Schauspiel-Intendant„Wenn man die Einsparung umsetzt, findet hier keine Kunst mehr statt“

Der Frankfurter Schauspiel-Intendant Anselm Weber sagt: Würden die Sparvorgaben im Haushaltsentwurf umgesetzt, gebe es an den Städtischen Bühnen keine Premieren mehr.
Der Blick vom Balkon des Schauspielintendanten Anselm Weber reicht über den Willy-Brandt-Platz, wo die Bühnen (teilweise) neu gebaut werden sollen. Ein Gespräch über die pandemische Lage, die Sparvorgaben im Haushaltsentwurf und die Neubaupläne.
Herr Weber, vom 2. April an dürfen die Zuschauerinnen und Zuschauer wieder ohne Maske bei voller Platzzahl in die Städtischen Bühnen. Freuen Sie sich darauf?
Wir haben einen großen Gewöhnungsprozess vor uns. Zuletzt durften wir etwa 500 Menschen in die Vorstellungen lassen. Diese Nähe hat bei dem einen oder der anderen zu Unsicherheit geführt. Der Theaterraum ist ja ein sozialer Ort, ein Ort der Begegnung. Wir sind aber noch weit weg von einer Normalität, in der die Menschen das Gefühl haben, sich frei bewegen zu können.
Sie erwarten also keinen Zuschaueransturm?
Momentan kommen die treuesten der Treuen immer wieder ins Theater. Das Abonnement haben wir ausgesetzt, um flexibel reagieren zu können, was andererseits schade ist, denn Abos bedeuten auch Planbarkeit.
Unter welchen Bedingungen müssen sie derzeit arbeiten?
Am Wochenende mussten wir drei Vorstellungen absagen wegen eines positiven PCR-Ergebnisses im Ensemble. In solchen Fällen haben wir drei Möglichkeiten: Wir können absagen, ein anderer Schauspieler liest sich kurzfristig in die Rolle ein, was aber komplex ist, oder wir disponieren um und zeigen ein anderes Stück
Wie hat die Pandemie das Schauspiel verändert?
Am Anfang der Pandemie kamen wir aus einer Erfolgsstory und mussten von 110 auf null herunterbremsen. Wir hatten die höchsten Abozahlen in der Geschichte des Schauspiels, eine Auslastung von mehr als 90 Prozent und waren quasi jeden Abend ausverkauft. Über Nacht wurde die Reißleine gezogen und wir waren zu. Dann gab es eine Phase der Verunsicherung, in der niemand wusste, was los war. Seitdem gibt es ein Stop-and-Go und unsere Verpflichtung, die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen. Die Hygienevorgaben der vergangenen Jahre füllen sicherlich mehrere Regalmeter.
Im Haushaltsentwurf 2022 sind in den Jahren 2023 bis 2025 Einsparungen von etwa sieben Millionen Euro jährlich bei den Städtischen Bühnen vorgesehen. Verunsichert das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ja.
Können Sie das ausführen?
Ich möchte das aus der Sicht des Geschäftsführers beschreiben. Die Städtischen Bühnen sind ein Produktionsbetrieb mit 1100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir bekommen Waren wie Holz, Alu und Stoffe angeliefert. Die Werkstätten – Schreiner, Schlosser, Maler, Schneider – verarbeiten sie zu Bühnenbildern und Kostümen. An jedem Tag im Jahr werden die Bühnenbilder auf- und abgebaut, außer an Heiligabend, am 1. Mai und in der Spielpause im Sommer. Dieser Produktionsprozess ermöglicht das, was die Zuschauerinnen und Zuschauer am Ende auf der Bühne sehen. Die Bühne ist die Spitze des Eisbergs. Die Kolleginnen und Kollegen, die auf der Bühne spielen oder singen, sind ein kleiner Teil eines großen Ganzen. Im Schauspiel haben wir etwa 30 festangestellte Schauspieler:innen. Die Zahl, die Sie genannt haben, kann nicht durch das eingespart werden, was auf der Bühne stattfindet.
Was heißt das konkret?
Wir haben ausgerechnet: Wenn wir ein Jahr keine Premieren mehr machen, weder in der Oper noch im Schauspiel, kommen wir trotzdem nicht auf eine Einsparung in dieser Höhe.
Was bedeutet das dann?
Wenn man die genannte Zahl einsparen wollte, müsste man den Menschen, die hier in Lohn und Brot stehen, kündigen. Das wären dann betriebsbedingte Kündigungen.
Die Personalkosten lagen zuletzt bei 69 Millionen Euro. Dem gegenüber steht der städtische Zuschuss, der laut Haushaltsentwurf ab 2023 von 78 auf 71 Millionen Euro sinken soll. Da bleibt nicht viel Spielraum, oder?
