwischen den großen Bäumen stehen“, verspricht sie den Jugendlichen. „Zur Not mit Rollator“, rechnet sie kurz die 80 Jahre auf die jetzt 15-Jährigen hoch.

Vermutlich versucht sie, mit Humor die generell düstere Lage besser zu verkraften. In den 70er-Jahren habe man erstmals zum Internationalen Tag des Waldes aufgerufen, erzählt Baumann. Damals war der saure Regen das Problem. Eines, mit dem man fertig werden konnte. Mit Katalysatoren für die Autos und Entschwefelung der Industrieabgase. Die Aufgabe heute sei, sie zögert: komplexer.

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