Poesie Frankfurt: „Die leisen Prozesse sind wichtig“

Die queere Schriftstellerin Amanda Lasker-Berlin kämpft mit poetischer Sprache für die Rechte von Frauen.
Es hupt und blökt, es rauscht und donnert. Und zwar von rechts wie von links. Der Grünstreifen inmitten der vielbefahrenen Nibelungenallee in Frankfurt ist vermutlich der schrägste Treffpunkt, den die Großstadt zu bieten hat. Und genau den hat Amanda Lasker-Berlin vorgeschlagen. Präzise gesagt ist es die große begehbare Stahl- und Betonskulptur dort auf der kargen Rasenfläche, die sie besonders anzieht. Entfernt erinnert sie an ein Luftschiff aus vergangenen Tagen. „Ich finde den Zeppelin so toll“, schwärmt die 28-Jährige. Bei einem ihrer ersten Spaziergänge in Frankfurt vor wenig mehr als einem Jahr hat sie das Kunstwerk entdeckt, das 2006 Architekturstudierende zur Luminale geschaffen hatten. Seitdem kommt die gebürtige Essenerin immer wieder hierher, sucht den „kleinen Schutzraum“ auf, hört im Inneren auf die „Geräusche der Straße“.
Die Schriftstellerin nimmt die Welt im Gehen in sich auf, jeden Tag. „Ich brauche Bewegung.“ Und sie mag „feste Struktur“ und Routinen in ihrem Leben. Also Aufbruch werktags kurz nach acht. Die „kleinen Mini-Situationen“ unterwegs finden Eingang in Zeichnungen, werden in Skizzenbüchern festgehalten. Und wandern von dort in ihre Prosa. Oder in ihre Theaterstücke. Oder bleiben in Reserve. Der Ort ihres Schreibens ist die Universitätsbibliothek an der Bockenheimer Warte, immer vormittags. „Es ist sehr still dort, auch die anderen sind leise.“ Die Arzttochter hat schon immer in Bibliotheken gearbeitet.
Während ringsumher der Verkehr lärmt, sitzen wir auf einer Bank und sprechen über das Leben als junge, queere Autorin in einem Literaturbetrieb, in dem „Männer noch immer die dominierende Rolle spielen“. Im August wird der dritte Roman von Lasker-Berlin erscheinen, „Spes heißt Hoffnung“. Sie ist bundesweit keine Unbekannte mehr, ihre Arbeiten publiziert die renommierte Frankfurter Verlagsanstalt. Und doch sind die Fragen männlicher Moderatoren bei den Lesungen seltsam. „Es wird viel über mein Alter gesprochen oder ich werde nach Traumata gefragt.“ Ihre Strategie ist: „Gegenhalten und weitermachen.“ Sie hat sich vorgenommen: „Ich sage auf jeden Fall nicht nichts.“ Mehr noch, und jetzt lacht sie: „Ich bin manchmal ein bisschen frech.“
Nach Frankfurt kam sie der Liebe wegen. Im Mai hat sie die Frau geheiratet, die sie liebt. Sie ist glücklich. Und gerade ändert sich etwas in Deutschland. Junge, schreibende Frauen schließen sich zu „kleinen Netzwerken“ zusammen, schmieden „tolle Allianzen“, helfen sich gegenseitig. Lasker–Berlin hat sich Ziele gesetzt. Versucht, „sichtbar zu sein“ und „andere Frauen zu inspirieren“. In der deutschen Literatur, so ihr Urteil, sind queere Menschen nach wie vor unterrepräsentiert. Dagegen will sie arbeiten. Hat eine große Recherche begonnen über „vergessene queere Geschichten“. Wie die der Malerin Ottilie Wilhelmine Roederstein, an die bald das Städel-Museum in einer Ausstellung erinnern wird. Intensiv liest sie gerade die Romane der großen englischen Schriftstellerin Virginia Woolf, die in ihrer Jugend kämpfte gegen die Beschränkungen, die Frauen in der nachviktorianischen Gesellschaft auferlegt waren. Woolfs Roman „Orlando“ über einen Mann, der sich zur Frau und Dichterin wandelt, hat sie „enorm fasziniert“.
Die beiden ersten Romane von Amanda Lasker-Berlin können als Familiengeschichten gelesen werden. In ihrem Debüt „Elijas Lied“ treten drei ungleiche Schwestern auf. Im folgenden Roman „Iva atmet“ kehrt die Titelfigur in ihr Elternhaus zurück, weil ihr autoritärer, strenger Vater stirbt. In den Mauern, an denen ausgestopfte Tiere hängen, droht die junge Frau buchstäblich zu ersticken. Zugleich wird sie mit der Vergangenheit ihrer Großmutter in der Kolonie Deutsch-Ostafrika konfrontiert. Als Gegenfigur tritt die Gelegenheitsprostituierte Ismene auf, die sich unverblümt nimmt, was sie braucht. Im neuen Buch „Spes heißt Hoffnung“ kämpfen gleich vier junge Menschen in existenziellen Situationen um ihr Überleben und Weiterleben, gegen Krankheit, aber auch gegen politische Angriffe.
ZUR PERSON
Amanda Lasker-Berlin wurde 1994 in Essen geboren. Sie studierte Freie Kunst an der Bauhaus-Universität in Weimar und Regie an der Akademie für Darstellende Kunst in Baden-Württemberg.
