Ostend: Künstlerin fordert Schadensersatz von Kirche

Der Abriss des Sankt-Nicolai-Gemeindehauses trifft auch das 30 Jahre alte Relief von Hannah Wölfel.
Am Samstagnachmittag steht Hannah Wölfel im Gemeindehaus der Sankt-Nicolai-Gemeinde und fühlt sich „ein bisschen wie auf einer Beerdigung.“ Vor ihr sitzen Freund:innen und Bekannte auf Stühlen im Halbkreis; es gibt Häppchen und Getränke. Die Runde möchte Abschied nehmen: Von dem Kunstwerk, das an der hinteren Wand des Saales prangt und das Wölfel vor rund 30 Jahren geschaffen hat.
Die Künstlerin aus Schlüchtern hatte damals den Zuschlag für eine Ausschreibung der Gemeinde erhalten. Nach anderthalbjähriger Arbeit wurde das Relief, in dessen Zentrum der heilige Nikolaus steht, im Frühjahr 1993 eingeweiht. Die aus Steinzeugton gefertigten Elemente zeigen zudem Gefangene, flüchtende Menschen und Schiffsbrüchige. Für all diese Gruppen gilt Sankt Nikolaus als Schutzpatron.
Bald aber wird von dem Relief wohl nichts mehr übrig sein: Das Gemeinde- und Pfarrhaus in der Waldschmidtstraße sollen abgerissen werden. Im Zuge eines Neubaus soll ein kleineres Gemeindehaus sowie ein Wohnhaus mit 15 Drei- und Vierzimmer-Mietwohnungen entstehen. Die Gesamtkosten des Projekts belaufen sich auf 9,3 Millionen Euro. Der Abriss ist für April geplant.
Darüber, dass auch ihr Kunstwerk betroffen sein würde, sei Wölfel im Frühjahr 2021 informiert worden, wie Bettina Behler vom Evangelischen Regionalverband im Auftrag der Gemeinde und der Bauabteilung des Regionalverbandes mitteilt. Ihr sei angeboten worden, das Werk abzubauen, da es nicht in den Neubau integriert werden könne. Dies aber habe Wölfel „nicht in Erwägung gezogen.“
Die Künstlerin beklagt, dass sie bis zum Wochenende einzig telefonisch informiert worden sei: „Von Seiten der Gemeinde habe ich keinerlei Betroffenheit gespürt.“ Das Werk selbstständig und auf eigene Kosten abzunehmen, sei ihr aufgrund der Bauweise und ihres Alters nicht möglich, sagt die 64-Jährige. Und Bruchstücke mitzunehmen, wie man ihr ebenfalls angeboten hätte, sei „Leichenfledderei“.
Wölfel findet, dass sich die Gemeinde gar nicht erst um den Erhalt des Kunstwerks bemüht habe. Nun hofft sie zumindest auf eine Entschädigung. Doch über die Summe besteht ebenfalls Uneinigkeit. 10 000 Euro verlangt Wölfel als Kompensation für ihr Relief. 1000 Euro bietet der Kirchenvorstand.
Hintergrund der Diskrepanz: Ein Pfarrer der Gemeinde habe fälschlicherweise verstanden, Wölfel sei mit 1000 Euro zufrieden, was sie sofort korrigiert habe, wie sie sagt. Ein Schreiben des Kirchenvorstandes, das Wölfel am Wochenende erhielt, weist nun darauf hin, dass laut Rechtslage kein Anspruch auf Schadensersatz bestehe. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2019 haben Interessen des Gebäudeeigentümers in einem Fall wie diesem Vorrang.
Neubau sei Millionenprojekt
Dennoch erklärt sich die Kirchengemeine in dem Schreiben bereit, 1000 Euro zu zahlen, „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.“ Wölfel aber pocht auf 10 000 Euro: „Wenn die Gemeinde anfängt zu handeln, gehe ich notfalls vor Gericht.“ Der Neubau sei ein Millionenprojekt, ihre geforderte Summe dagegen „Peanuts“.
Beim Treffen im Gemeindesaal am Samstag spielt Geld nur eine Nebenrolle. Wölfel erzählt, wie sie hier vor 30 Jahren auf einem Gerüst stand, pinselte und modellierte. „Ich erkenne dich als Person in dem Werk wieder“, sagt eine Freundin. Am kommenden Samstag möchte sich Wölfel nochmal verabschieden. Dann mit ihrer Familie.