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Paulskirche: Bezugspunkt für die Neue Rechte

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Von: Michael Theil

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FR-Redakteur Hanning Voigts (links) im Gespräch mit dem Historiker Volker Weiß.
FR-Redakteur Hanning Voigts (links) im Gespräch mit dem Historiker Volker Weiß. © Renate Hoyer

Historiker Volker Weiß spricht im Jüdischen Museum über die Vereinnahmung der Märzrevolution von 1848/49 durch die Neue Rechte und Widersprüche in der Geschichte der Paulskirche.

Die Zusammenkunft der Nationalversammlung jährt sich zum 175. Mal und Deutschland feiert ein Fest der Demokratie. Warum die Paulskirche auch fester Bezugspunkt antidemokratischer Bewegungen ist, hat Historiker Volker Weiß am Donnerstag in seinem Vortrag „Die Neue Rechte und die Paulskirche“ im Jüdischen Museum dargelegt.

„Es ist nicht einfach nur ein Jubelfest der Demokratie gewesen“, sagte Weiß im Gespräch mit FR-Redakteur Hanning Voigts, der die Diskussion moderierte. Laut Wahrnehmung des Historikers seien die Menschen geradezu „süchtig“ danach, in der Paulskirche einen positiven Gedenkort zu sehen. Ihn störe, dass die kritischen Punkte der Geschichte der Bewegung von 1848 zu wenig Beachtung fänden.

Auch in der Zeit nach dem Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Paulskirche sei es wiederholt zu Vorfällen gekommen, die im Widerspruch zur gängigen Erzählung der Paulskirche als Ort des demokratischen Erwachens stünden. Weiß verwies zum Beispiel auf die Proteste, welche die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht 1997 nach sich zog, oder auf die als antisemitisch kritisierte Rede Martin Walsers bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998.

Weiß ist Historiker und Publizist. Er beschäftigt sich mit der Geschichte und Gegenwart rechtsextremer Bewegungen. 2017 erschien sein Buch „Die autoritäre Revolte: Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“.

Für seinen Vortrag hat Weiß Publikationen rechter Bewegungen untersucht. Dabei habe sich gezeigt, dass der Vormärz, die Revolution von 1848 und die Paulskirche selbstverständliche Referenzen seien, so der Historiker. Wer die Neue Rechte begreifen wolle, müsse daher auch einen Blick in die Geschichte des 19. Jahrhunderts werfen. Rechte Bewegungen würden sich auf teils „fetischhafte“ Weise an Symbolen und Mythen orientieren, so Weiß. Ihre Anhänger:innen würden sich selbst als nationale Revolutionär:innen sehen.

Aber wie kann es sein, dass die Zeit um 1848, die vor allem für ihre emanzipatorischen Ziele bekannt ist, Anknüpfungspunkte für rechte Bewegungen bietet? Es komme stark darauf an, ob man das demokratische oder das nationale Element der Bewegung hervorhebe, erklärte Weiß. Neben Grund- und Freiheitsrechten ging es damals auch um die Forderung nach einem geeinten Deutschland. Nicht zuletzt am Beispiel der sogenannten Polendebatte zeige sich die „zunehmende Nationalisierung“ der Revolution von 1848, sagte Weiß. In der Nationalversammlung sei es sogar zu Äußerungen „rassischer Überlegenheit“ gegenüber den Slawen gekommen – auch von Teilen der liberalen Linken.

Neben dem Nationalismus sieht der Historiker einen weiteren Anknüpfungspunkt im Demokratieverständnis der Neuen Rechten. Das Staatsvolk werde dabei aufgrund biologischer Kriterien definiert. Im Gegensatz zur liberalen Demokratie, die Minderheiten schütze, beschreibe die Auslegung der Rechten eine „Diktatur der Mehrheit über die Minderheit“, sagte Weiß. Die Frage danach, wer zum Volk gehöre und wer nicht, sei auch in der Nationalversammlung diskutiert worden. Ob die ausgehandelten Bürgerrechte auch für die jüdische Minderheit gelten solle, habe die politischen Lager der Nationalversammlung stark gespalten, erläuterte Weiß. Dieser „illiberale Demokratiebegriff“ erleichtere es den Rechten, die Paulskirche in ihre Erzählung zu integrieren und sich selbst als die „wahren Demokraten“ im Sinne des eigenen Volksbegriffs zu stilisieren.

Die Neue Rechte beziehe sich vor allem auf den Nationalismus. Ein angemessenes Gedenken müsse allerdings sowohl den nationalen als auch den demokratisch-emanzipatorischen Elementen der Revolution gerecht werden, urteilte Weiß. Angesichts des internationalen Aufstiegs der Neuen Rechten sei es notwendig, sich gegen die Mythisierung der Ereignisse einzusetzen.

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