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Für die Menschen im Viertel

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Von: Stefan Simon

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Auf dem Paul-Arnsberg-Platz kennen ihn viele: Niels Sanders.
Auf dem Paul-Arnsberg-Platz kennen ihn viele: Niels Sanders. © Rolf Oeser

Während des ersten Lockdowns unterstützt Niels Sanders Familien in Notlagen. Er ist noch heute sehr aktiv und hat stets für alle ein offenes Ohr.

Niels Sanders musste nicht lange überlegen, um zu handeln. Als die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 Deutschland erreichte und das Land im Lockdown versank, gingen dem 36-Jährigen viele Fragen durch den Kopf: Was ist nun mit den Familien, die weniger privilegiert sind? Was passiert mit den Kindern, die nun zu Hause rumsitzen und nicht in die Schule gehen?

„Da gab es unter einigen Familien Panik und Verlustängste. Ich kann Gesetzestexte lesen und verstehen, aber was ist mit denen, die nicht gut Deutsch reden oder kaum Zugang zu den Corona-Information hatten, die ja selbst ich oft als recht komplex empfand?“ Also entschied er sich, Familien aus der Schule seiner Tochter unterstützend unter die Arme zu greifen. Als Elternbeiratsvorsitzender in der Uhlandschule fand er Zugang zu den Familien.

Der Ostfriese lebt seit elf Jahren im Ostend. Frankfurt ist seine Heimat geworden. Er engagierte sich schon vor dem ersten Lockdown für die Menschen im Viertel, erledigte Einkäufe für ältere Menschen und half ihnen später, einen Impftermin zu vereinbaren. Im Lockdown verteilte er einmal die Woche Hausaufgaben. „Du kannst dir nicht vorstellen, in wie viele trübe Kinderaugen ich geblickt habe“, sagt er. Diese Erlebnisse lassen ihn nicht mehr los.

Sanders sitzt am Tresen in der „Kutscherklause“ in der Ostendstraße. Das Engagement für die Leute im Viertel macht er nicht für das Aufpolieren seines Egos, sondern aus purer Überzeugung, Menschen zu helfen. Oft redet er sich fast in Rage, besonders ab dem Zeitpunkt des Gesprächs, als er die Laptops erwähnt. „Die Schule hat von der Landesregierung 20 Laptops erhalten. Wir haben die Familien gefragt, wer einen benötigt. Auf den Geräten war nichts bespielt, außer Windows. Die Laptops wurden uns einfach so hingerotzt“, erzählt er. Er setzt sich an zwei Wochenenden mit einer Lehrerin an die Geräte, macht sie kindersicher, richtet im Browser Lesezeichen ein. Dann verteilt er sie.

Sanders geht zu den Familien nach Hause und setzt sich selbst dem Risiko aus, an Covid-19 zu erkranken. „Ich trug immer eine FFP2-Maske. Bei einer Familie saß der Onkel im Wohnzimmer, zwei von vier Kindern waren erkältet. Das war schon ein komisches Gefühl. Ja, ich bin ein Risiko eingegangen. Ich habe zu Hause zwei Kinder, aber ich war hier für etwas Größeres.“

Damit die Kinder überhaupt den Laptop für schulische Zwecke nutzen konnten, installiert Sanders das dafür notwendige Programm, auf dem die Lehrer:innen etwa Hausaufgaben stellten. Für den Zugang schickten sie Kennwörter per E-Mail. „Das hat hinten und vorne nicht funktioniert. Ich musste oft die Lehrer anrufen, damit sie die Mails nochmal schicken, weil wir sie nicht fanden. Ich glaube, ich musste bei zehn von 16 Familien den Lehrern nachtelefonieren. Eine Katastrophe.“ Dazu kämen Sprachbarrieren. Oft muss Sanders Informationen von der Schule den völlig überforderten Eltern übersetzen. „Diese Infos waren teilweise essenziell.“

Was wäre passiert, wenn Sanders sich nicht engagiert hätte? Das erzählt er am Beispiel einer Alleinerziehenden. Die junge Mutter war in den letzten Zügen ihrer Ausbildung zur Erzieherin. Sie habe zwei Töchter und einen Sohn. Für die Jüngere richtete Sanders den Laptop ein. „Der Junge sah völlig verloren aus. Sie erzählte mir, dass die Kita ihren Sohn nicht aufnehmen würde, weil sie kein Recht auf eine Notfallbetreuung hätte, da sie tagsüber zu Hause sei und daher auf ihren Sohn aufpassen könnte.“

Er sagte ihr, dass sie ein Recht auf einen Kitaplatz für ihren Sohn habe. Sie gehen daraufhin gemeinsam zur Kita. „Einen Tag später durfte ihr Sohn in den Kindergarten“, erzählt Sanders. Einige Wochen später treffen sie sich zufällig auf der Straße. Die junge Mutter sagt: „Niels, wenn wir nicht zur Kita gegangen wären, dann hätte ich für meinen Sohn einen Jugendpsychologen aufsuchen müssen“, berichtet Sanders.

Ohne die Unterstützung vieler Menschen aus dem Viertel hätte der 36-Jährige all sein Engagement nicht geschafft. „Ich hatte viele Supporter. Wichtig ist doch, dass wir das Gespür für das Miteinander nicht verlieren. Das betrifft ganz besonders die Zeit während der Lockdowns.“ Diese Zeit sei an ihm und seiner Frau nicht spurlos vorbeigegangen. „Ich war oft abends nicht da, sondern bei Familien, um Laptops einzurichten. Meine Kinder fragten auch, wann denn Papa nach Hause kommt. Meine Kinder haben mich schließlich auch gebraucht“, erzählt er.

Sanders ist weiterhin sehr aktiv, führe immer noch gern Leute zusammen, hat ein offenes Ohr für die Belange der Jugendlichen auf dem Paul-Arnsberg-Platz. „Vor ein paar Jahren dachten sie noch, ich wäre Zivilpolizist“, erinnert er sich.

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