Wer auch immer diese Zahl öffentlich verteidigt, muss wissen, dass er am sozialen Frieden dieses Hauses rüttelt. Wir reden hier von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bühnen-GmbH, das sind städtische Angestellte, sowie von gestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt Frankfurt. Ihnen zu kündigen, ist weder realistisch noch zeitnah umzusetzen. Natürlich fragen sich die Menschen, die hier arbeiten: Warum ist meine Arbeit anscheinend so wenig wert, dass darüber nachgedacht wird, mein Arbeitsplatz solle verschwinden.
Zur Person
Der Theater- und Opernregisseur Anselm Weber (58) ist seit der Spielzeit 2017/2018 in der Nachfolge von Oliver Reese Intendant am Schauspiel Frankfurt. Zuvor leitete er als Intendant das Schauspielhaus Bochum und das Schauspiel Essen. fle
Hat die Kulturdezernentin mit Ihnen über die Sparvorgaben gesprochen?
Die Kulturdezernentin und die Geschäftsführung der Bühnen stehen in dieser Frage Seite an Seite. Auch wenn die Corona-Pandemie ihre Spuren hinterlässt, haben wir die Zusicherung, dass an der Struktur der Bühnen nicht gespart werden soll.
Wenn nicht am Personal gespart werden soll, sehen Sie andere Möglichkeiten? Sparen am Spielplan, am Material, an den Gastauftritten?
Nein. Weder noch. Wenn man die Einsparung umsetzt, findet hier keine Kunst mehr statt. Ich glaube, wir müssen andere Wege finden, aus diesem Dilemma herauszukommen.
Welche wären das ?
Aus einer Umfrage von vor der Pandemie wissen wir, dass etwa 50 Prozent unserer Besucherinnen und Besucher aus Frankfurt kommen, etwa 45 Prozent aus dem Umland und etwa fünf Prozent von außerhalb Hessens. Bei der Oper kommen etwa 70 Prozent aus dem Umland und außerhalb von Hessen. Die Städtischen Bühnen Frankfurt wirken also weit in den hessischen Raum hinein. Daher sehe ich auch jene, welche die Bühnen mitnutzen, mit in der Verantwortung. Deswegen sollte man die Frage offen stellen: Wie kann das Land den Städtischen Bühnen helfen?
Wie stellen Sie sich das vor?
Jede vergleichbare städtische Bühnenkonstruktion, wie in Stuttgart, München, Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Dresden, wird vom Land beziehungsweise dem Stadtstaat und der Kommune gemeinsam getragen. Die Idee, dass ein Leuchtturm, der wir nun einmal sind, gemeinsam von denen, die ihn nutzen, finanziert wird, ist doch naheliegend.
Sollen die Städtischen Bühnen ein Staatstheater werden?
Der Name ist mir relativ egal. Mir geht es darum, eine sachliche Diskussion zu führen, wie man den Städtischen Bühnen am besten helfen kann. Ich bin deshalb dafür, entsprechende Gespräche darüber mit dem Land Hessen zu führen.
Haben Sie schon das Gespräch mit Angela Dorn gesucht?
Ich glaube, das sind Gespräche, die auf der politischen Ebene geführt werden müssen.
Dieser Ansatz beträfe auch die Finanzierung des Neubaus der Städtischen Bühnen, die Frage also, ob die Stadt die Kosten alleine tragen muss.
Genau. Ich würde es begrüßen, das Thema mit aufzugreifen, wenn man sich auf eine Form der Zusammenarbeit verständigt.
In der zweiten Jahreshälfte will das Stadtparlament den Neubau der Bühnen beschließen. Drei Standorte sind in der engeren Wahl, dann soll ein Architektenwettbewerb folgen. Welche Hoffnungen verbinden Sie damit?
Das Bühnengebäude ist nachweislich abgängig. Je zügiger die Planung vorangeht, desto besser für alle Beschäftigten. Ich verstehe, dass es angesichts der Summen ein komplizierter Prozess ist, und ich finde den städtebaulichen Vorgang mindestens genauso wichtig wie den Neubau an sich. Die Stadt hat sich in den 1980er-Jahren mit der Museumsmeile und der Hinwendung zum Wasser radikal verändert – es ist eine andere Stadt geworden. Die Idee einer Kultur -oder Theatermeile von der Alten Oper über die alte Wallanlage bis zum neuen Jüdischen Museum würde die Stadt städtebaulich in Meilenstiefeln voranbringen. Wenn man sich dann noch vorstellt, die Neue Mainzer Straße wäre geschlossen, hätte Frankfurt eine Kulturmeile, wie es sie in ganz Europa nicht gibt.
Halten die Bühnen noch die nächsten 15 Jahre, bis der Neubau möglicherweise steht?
Als ich mich vor kurzem mit der CDU-Fraktion im Chagallsaal getroffen habe, um über all diese Themen zu reden, tropfte es oben aus der Decke in einen Metalleimer hinein. Die Fraktion hat das charmant aufgenommen, für eine Installation gehalten und gefragt, ob ich den Wasserschlauch nun abdrehen könne. Aber oben war einfach ein Loch in der Decke und das Wasser suchte sich seinen Weg.
Interview: Florian Leclerc