Im Alter von 18 Jahren inszenierte sie ihr erstes Theaterstück. Ihr erster Roman „Elijas Lied“ (2020) wurde mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet.
Es folgte der Roman „Iva atmet“ (2021), bald wird „Spes heißt Hoffnung“ (Frankfurter Verlagsanstalt) erscheinen.
Ihr Theaterstück „Ich, Wunderwerk und how I love disturbing content“ hat die Geiselnahme von Gladbeck 1988 zum Hintergrund.
Die Autorin lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
Die poetische, intensive Sprache verleugnet ihre Vorbilder nicht. Früh las die Jugendliche die Texte von Ingeborg Bachmann und Simone de Beauvoir. Im Alter von 15 Jahren dann die prägende Begegnung mit dem Buch „Atemschaukel“ der späteren Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller.
Ihr Leitfaden als Schreibende heißt: „Auch die leisen Prozesse sind enorm wichtig.“ Dem, was in den Menschen vorgeht, gibt die Autorin großen Raum. In ihrem eigenen Elternhaus war kein Kampf nötig um ihre Position als queere Frau. „Ich habe eine sehr unterstützende Familie.“ Schon die Grundschule allerdings erlebte sie als „sehr normierenden Ort“. Mit aller Macht versuchte die Klassenlehrerin, die Linkshänderin zum Schreiben mit der Rechten zu bringen. „Halte den Stift vernünftig!“
Seit im Februar der blutige Krieg im Osten Europas begann, der nun schon mehr als 100 Tage dauert, treiben die Schriftstellerin Fragen um. Zum Beispiel: „Was geschieht mit den Geflüchteten, die schon vorher hier lebten und die gerade übersehen werden und vergessen?“ Die Menschen etwa, die 2015 und danach aus Syrien aus Europa kamen. Ihre klare Forderung: „Für alle Geflüchteten muss sich die Situation im Land verbessern.“ Ihre strikt ablehnende Haltung gegenüber Waffen kommt ins Wanken: „Vor dem Krieg hätte ich mehr gegen Waffen gesprochen.“ Aber eine klare Befürworterin von Waffenlieferungen ist deshalb aus der 28-jährigen nicht geworden. Sie hadert mit einem Zwiespalt, so wie es gerade viele erleben.
Gegenüber den Menschen, die in der Ukraine um ihr Überleben kämpfen, ist die Situation vieler in Deutschland sehr privilegiert. Lasker-Berlin nimmt diese Fallhöhe, diese Differenz „als Ansporn“, konzentriert an ihrer Entwicklung als Schriftstellerin zu arbeiten. Das Wort „Selbstdisziplin“ fällt. Der nächste Roman entsteht bereits. Aber sie arbeitet nicht auf Bestellung. „Der Stoff ist zuerst da.“ Und wenn sie glaubt, dass etwas zur Veröffentlichung reif ist, bietet sie den Text ihrer Agentur an.
Frankfurt ist in etwas mehr als einem Jahr ihr Lebensmittelpunkt geworden. „Ich bleibe auf jeden Fall, es ist eine sehr gute Stadt.“ Viele Kreative in ihrem Alter zieht es noch immer nach Berlin. Aus ihrer Abschlussklasse beim Regiestudium in Ludwigsburg ist „die Hälfte nach Berlin“ gegangen. Doch zur Bundeshauptstadt fällt ihr nur ein: „Das ist mir zu viel, ich finde es hier schöner.“ Die Vielfältigkeit auf relativ kleinem Raum in Frankfurt, „die sehr unterschiedlichen Realitäten“. Und die „sehr praktische“ Größe: „Ich kann fast alles zu Fuß machen.“
Natürlich ist der Alltag für queere Menschen noch immer nicht einfach. Die passionierte Fußgängerin berichtet da geradezu sachlich. „In der U-Bahn sind meine Frau und ich mit Vergewaltigung bedroht worden.“ Ein Satz, der scheinbar ohne große Emotion daherkommt. Wie sie überhaupt nicht eifert, schimpft, wütend scheint über ihre Erfahrungen, sondern um Distanz bemüht. „Es ist erschütternd, was man sich anhören muss.“ Auf der anderen Seite gibt ihr die Stadt Frankfurt viel. Lieblingsorte. „Die Schirn finde ich echt toll und das Museum für Moderne Kunst.“
Der persönliche Aufbruch, den Amanda Lasker-Berlin gerade erlebt, spiegelt sich in ihrer Prosa. „Spes heißt Hoffnung“. Spes, das ist ein zehnjähriges Mädchen, dessen Haut so empfindlich ist wie ein Schmetterlingsflügel. Sie träumt davon, endlich ohne schützende Verbände der Welt gegenübertreten zu können. Paul kämpft gegen eine verleumderische Geschichte, die ihm in den sozialen Medien folgt. Die Schriftstellerin tritt entschieden dafür ein, dass sich Frauen ihre Rechte nehmen, nicht länger warten. „Die Abhängigkeit von Männern muss sich verringern“, sagt die junge Frau, redet auf der Parkbank mit sanfter Stimme gegen den Verkehrslärm an. Als sie 15 Jahre alt war, hat sich die Jugendliche aus dem Ruhrgebiet einfach ihren neuen Namen genommen. Weil er ihr so gefiel, wie er war. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.