Rosakäppchen und der blöde Wolf
Amtsgerichtsprozess um Angriff wegen pinker Mütze an der Konstablerwache
Jeanetto H. ist ein Prachtexemplar der Gattung toxischer heterosexueller Cis-Mann. Wie viele seiner Artgenossen hat er aber ein Problem: Wedelt ein Mann vor seiner Nase mit einem rosafarbenen Stück Stoff, dann bläst er die Backen auf, scharrt mit den Hufen und geht zum Angriff über.
So auch in der Nacht auf den 5. September vorigen Jahres. Der 19 Jahre alte Student Jonah M. hat gerade mit zwei Kumpels im Club Nachtleben ein Rap-Konzert besucht und extra dafür einen „pinken Fischerhut“ gekauft, „auf dem die Künstler unterschreiben konnten“, was diese auch taten. Stolz trägt er seine Trophäe auf dem Heimweg, aber noch auf der Konstablerwache sichtet ihn Jeanetto H. – und ein Mann sieht Rosa!
„Schwuchtel!“, ruft er M. hinterher, der Abwechslung halber auch mal „Scheiß-Schwuchtel!“, dann rennt er auf ihn zu und schlägt ihm eine Bierflasche ins Gesicht. M. erleidet Prellungen und eine Kiefersperre, die dafür sorgt, dass er zwei Tage lang den Mund nicht mehr aufbekommt – eine Begleiterscheinung, die bei H. weit erfreulicher als bei M. gewesen wäre.
Das war vielleicht nicht besonders klug von H., der erst wenige Wochen vor der Tat vom Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Aber der gut frisierte und schlecht tätowierte 34-Jährige, der gegenwärtig bei der Müllabfuhr jobbt, ist möglicherweise auch nicht die hellste Kerze auf der Torte.
Hier ist H.s Geschichte, von ihm selbst erzählt: Er verbringt den Tag des 5. September, wie ein Mann ihn verbringen sollte: „Ich hatte VIP-Karte für ein Footballspiel, da war alles umsonst, ich hab mindestens 30 Bier getrunken.“ Dementsprechend entspannt sei er zur Konstablerwache gefahren und habe sich dort auch nicht über M.s rosa Mützchen geärgert: „Ich glaube, der hatte ’nen pinken Pullover an.“ Aber das sei nicht der Casus belli gewesen: „Die haben mir Drogen angeboten, Koks oder so, da war ich beleidigt. Ich bin doch kein Junkie! Außerdem habe ich denen gesagt: ,Hier sind Kinder und so, die sollten sich was schämen!‘“ Da hat H. nicht unrecht: Alle Kinder, die gegen 1 Uhr an der Konstabler abhängen, sollten sich wirklich was schämen. Geschlagen habe er M. auch, „aber nicht mit Flasche, sondern mit Faust“, nach alter Väter Sitte. Dafür richtet er im Gerichtssaal eine Entschuldigung an M., die alle Anwesenden zu Tränen rührt: „Ich hab jetzt kein persönliches Problem und so mit dir ... äh ... mit Ihnen.“
Der Prozess wird fortgesetzt, einer von M.s Freunden soll noch als Zeuge gehört werden. Aber wie immer er ausgeht, Jeanetto H. hat bereits jetzt verloren, und das in einer Disziplin, in der er eigentlich haushoher Favorit war: Die Polizei hatte Alkoholtests bei Täter und Opfer gemacht. Laut denen hatte H. höchstens 1,8, Außenseiter M. hingegen satte zwei Promille intus. „Chapeau!“, möchte man dem Studenten zurufen – oder, um es in H.s Sinne zu formulieren: „Hut ab!“