Peter Feldmann: Vom Aufsteiger zum Angeschuldigten

Vor genau zehn Jahren wurde Peter Feldmann zum Frankfurter Oberbürgermeister gewählt. Das Amt hat den SPD-Politiker massiv verändert.
Immerhin hat es die Dankbarkeit gegenüber dem einstigen Hoffnungsträger offenbar geboten, den Konjunktiv zu verwenden. Sollte die Anklage gegen Oberbürgermeister Peter Feldmann zugelassen werden, so schreibt es der Vorstand der Frankfurter SPD in dieser Woche, dann würde das „eine schwere Belastung für die Stadt Frankfurt und das Amt des Oberbürgermeisters darstellen“. Übersetzt heißt das: Eine schwere Belastung für die SPD ist Peter Feldmann jetzt schon. Kein Konjunktiv.
Zehn Jahre sind in der Kommunalpolitik nicht wirklich eine lange Zeit. Viele der heutigen Stadtverordneten waren schon 2012 oder auch weit zuvor dabei. Petra Roth (CDU), Feldmanns Vorgängerin als Stadtoberhaupt, war 17 Jahre im Amt, auch der durchaus umtriebige Walter Wallmann (CDU) brachte es auf fast eine Dekade. Aber in zehn Jahren kann viel passieren. Mit einem Menschen. Mit seiner Umgebung. Mit dem Amt, das er prägt, und durch das er geprägt wird.
Peter Feldmann wurde auf den Tag genau heute vor zehn Jahren zum Frankfurter Oberbürgermeister gewählt. Damals war der SPD-Politiker, der sich in der Stichwahl gegen Boris Rhein (CDU) durchsetzte, ein anderer Mensch. Das ist erst einmal nicht ungewöhnlich. Zehn Jahre an der Spitze dieser Stadt, der fünftgrößten in Deutschland, hinterlassen ihre Spuren. Doch wer sich genauer anschaut, wie Feldmann sich geändert hat, wie er heute auftritt, welchen Umgang er pflegt, der kann verstehen, wie der Frankfurter Oberbürgermeister jetzt in diese völlig vertrackte Lage geraten konnte.
Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen ihn erhoben; es geht um Vorteilannahme, weil seine Frau als Leiterin einer Kindertagesstätte der AWO unangemessen viel verdiente und zudem einen Dienstwagen fuhr, der ihr nicht zustand. Feldmann sagt, er habe darauf keinen Einfluss genommen, doch die Anklagebehörde geht offenbar von einer Verurteilung aus. Viele, fast alle in seinem Umfeld, raten dem Oberbürgermeister, sein Amt doch zumindest ruhen zu lassen, bis die Vorwürfe vom Tisch sind. Doch das lehnte Feldmann schon am Montag ab. In einem Statement, das in seiner unangemessen-flapsigen Art zum Agieren des Stadtoberhaupts passt.
Der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde dieser Peter Feldmann am 25. März 2012. Als sein überraschender Sieg feststand, stieß SPD-Urgestein Ulli Nissen einen derart spitzen und lauten Schrei durch den Römer aus, dass Amtsinhaberin Roth sofort aus ihrem Büro eilte. Sie dachte, Feldmann sei im Rathaus angekommen, und wollte gratulieren. Doch der Gewinner der Stichwahl ließ sich Zeit. Er hatte mit seiner Partei das Ergebnis in einer Gaststätte im Haus am Dom abgewartet. Als er uneinholbar vorne lag, lief er mitsamt Gefolge von dort zum Römer. Auf dem Krönungsweg, den einst die Kaiser beschritten. Heute würde man auch diesen Weg als Zeichen von Überheblichkeit interpretieren. Damals aber war die Route nur eine ganz nette Anekdote in der Berichterstattung.
Für die SPD kam Feldmanns Sieg genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie hatte vorher mehrere Wahlen verloren, wieder einmal wurde die Frage gestellt, ob die Sozialdemokraten eigentlich noch eine Volkspartei seien. Für die Partei war der damals 53-Jährige der Hoffnungsträger.
