Für Literatur in Sachsenhausen begeistern

Der Verein „Pro Lesen“ organisiert diese Woche seine 100. Lesung. Darüberhinaus bringt er eine Zeitschrift raus und hilft beim Schreiben.
Klaus Philipp Mertens, in einem Artikel zur Neueröffnung einer Buchhandlung in Sachsenhausen hieß es im Februar, der Stadtteil habe keine Kulturgesellschaft. Sie haben sich über diese Einschätzung der Inhaberinnen geärgert. Warum?
Sie ist einfach falsch. Unser Verein „Pro Lesen“ ist das beste Gegenbeispiel. Wir bemühen uns seit 2009 um die Vermittlung von Literatur in Sachsenhausen.
Können Sie sich noch an die Gründungszeit erinnern?
Ja. Wir waren damals eine kleine Gruppe an Leuten, die der Meinung waren, dass der Umgang mit Literatur in Sachsenhausen eines Katalysators bedurfte.
Wie genau meinen Sie das?
Es war eben so, dass sich das Interesse an Literatur meistens in eigenen Blasen abgespielt hat, in bildungsbürgerlichen Gruppen. Aber die Begeisterung dafür ist selten darüber hinaus gekommen. Das wollten wir ändern.
Wie lief die Gründung dann ab?
Sie erfolgte am 17. September 2009. Die Initiative ging konkret von Peter Heinrich und weiteren Mitgliedern des Ortsbeirats 5 aus, unter anderem der heutigen Bildungsdezernentin Sylvia Weber. Insgesamt waren wir neun Gründungsmitglieder. Leider ist Peter Heinrich wenige Monate später verstorben, wir mussten quasi wieder bei Null anfangen. Am 5. Oktober 2010 haben wir einen neuen Vorstand gewählt, seitdem bin ich erster Vorsitzender.
Wie sieht die Arbeit des Vereins konkret aus?
Kern ist die Organisation von Lesungen im Bibliothekszentrum in der Hedderichstraße. 99 sind es bisher gewesen, ohne Corona wären noch rund 20 mehr zu verzeichnen.
100. Lesung
Die 100. Lesung des Vereins „Pro Lesen“ findet am morgigen Donnerstag, 23. März, um 19 Uhr im Bibliothekszentrum Sachsenhausen, Hedderichstraße 32, statt. Eintritt frei.
Im Fokus steht das fragmentarisch gebliebene Buch „Und wo mein Haus?“ von Peter Kurzeck, der 2013 verstorben ist. Darin erzählt der Autor von seiner Kindheit in der Nachkriegszeit in der Nähe von Gießen.
Der Verein „Pro Lesen“ wurde 2009 gegründet. Erster Vorsitzender ist Klaus Philipp Mertens. Der gebürtige Dortmunder lebt seit 1987 in Frankfurt, seit 1996 in Sachsenhausen. Der Verein hat derzeit 22 aktive Mitglieder; hinzu kommen 40 Förder und Förderinnen.
Infos zum Programm gibt es unter www.bruecke-unter-dem-main.de bö
Können Sie sich noch an die erste Veranstaltung erinnern?
Die fand am 3. März 2011 statt, damals analysierten wir Texte deutschsprachiger Schlager und ermunterten das Publikum zum Mitsingen.
Was würden Sie als Höhepunkte beschreiben?
Bereits bei der dritten Veranstaltung im Mai 2011 wagten wir uns an eine szenische Lesung, an Max Frischs Theaterstück „Graf Öderland“. Ein ähnliches Highlight war die szenische Lesung von Heinar Kipphardts „Joel Brand“. Das Stück basiert auf historischen Vorgängen, auf dem nicht zustande gekommenen Tausch von durch die Nazis gefangen genommener ungarischer Juden gegen Armeelastwagen für die deutsche Wehrmacht. Ein Zuhörer übertrug die Veranstaltung sogar per Smartphone live nach Israel.
Was machen Sie noch außer Lesungen?
Wir haben einen Verteiler für unsere Monatsprogramme, das an rund 800 Literaturinteressierte geschickt wird. Außerdem sind wir publizistisch tätig. Seit September 2018 verfügen wir über eine eigene Netzzeitschrift namens „Brücke unter dem Main“. Der Name lehnt sich an eine literarische Gesellschaft im Berlin des 19. Jahrhunderts an, die „Tunnel über der Spree“ hieß. Berühmtestes Mitglied war Theodor Fontane. Außerdem gibt es unter unserem Dach die Arbeitsgemeinschaft „SchreibWerkstatt“, bei der angehende Autoren – Frauen und Männer – professionelle Unterstützung für die Abfassung von Manuskripten und bei der Suche nach Verlagen finden.
Hat sich die Beschränkung von Literaturbegeisterung auf kleine Gruppen denn mittlerweile geändert?
Ich denke schon. Wir haben es zum Beispiel geschafft, zahlreiche Nutzer der Bibliothek, die ihr den Rücken gekehrt haben, zurückzuholen. Und die dienen dann auch als Multiplikatoren, wenn sie mit anderen über Literatur reden.
Interview: Fabian Böker