Rhein-Main: Vorfahrt fürs Neun-Euro-Ticket

Viele Reisende nutzen das neue Angebot der günstigeren Monatskarte. Im allgemeinen Berufsverkehr ist allerdings nicht zu erkennen, wer den Nahverkehr probiert und wer ohnehin mitgefahren wäre.
Es ist 8 Uhr morgens. An der Station Kupferhammer der U3 in Oberursel ist der Bahnsteig wie leer gefegt. Die Kinder sind schon in der Schule. Die Pendlerinnen und Pendler sitzen wohl noch beim Frühstück. Obwohl, Autos fahren bereits. Es sind eher noch mehr unterwegs als sonst, kaum dass die Spritpreise fallen …
Den Bahnfahrenden ist das egal. Um 8.05 Uhr füllt sich der Wartebereich. Im Zug selbst ist jede Vierersitzecke besetzt, manche sogar von zwei Personen. Ein paar Schülerinnen und Schüler kabbeln sich. Bis Bahnhof Oberursel sammelt die U3 Reisende ein. Am Ziel ergießt sich dann ein stattlicher Schwall an Menschen ins Freie und fließt Richtung S-Bahn ab. Drehkreuz Oberursel. Aber ist das noch normaler Berufsverkehr oder schon die Neun-Euro-Ticket-Schwemme?
Am Fahrkartenautomat ziehen sich zwei Herren gerade eine frische Monatskarte zum Spottpreis. Sich erklären möchten sie nicht. Vermutlich haben sie keine Zeit, müssen im Zug noch schnell eine Präsentation fürs Meeting vorbereiten. Das geht noch, der Platz ist da. Das befürchtete Gedränge wartet anscheinend auf den Regionalzug ins lange Wochenende.
Im Zug starren viele aufs Handy, manche schauen aber auch aus dem Fenster, als wären sie die Strecke noch nie gefahren. Der Zug tut ihnen den Gefallen, rollt langsam, so lassen sich die Details besser erkennen. Eine Frau wird nervös. Sie hat das Auto heute mal stehen lassen und probiert die neue Fahrkarte aus. „Das ist mein Beitrag zur CO2-Reduktion“, sagt sie. Jetzt hofft sie allerdings, dass der Zug mal langsam in die Gänge kommt, denn in Rödelheim muss sie umsteigen. Wenn das nicht klappt, probiere sie den nächsten Tag mit der U2 zur Hauptwache zu fahren und da umzusteigen.
„Die Verbindung von Bad Homburg nach Eschborn ist nicht so gut“, sagt sie. Sie fahre doppelt so lange wie mit dem Auto. Selbst mit dem Fahrrad wäre sie schneller. „Da ist aber der Rückweg zu anstrengend.“ Da geht es nämlich langsam und stetig bergauf, meist mit Gegenwind. Der bremst anscheinend auch die S-Bahn an diesem Morgen. „Nein, nein“, versichert eine andere Reisende. Das sei die Brücke. Wegen eines Schadens am Bauwerk an der A5 verkehrt die S5 auch nur alle halbe Stunde. Die Dame kennt sich aus, sie fährt regelmäßig „mit dem Jobticket“. Die Reparaturen ziehen sich noch bis September.
Ausflüge ins Umland
Wenigstens erwischt die andere Frau ihren Anschlusszug in Rödelheim. Ansonsten hätte sie an der Station aber einiges an Kurzweil gefunden, um die Wartezeit auf den nächsten Zug zu überbrücken. In der Unterführung singt ein Straßenmusiker. Ob heute mehr los sei als sonst? Er gebe keine Interviews, wehrt der Künstler ab. Gesprächiger sind die Beschicker des Wochenmarkts auf dem angrenzenden Arthur-Stern-Platz. Sie haben keinen Ansturm auf die öffentlichen Verkehrsmittel beobachtet. „Das ist der normale Berufsverkehr“, sagt einer. „Richtung Eschborn ist immer viel los“, sagt ein anderer. Mehr Betrieb erwarten sie zum Wochenende hin. „Das wird im Regionalexpress bestimmt die Hölle“, unkt einer.
Die ist am Frankfurter Hauptbahnhof um die Mittagszeit bereits losgebrochen. Obwohl es ja meistens voll ist hier, schwer zu sagen, ob heute wegen des Neun-Euro-Tickets mehr los ist. Doris Hartstock ist auf dem Weg zu einer Freundin nach Stockstadt. Den günstigen Fahrschein hat sie in der Tasche. Sie wolle von dort Ausflüge ins Umland machen. Genauso wie Stefan Lipfert aus Kelkheim. „Ich werde einige Städtchen in der Umgebung anfahren.“ Alles, was nicht länger als zwei, drei Stunden entfernt sei. Angst vor vollen Zügen habe er nicht, als Rentner könne er unter der Woche fahren. Die meisten Reisenden, die man fragt, haben das Neun-Euro-Ticket bereits oder wollen es sich zulegen.
Max Schnabel und Vivienne Hitzler warten auf ihren Zug nach Mannheim, beide haben sich das Ticket geholt. „Für Fahrten wie hier nach Frankfurt ist es eine gute Sache.“ Oder für einen Trip in die Pfalz. Nach Sylt oder Berlin würden sie jetzt nicht gerade fahren, sagen sie. Das dauere zu lange. Die Studierenden sind sich sicher, dass sehr viele das Angebot nutzen werden. Hoffentlich sei das ein Anstoß an die Bahn, ihr Netz auszubauen. „Ich denke, viele würden vom Auto auf die Schiene umsteigen, wenn die Alternativen gut sind“, sagt Hitzler.
Vor dem Hauptbahnhof steht Majid Kadaoui mit seinem gelben Postwagen und unterhält sich mit Kollegen. Auch hier ist das Neun-Euro-Ticket heute Thema. „Normalerweise fahre ich mit dem Auto zur Arbeit“, sagt der Postbote. Sein Weg von Obertshausen sei beschwerlich, die Anschlüsse schlecht. Gerade die S1 sei oft zu spät, voll und nicht verlässlich. Aber er werde sich für Juni das Ticket kaufen und dem Ganzen eine Chance geben. „Bei dem Betrag kann man ja nichts falsch machen, das sind ja zwei Kaffee.“
Mit Fahrrad zu voll
Sorgen bereitet manchen auch das Thema Fahrrad. Grundsätzlich ist die Mitnahme des Fahrrads kostenlos möglich, sagt der RMV, ein extra Ticket benötige dafür niemand. Aber Platz. Wenn es voll ist wie im morgendlichen Berufsverkehr, könne schon passieren, dass Radfahrende ihr Gefährt zurücklassen müssten. Wann voll ist, darüber entscheide im Zweifel das Personal vor Ort, sagt RMV-Sprecher Maximilian Meyer. Menschen im Rollstuhl oder im Kinderwagen hätten auf jeden Fall Vorrang.
Am frühen Nachmittag geht das ein paar Fahrradfreunden im Regionalexpress Frankfurt–Mannheim so, schreibt ein Reisender im Bahnforum Drehscheibe. Am Morgen hatte sich ein Mann beklagt, er habe für sein Fahrrad ein Extraticket zahlen müssen. Das könne allerdings ein Missverständnis gewesen sein, wirbt Maximilian Meyer im Verständnis. Womöglich seien nicht alle vom Prüfdienst mit den Regeln vertraut. Wenn Platz ist, darf das Rad mit. Im Zweifel sollen Reisende dem RMV über rmv.de die genaue Fahrt melden. Der könne dann nochmals auf die Kontrolleure einwirken.