Und Peter Feldmann lieferte. In seiner ersten Amtszeit stellte er klassische sozialdemokratische Themen in den Mittelpunkt. Allen voran ging es um die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. „Bauen, bauen, bauen“, auf dieses einfache Motto brachte es Feldmann. Das war platt, das war populistisch. Aber es wirkte. Immer neue Baugebiete wurden zumindest angedacht, die ABG als Wohnungsbauunternehmen wurde in die Pflicht genommen, die Mieten nicht weiter zu erhöhen und geförderten Wohnraum zu bauen.
Dabei hatte Feldmann zumindest bis zur Kommunalwahl 2016 im Römer überhaupt keine Mehrheit für solche Vorhaben. In Frankfurt regierten CDU und Grüne. Feldmann trieb diese Koa-lition, die ihn massiv unterschätzt hatte, vor sich her, er nutzte seine Popularität für immer neue Vorstöße. Für die schwarz-grüne Führungsriege war das eine schwierige Situation, vor allem für Planungsdezernent Olaf Cunitz (Grüne), der genau wusste, dass es mit dem Spruch „Bauen, bauen, bauen“ nicht getan war, weil es in Frankfurt viel zu wenig bezahlbares Bauland gab, dafür aber hohe Anforderungen an den Klimaschutz und die Bürgerbeteiligung.
Die Entwicklung auf dem Pfingstberg und in den Günthersburghöfen gibt Cunitz im Nachhinein recht. Aber damals entstand das Bild von Peter Feldmann, dem smarten Anpacker, der sich kümmert, der keine Ausrede gelten lässt.
OB-Wahl 2012
Zehn Kandidat:innen traten beim ersten Durchgang der OB-Wahl in Frankfurt am 11. März 2012 an. Als chancenreich galten die Bewerbungen von Peter Feldmann (SPD), Boris Rhein (CDU) und Rosemarie Heilig (Grüne).
Der Wahlkampf war geprägt von Diskussionen über die Wohnungspolitik und die Erweiterung des Frankfurter Flughafens. Wenige Monate zuvor war die Landebahn Nordwest in Betrieb gegangen. Mit 4,0 Prozent landete Ursula Fechter von den Flughafenausbaugegnern dann auch auf dem vierten Platz. Um den Sieg ging es aber in einer Stichwahl zwischen Rhein und Feldmann.
In die Stichwahl am 25. März ging Rhein mit einem Vorsprung von 6,1 Prozentpunkten auf Feldmann. Es reichte trotzdem nicht. Vor allem die Anhänger:innen der Grünen, die im ersten Wahlgang Heilig unterstützt hatten (14 Prozent), wählten nun Feldmann. Und das obwohl ihre Partei im Römer eine Koalition mit der CDU bildete. Am Ende kam Feldmann auf 57,4 Prozent. geo
Auch im persönlichen Umgang war Feldmann ein angenehmer Zeitgenosse. Er ging auf die Menschen zu, etwa bei Hausbesuchen, über die insbesondere die CDU spotten konnte, so viel sie wollte. Am Ende blieb der Eindruck eines Oberbürgermeisters, der zu den Leuten in den Hochhaussiedlungen geht und sich als „einer von ihnen“ gibt. Dass Feldmann selbst in der rauen Umgebung in Bonames aufwuchs, half ihm dabei. Der Oberbürgermeister zeigte sich interessiert an den Menschen, er war freundlich und bescheiden und setzte sich bei Flugreisen in die Frankfurter Partnerstädte in die Economy- Klasse.
Schon zum Ende seiner ersten Amtszeit änderte sich Feldmanns Auftreten. Auch gegenüber der Presse. Der Oberbürgermeister war in den sechs Jahren misstrauischer geworden, er achtete penibel darauf, was über ihn geschrieben wurde. Doch das war erklärbar. Er war eben nicht mehr der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Römer, der den Reporter:innen mal eben zwischen Tür und Angel ein Zitat zuwarf.
