„Wir sehen für unsere Zukunft keine Gefahr“

Seit drei Jahren hat der Frankfurter Turnvereins 1860 weder eine Vorsitzende noch einen Vorsitzenden. Edith Weidlich-Bittersmann vom Vorstand ist dennoch guter Dinge.
Seit drei Jahren kann der Frankfurter Turnverein 1860 kein Oberhaupt finden. In der kommenden Jahreshauptversammlung hofft der Verein auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus den eigenen Reihen.
Frau Weidlich-Bittersmann, seit 2019 ist der Posten der Vorsitzenden beziehungsweise des Vorsitzenden vakant. Wie erklären Sie sich das?
Auf dem Amt lastet viel Verantwortung. Und es ist nicht zuletzt eine juristische Verpflichtung, da man für alle Entscheidungen persönlich haftbar gemacht werden kann. Alle Ehrenämter sind sehr zeitintensiv und kosten, insbesondere wenn man auf eine Situation wie in den letzten beiden Jahren blickt, Kraft und Nerven. Es gibt Pflichttermine, die nur schwer frei einteilbar sind. Vor einem solchen Engagement scheuen sich viele.
Das fünfköpfige Vorstands-Team muss bereits alle Aufgaben stemmen. Braucht es da überhaupt einen „Chef“ oder eine „Chefin“?
Es ist richtig, dass unser Verein trotz der Vakanz gut läuft und wir im Team alle Hand in Hand arbeiten, um ihn am Laufen zu halten. Wir haben die Option diskutiert, den Verein weiterhin als Team zu führen, waren jedoch mehrheitlich dafür, dass es besser wäre, die „althergebrachte“ Form der Vereinsführung beizubehalten. Eine Person, die den Gesamtüberblick über alle Ressorts und Projekte behält und bei dem/der die Fäden zusammenlaufen.
Sie suchen vor allem in Ihren eigenen Reihen. Warum?
Richtig, da unserer Ansicht nach ein vorzugsweise langjähriges Mitglied unseren Verein, dessen Strukturen, Probleme und Nöte, aber auch das Potenzial und die Stärken bereits gut kennt und einschätzen kann. Die Person könnte routinierter agieren sowie Prioritäten bei der Wahl der Projekte besser beurteilen. Durch die Verbundenheit versprechen wir uns eine engagierte Leitung.
Was muss man für den Posten mitbringen?
Frankfurter Turnverein 1860
Die Jahreshauptversammlung des Frankfurter Turnvereins 1860 ist für den 5. Mai im Ravenstein-Zentrum, Pfingsweidstraße 7, geplant.
Rund 1800 Mitglieder hat der FTV derzeit, davon etwa 45 Prozent Kinder und Jugendliche, die in 18 Abteilungen aktiv sind – von Aikido über Fechten bis zur Zen-Meditation. Auch integrative Sportarte, wie inklusives Kegeln und Tischtennis, werden angeboten. bos
Kontakt: www.ftv1860.de, Telefon 069/432906, E-Mail: ftv1860@ftv1860.de
Die Person muss Jubiläen, Ehrungen und andere Termine im Blick haben und ist maßgeblich für die Kontaktpflege mit offiziellen Stellen sowie Kooperationspartnern zuständig. Er/sie müsste also neben viel Zeit auch Freude an Repräsentation und am Netzwerken mitbringen.
Auch zwei Stellvertreterinnen treten auf der kommenden Jahreshauptversammlung nicht wieder an. Ist es derzeit besonders schwierig, Menschen langfristig für Ämter mit Verantwortung zu binden?
Ja, das ist in der Tat ein Problem. Viele jüngere Mitglieder sind interessiert zu helfen, können aber oftmals den Anforderungen für Ehrenämter nicht gerecht werden. Auch für Teilzeitbeschäftigte oder Freiberufler scheint die Verpflichtung ein zu großes Opfer an Freizeit zu sein.
Wie lange kann der FTV noch am Leben erhalten werden, wenn sich immer weniger Mitglieder dazu bereit erklären, sich zu engagieren?
Es gibt doch immer Personen, die die Wichtigkeit erkennen, sich zu engagieren, etwas zurückzugeben und zu helfen, die Tradition am Leben zu erhalten. So ist bereits für ein Ressort ein designierter Nachfolger gefunden. Deshalb sehen wir für unsere Zukunft keine Gefahr. Wenn man den FTV als gesellschaftlichen Mikrokosmos betrachtet, bildet er die Realität ab, in der es immer wenige gibt, die viel Arbeit auf sich nehmen, um eine Sache für viele am Laufen zu halten.
Die Corona-Pandemie hat die Situation der meisten Vereine erschwert. Wie geht der FTV vor, um einen weiteren Mitgliederschwund aufzuhalten?
Viele Abteilungen haben sich während der Pandemie sehr engagiert, den Mitgliedern immer ein Sportangebot im Rahmen der gerade aktuellen Verordnungen anzubieten. Selbst im Lockdown gab es diverse Online-Angebote, um dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, der aber nicht so gravierend war wie anfangs befürchtet – es gab Einbußen von circa zehn Prozent gegenüber 2019. Wir planen für das Frühjahr eine Werbekampagne, von der wir uns wieder mehr Zulauf erhoffen. Und die Mundpropaganda, gerade im Jugendbereich, funktioniert eigentlich recht gut; so konnte in letzter Zeit wieder ein Anstieg bei den Neueintritten verzeichnet werden.
Interview Boris Schlepper
