Debatte um Polizeigewalt: „Ich glaube nicht mehr an das System“ - Reformen gefordert

Die Römer-Fraktion der Linkspartei lädt am Mainkai in Frankfurt zur Open-Air-Debatte über Polizeigewalt und Racial Profiling ein. Die Runde ist sich einige: Es gibt viel zu tun.
- Debatte am Mainkai in Frankfurt über Polizeigewalt und Racial Profiling
- Betroffene, Iniatiativen und Polizei im Gespräch
- Reformen dringend nötig
Frankfurt - Amira sagt, ihr reiche es schon lange. „Ich hab in 29 Jahren nur schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht“, berichtet die junge Frankfurterin. Sie habe Racial Profiling und Polizeigewalt erlebt, hinterher habe ihr niemand geglaubt. Es sei jetzt an der Zeit, etwas zu verändern. „Ich sage es offen und ehrlich: Ich glaube nicht mehr an das System. Es muss komplette Reformen geben, einfach überall.“
Amira, die mit ihrer Initiative „Be Heard FFM“ zuletzt mehrere „Black Lives Matter“-Demonstrationen in Frankfurt organisiert hat, sitzt an diesem Samstagnachmittag auf einer großen Bühne, die auf dem autofreien Mainkai aufgebaut worden ist. Die Römer-Fraktion der Linkspartei hat zu einer Kundgebung und Diskussion unter dem Motto „Wessen Freund – wessen Helfer“ eingeladen. Anlass ist die Debatte über Polizeigewalt und strukturellen Rassismus in den Behörden, die seit dem Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis in vielen Ländern der Erde geführt wird. Gut 100 Interessierte sind gekommen, die Stimmung ist familiär und entspannt. Die Leute fläzen sich beim Zuhören in Liegestühlen mit „Die Linke“-Logo, einige haben Eis oder Wassermelone mitgebracht.
Frankfurt: Debatte um Polizeigewalt und Rassismus: Raum geben für die Betroffenen
„Uns ist es wichtig, Raum zu geben für die Betroffenen und ihre Erfahrungen“, sagt Pearl Hahn, Stadtverordnete der Linken und Organisatorin der Veranstaltung. „Wir müssen ihnen zuhören und ihre Ängste ernst nehmen.“ Die Lage in Frankfurt sei nicht mit der in den USA gleichzusetzen. „Aber auch hier gibt es ein Problem mit Racial Profiling“, sagt Hahn. Wer sich mit Menschen unterhalte, die nicht weiß seien, erfahre, „dass die nicht finden, dass die Polizei deren Freund und Helfer ist“. Gerade weil Rassismus in der ganzen Gesellschaft und ihren Institutionen tief verankert sei, müsse man eine langfristige, kritische und konstruktive Debatte organisieren, fordert Hahn.
Und das wird auf der Bühne dann auch getan. Eingerahmt von kurzen Redebeiträgen und Hip-Hop-Musik gibt es eine längere Podiumsdebatte über die Situation in Frankfurt und Deutschland. Jasmin, die mit Amira bei „Be Heard FFM“ aktiv ist, fordert, dass Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund stärker im Staatsdienst und anderen Bereichen repräsentiert sein müssten. Außerdem müsse Rassismus in den Schulen stärker thematisiert werden – und die oft vergessene Tatsache, „dass Deutschland mal eine Kolonialmacht war“.
Miguel von der antirassistischen Initiative „Cop Watch“ berichtet, dass Racial Profiling, also Polizeikontrollen aufgrund von Äußerlichkeiten, für viele nichtweiße Menschen in Frankfurt „Alltagszustand“ sei. Oft käme es dabei auch zu Gewalt. Aus der Politik sei dagegen zu hören, dass es diese illegale Praxis gar nicht gebe, das Problem werde geleugnet. Deshalb dokumentiere Cop Watch systematisch Fälle von Racial Profiling. „Wir können keine Polizei gebrauchen, die bestimmte Leute nicht anrufen können, weil sie Angst haben, zum Opfer dieser Polizei zu werden“, ruft der Aktivist von der Bühne.
Frankfurt: Rassistische Stereotype - Offene Debatte und bessere Fehlerkultur nötig
Frank Tempel, Mitglied der Linkspartei und Kriminalpolizist aus Thüringen, berichtet, dass viele seiner Kollegen als idealistische junge Leute zur Polizei kämen und dann im Dienst immer stärker rassistische Stereotype entwickelten. Den meisten sei nicht einmal bewusst, dass sie etwa einen Syrer viel schneller für einen Drogendealer hielten als einen weißen Deutschen. Es brauche in der Polizei eine offene Debatte und eine bessere Fehlerkultur, sagt Tempel. Außerdem müsse man darüber nachdenken, ob Probleme etwa mit Drogen oder gewaltbereiten Jugendlichen nicht durch andere Strukturen aufgefangen werden müssten als durch die Polizei: „Wenn die Polizei handeln muss, dann hat der Staat eigentlich schon versagt.“
In diese Kerbe schlägt auch der Philosoph Daniel Loick von der Uni Frankfurt. Neben der Schaffung unabhängiger Beschwerdestellen müsse man auch die aktuelle Debatte über die Abschaffung der Polizei in den USA verfolgen, sagte er. Es sei eine andere Sozial-, Drogen- und Wohnungspolitik nötig, die Gesellschaft müsse „weg von einer Polizeilogik und hin zu einer Logik der sozialen und kulturellen Teilhabe“. Im Bahnhofsviertel zeige sich, dass polizeiliche Lösungen für die Probleme vor Ort „völlig ungeeignet“ seien. Am Ende ist das Podium sich einig: Es gibt jede Menge Anlass für Reformen. (Von Hanning Voigts)
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