Der Tag, an dem Feldmann vom nahbaren Oberbürgermeister zum „Sonnenkönig“ wurde, wie ihn Presse und Opposition nannten, war der 11. März 2018. Der SPD-Politiker holte bei seiner Wiederwahl in der Stichwahl gegen die CDU-Herausforderin Bernadette Weyland mehr als 70 Prozent. Ein fantastisches Ergebnis, das zwar auch viel mit Weylands konfusem Wahlkampf zu tun hatte. Aber Feldmann wertete es völlig zu Recht als Bestätigung seiner Politik.
Statt aber einfach weiterzumachen wie bisher, legte er zunehmend arrogante und exzentrische Züge an den Tag. Wenige Tage nach seiner Wahl verkündete er im Römer einfach den Wegfall von Kita-Beiträgen. Die Koalitionspartner von CDU und Grünen waren gänzlich überrumpelt, aber was sollten sie tun? Den Eltern in der Stadt erklären, dass sie womöglich doch weiterhin bezahlen müssten?
Fortan hatte Peter Feldmann vor allem eine Agenda: sich selbst öffentlich am besten darzustellen. Nach Wahlen von Dezernent:innen im Römer verzweifelten Fotografinnen und Fotografen an der Aufgabe, mal ein Motiv ohne das Stadtoberhaupt zu bekommen. Feldmann drängte sich regelmäßig ins Bild. Und wenn der OB im Plenarsaal ans Redepult trat, wussten alle: Es dürfte jetzt lange dauern.
Den Ordnungsdezernenten Markus Frank (CDU) ließ er hingegen im Herbst 2020 gar nicht sprechen. Dabei war Frank in einer Debatte über Müll in der Stadt direkt angegriffen worden. Frank wollte etwas erwidern, wollte sich vor die Stadtpolizei stellen. Doch Feldmann machte von seinem Recht Gebrauch, darüber zu entscheiden, wer für den Magistrat spricht, und schickte Frank vom Redepult zurück auf seinen Platz. Eine politische Ungehörigkeit erster Klasse, die die CDU fast dazu gebracht hätte, die Koalition direkt vor der Kommunalwahl noch aufzukündigen.
Feldmanns Verwicklungen in die AWO-Affäre waren da längst bekannt. Die Zusage, dass Feldmanns Ehefrau übertariflich bezahlt wurde, erfolgte laut Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2014. Zu einer Zeit also, als Feldmann noch nicht der „Sonnenkönig“ war. Doch dass der Oberbürgermeister nun so gänzlich ohne Unterstützung dasteht, hat nicht nur mit den Vorwürfen an sich zu tun, sondern auch mit seinem Umgang damit.
Nie machte Feldmann den Eindruck, er würde die Anschuldigungen wirklich ernst nehmen. Erst tat er so, als gehörten sie in eine Reihe mit anonymen Vorwürfen, die sich in der Tat als falsch erwiesen hatten. Etwa, er lasse sich seinen Garten umsonst vom Grünflächenamt pflegen oder er verlange als Vermieter für eine Wohnung im Norden der Stadt Wucherbeträge.
Später dann reagierte er einfach nur genervt, wenn er darauf angesprochen wurde. Oder er verwies darauf, er kontrolliere als moderner Mann doch nicht den Arbeitsvertrag seiner Frau. Das ging an der Sache völlig vorbei. Und immer mehr vermittelte Feldmann den Eindruck: Ich, der große Oberbürgermeister, muss mich doch nicht mit dieser Lappalie beschäftigen, ich habe Besseres zu tun.
Was also bleibt zehn Jahre nach der Wahl? Auf der einen Seite eine Politik, die in großen Teilen richtig war. Die Frankfurt vorangebracht hat, die die Stadt sozialer und gerechter gemacht hat. Und auf der anderen Seite ein Mann, der unnahbar geworden ist. Der sich völlig verrannt hat und sich nicht beraten ließ. Und der nicht verstanden hat, dass er nun nicht mehr zu halten ist.
