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Schießerei im Jobcenter

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Von: Georg Leppert

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Abgesperrt: das Jobcenter an der Mainzer Landstraße.
Abgesperrt: das Jobcenter an der Mainzer Landstraße. © dapd

Am Donnerstagmorgen dreht eine Frau im Jobcenter Frankfurt durch. Ein Polizist wird schwer verletzt, die Frau angeschossen. Sie stirbt eine Stunde später im Hospital.

Es müssen dramatische Minuten gewesen sein am Donnerstagmorgen im Haus Mainzer Landstraße 315-321. Den Mitarbeitern, die das Gebäude am Vormittag nach und nach verlassen, steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben. „Kein Kommentar“, raunt einer, der von einem Kameramann abgepasst wird. Drinnen befragen Polizisten die Mitarbeiter des Jobcenters als Zeugen. Draußen wartet ein Dutzend Journalisten auf Neuigkeiten.

Die Informationen fügen sich im Laufe des Tages zusammen und ergeben das Bild einer Tragödie. Eine 28 Jahre alte Polizistin hat in dem Jobcenter im Gallus eine 39-jährige Frau erschossen. Vermutlich handelte sie in Notwehr, aber das werden erst die Ermittlungen von Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft belegen können. Ein 30 Jahre alter Polizist liegt mit schweren Verletzungen im Bauch und am Arm im Krankenhaus. Sein Zustand ist stabil. Wenigstens eine gute Nachricht an diesem Tag.

Bereits morgens war die 39-Jährige in das Jobcenter gekommen. Die Einrichtung kümmert sich vor allem um Wohnsitzlose und Flüchtlinge, sie ist angeschlossen an den „Besonderen Dienst 3“ der Stadt. Die Frau kommt ursprünglich aus Nigeria. Seit ihrer Hochzeit mit einem Deutschen hat sie einen deutschen Pass.

Die 39-Jährige ist nicht zum ersten Mal im Jobcenter. Am 10. Mai war sie schon einmal da und beantragte Hartz IV. Nun will sie einen Teil der Leistung – es soll um weniger als 50 Euro gehen – in bar mitnehmen. Das aber gehe nicht, erklärt ihr ein Mitarbeiter, das Geld werde ihr in den nächsten Tagen überwiesen.

Elf Zentimeter Klinge

Lange Zeit läuft die Diskussion mit dem Sachbearbeiter offenbar gesittet ab, dann aber wird die Frau laut, heißt es. Mitarbeiter und andere Kunden des Jobcenters fühlen sich gestört. Der Sachbearbeiter ruft deshalb den Sicherheitsdienst, der sich während der Öffnungszeiten ständig in dem Gebäude aufhält. Eine Vorsichtsmaßnahme, wie die Stadt betont. Tätliche Angriffe habe es in der Einrichtung bis zu diesem Tag noch nicht gegeben. „Das Haus gilt nicht als besonders gefährlich“, sagt Joachim Lenz, Verwaltungsleiter des städtischen Jugend- und Sozialamtes, dem das Gebäude gehört.

Die Wachleute fordern die Frau auf, das Gebäude zu verlassen. Die 39-Jährige schreit weiter. Weil sie die Frau nicht selbst vor die Tür setzen dürfen, rufen die Sicherheitsdienstmänner um 8.52 Uhr die Polizei. Wenig später trifft eine Streife ein. Die Beamten wollen den Ausweis der Frau sehen. Die aber, so sagt Oberstaatsanwalt Thomas Bechtel, greift in ihre Tasche, zieht ein Messer mit elf Zentimeter langer Klinge hervor und sticht auf den Polizisten ein. Der Mann wird am Bauch und am Unterarm verletzt und sackt zusammen. Seine Kollegin, die bei der Attacke nur einen Kratzer am Bein abbekommt, zieht ihre Pistole und gibt einen Schuss ab. Sie trifft die 39-Jährige in den Bauch.

Krankenwagen bringen den Polizisten und die Angreiferin in die Klinik. 90 Minuten später gibt Polizeisprecher André Sturmeit bekannt: „Der Kollege ist außer Lebensgefahr, aber die Frau ist leider vor kurzem verstorben.“

Am Donnerstagnachmittag meldet sich über die Deutsche Presseagentur Jörg Bruchmüller zu Wort, der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei. „Das heute ist ein trauriger Beleg dafür, dass die Gewalt gegen Polizisten zunimmt“, sagt er. Seine Gedanken seien bei dem verletzten Kollegen.

Das Jobcenter im Gallus bleibt am Freitag und am Montag geschlossen. Die Mitarbeiter müssten das Erlebnis erst verarbeiten, heißt es.?

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) übt nach dem Vorfall scharfe Kritik an den Hartz-IV-Regelungen. Immer wieder rasteten Antragsteller aus, wenn Mitarbeiter der Jobcenter aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ablehnende Bescheide erteilen müssen. „Wie jetzt in Frankfurt geraten unsere Kolleginnen und Kollegen dann in lebensgefährliche Auseinandersetzungen“, sagte DPolG-Chef Rainer Wendt am Donnerstag in Berlin der Deutschen Presseagentur. „Diese Probleme kann der Gesetzgeber zumindest mildern, wenn er endlich vernünftige Gesetze machen würde.“

Rund 180.000 Klagen gegen Entscheidungen zeigten deutlich, „dass da dringender Handlungsbedarf besteht. Wenn die Menschen das Handeln der öffentlichen Verwaltung nicht verstehen können und es gleichzeitig um ihre Existenz geht, dann sind Kurzschlusshandlungen aus Wut und Verzweiflung eben alles andere als unvorhersehbar.“

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