Im Riederwald fehlen weiter Hortplätze

Eltern haben sich zu einer losen Initiative zusammengeschlossen, um für die Betreuung ihrer Kinder zu kämpfen.
Es sind häufig die frühen Nachmittage, in denen Houleymatou Som das Gefühl hat, eine schlechte Mutter zu sein. Dann, wenn sie ihren Sohn aus der Pestalozzischule abgeholt hat. Eine Stunde bleibt der alleinerziehenden Mutter, bevor sie ihre beiden jüngeren Kinder aus der Kita abholen muss. Eine Stunde zum Mittagessen und Hausaufgaben machen. „Manchmal will mein Sohn sich nach der Schule erst ausruhen“, erzählt Som von diesen Nachmittagen. Aber wenn die Geschwister zu Hause sind, fehlt die Ruhe. Also drängt die Mutter ihren Sohn, sich beim Essen zu beeilen, obwohl sie das für falsch hält. Aber was soll sie machen, ohne Hortplatz?
Soms Sohn geht in die vierte Klasse. In den vergangenen Jahren mussten viele falsche Praktiken zu Routinen werden. Als ihr Sohn in die erste Klasse ging, machte Som einen Realschulabschluss, weil ihrer nicht anerkannt wurde. Ohne Hortplatz musste sie eine Nachbarin dafür bezahlen, dass sie den Sohn von der Schule abholte. Wenn Som nach ihrem Unterricht fünf Minuten zu spät heimkam, verlangte die Babysitterin Bezahlung für die angebrochene Stunde. So rannte die Mutter auf dem Heimweg zur U-Bahn. Jeden Tag.
Wenn Som davon erzählt, wird Alexandra Büscheck „Angst und Bange“. Ihr Sohn kommt nächstes Jahr auf die Pestalozzi. Eine Erzieherin hatte ihr gesagt, „einen Hortplatz im Riederwald zu bekommen, ist wie ein Sechser im Lotto“. Ihre Sorge: „Im schlimmsten Fall müsste mein Mann seinen Job kündigen.“
Wie viele Riederwälder Kinder in diesem Jahr keinen Hortplatz erhalten haben, könne das Bildungsdezernat nicht beziffern, „da die gegenwärtigen Prozesse der Betreuungsplatzvergabe, gerade im Bereich der Grundschulbetreuungsplätze, noch nicht abgeschlossen sind“, sagt Nicole Möhrmann, Referentin von Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD). Sollten viele Plätze fehlen, könnte in den Einrichtungen die Zahl der Plätze ausgebaut werden oder etwa leer stehende Ladengeschäfte angemietet werden.
Dass das Bildungsdezernat die Zahl nicht aus dem Kindernet Frankfurt erfahren kann, mag verwundern. Immerhin werden die Bewerbungen damit digital gesammelt. Eltern können sich allerdings bei mehreren Einrichtungen bewerben, und damit begründet das Dezernat seine Blindheit in der Frage.
Laut Andrea Janson vom Elternbeirat der Pestalozzischule seien in diesem Jahr 70 Kinder eingeschult worden. Nur ein Viertel habe einen Hortplatz bekommen. Betroffene Eltern haben eine lose Initiative gebildet, in der sie sich über ihre Möglichkeiten austauschen und über den Ortsbeirat politisch Druck machen wollen.
Dass die Hortplätze immer knapper werden, hat mindestens zwei Gründe. Zum einen ist die Bevölkerungszahl im Riederwald in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. Von 4606 zur Jahreshälfte 2016 auf 4936 zur Jahreshälfte 2021. Zum anderen hat sich die Bevölkerungsstruktur verändert. „Viele Akademiker-Eltern haben den Stadtteil für sich entdeckt. In diesen Familien sind häufiger beide Elternteile berufstätig“, so Janson. Darum würden mehr Hortplätze angefragt.
„Erfahrungsgemäß werden im Laufe des ersten Schulhalbjahres noch Betreuungsplätze frei, die an Kinder auf der Warteliste vergeben werden können“, erklärt das Bildungsdezernat. Es klingt wie ein Aufruf, die Hoffnung nicht aufzugeben. Für Ermina Merdanovic ist es aber keine Frage der Hoffnung, sondern des „Was bleibt anderes übrig“. Auch ihr Sohn hat keinen Platz erhalten. Nun fragt die Mutter regelmäßig bei den vier Einrichtungen im Stadtteil nach, ob es nicht doch einen Platz gebe. „Die Erzieher sind nett, aber ich glaube, ich nerve sie.“
Weil ihre ältere Tochter eine Autoimmunerkrankung hat, war es bisher schon schwer, Familie und Beruf zu vereinbaren. Nun, da der Sohn nach der Schule nicht betreut wird, habe der Mann seine Arbeitsstunden reduzieren müssen. „Uns fehlen jetzt 1000 Euro in der Kasse.“ Urlaub werde die Familie nicht mehr bezahlen können. „Wir können uns nur noch das Nötigste leisten.“
Merdanovic und Som geht es um die Möglichkeit, gute Mütter sein zu können und ihr eigenes Geld zu verdienen. Merdanovic will ihren Job bei der Firma Wilhelm Brandenburg nicht aufgeben. Som möchte eine Ausbildung als Erzieherin machen. Es ist paradox, dass sie das nicht kann, weil Hortplätze fehlen.
Die Mütter sorgen sich aber vor allem darum, was es für die Entwicklung ihrer Kinder bedeutet, wenn sich ihre Familien nur das Nötigste leisten können. Dass die finanziellen Möglichkeiten die Bildungschancen der Kinder bestimmen, ist ihnen schmerzhaft bewusst. Darum geht Merdanovic weiter zu den Horteinrichtungen, auch wenn es ihr unangenehm ist. „Wer in der ersten Klasse keinen Platz bekommt, hat auch in den nächsten Jahren keine Chance“, sagt die Mutter. Janson vom Elternbeirat bestätigt das.
Som verteilt Flyer, mit denen der Stadtteilarbeitskreis Unterschriften sammelt. „Hortplätze für alle!“ steht darauf. Rund 150 Menschen haben bereits unterschrieben.