1. Startseite
  2. Frankfurt

Occupy Frankfurt: Das Camp, aus dem die Träume waren

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Hanning Voigts

Kommentare

Das Frankfurter Camp bestand fast zehn Monate lang.
Das Frankfurter Camp bestand fast zehn Monate lang. © Alex Kraus

Vor genau zehn Jahren besetzten junge Menschen die Grünanlage am Willy-Brandt-Platz in Frankfurt mit ihren Zelten. Das Occupy-Camp ist Geschichte, die Themen der Bewegung sind weiter aktuell.

Frankfurt - Die Grünfläche am Willy-Brandt-Platz, kaum jemand in Frankfurt wird das bestreiten, ist kein besonders beliebter Ort. Die Parkbänke in dem kleinen Areal zwischen Schauspiel und Eurotower, in dem früher die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Sitz hatte, werden bei gutem Wetter vielleicht für eine Mittagspause genutzt, ansonsten hasten die Frankfurter:innen eher vorbei, weil sie eine Tram erwischen müssen oder in die Innenstadt wollen. Die Einzigen, die sich hier länger aufhalten, sind Tourist:innen, denn bei denen ist die leuchtende Euroskulptur immer noch ein beliebtes Fotomotiv.

Es gab aber eine Zeit, da stand die Parkanlage im Fokus der politischen Aufmerksamkeit, nicht nur in Frankfurt, sondern auch weit über die Stadtgrenzen hinaus. Fast zehn Monate lang befand sich hier das Camp von „Occupy Frankfurt“, ein quirliges, utopisches und zeitweise sehr dreckiges Protestlager, das wohl wichtigste der damals global aufploppenden Occupy-Bewegung in der ganzen Republik.

Occupy Frankfurt: Camp bestand fast zehn Monate lang

Vor genau zehn Jahren, am 15. Oktober 2011, wurden im Anschluss an eine Demonstration von Sympathisant:innen der US-Bewegung „Occupy Wall Street“ unweit der damaligen EZB-Zentrale die ersten Zelte aufgebaut. Zunächst herrschte Euphorie unter den meist jungen und politisch völlig unerfahrenen Besetzer:innen, die sich rasch Strom, WLAN und eine Küche besorgten, sich in Arbeitsgruppen organisierten und in ihren berüchtigten Vollversammlungen, den „Assambleas“, endlos über die Finanzmärkte, globalen Kapitalismus, Ökologie und die Zukunft der Menschheit stritten.

Die Stadtgesellschaft nahm das Occupy-Camp freundlich auf und war fast ein bisschen stolz, Bühne dieser Bewegung zu sein, die im Interesse von 99 Prozent der Weltbevölkerung sprechen wollte, die einem Prozent Superreichen gegenüberstünden.

Occupy-Demo am 15. Oktober 2011 in Frankfurt.
Occupy-Demo am 15. Oktober 2011 in Frankfurt. © Christoph Boeckheler

Frankfurt 2011: Eine Zeitlang blieb die Stimmung im Occupy-Camp gut

Die politische Lage, heute muss man sich das vergegenwärtigen, war im Herbst 2011 offener als jetzt: Der Eindruck der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise war frisch, die Empörung über milliardenschwere Rettungsschirme für Banken groß. Das Wort „Protest“ hatte einen progressiven Klang, es gab Hoffnung auf Veränderung. In Deutschland war es die Zeit vor Pegida, vor der AfD, vor Flüchtlingsdebatten und einer auf sie folgenden rassistischen Mobilmachung, die bis in die Sicherheitsbehörden reicht.

Eine Zeitlang blieb die Stimmung im Occupy-Camp gut, die Diskussionen produktiv. Doch bald bekam das Selbstbild eines utopischen Raums, an dem jeder sprechen kann, Risse: Intern kam es zu Konflikten zwischen Occupy-Aktivist:innen, die nur für eine Regulierung der Finanzmärkte eintraten, und solchen, die eine umfassende Gesellschaftskritik formulierten. Die Debatten faserten aus und nahmen selbstzerstörerische Züge an, es gab Kritik aus der linken Szene an allzu platter Kapitalismuskritik, die teils nur „gierige Banker“ in den Blick nahm. Krude Theorien und Anhänger:innen von Politsekten kamen ebenso ins Camp wie Obdachlose und Angehörige der Roma-Minderheit, die endlich einen Ort in der Stadt fanden, wo sie nicht sofort verjagt wurden.

„Occupy Wall Street“: eine Chronik

Occupy Frankfurt: Nach zehn Monaten hat Geduld der Stadt ein Ende

Nach fast zehn Monaten und immer lauter werdender Kritik an den hygienischen Zuständen im Camp hatte die Geduld der Stadt ein Ende: Am 6. August 2012 räumte die Polizei das Camp, die letzten Aktivist:innen gaben erschöpft auf. Inzwischen hatte ihr Protest aber dazu beigetragen, dass die linke Sammlungsbewegung „Blockupy“ ihre Fühler nach Frankfurt ausstreckte, der harte Kern von Occupy Frankfurt fand in der Unterstützung für Geflüchtete oder NGOs neue Betätigungsfelder. Das Camp mit seinen ausufernden Debatten hatte eine ganze Generation junger Frankfurter:innen politisch geprägt.

Dass Occupy politisierend gewirkt habe und an den Ideen der Bewegung bis heute etwas dran sei, bekommt man auch zu hören, wenn man mit Aktivist:innen von damals spricht. Das Camp sei „ein Experiment“ gewesen, sagt etwa Costantino Gianfrancesco, 2011 Student, Aktivist der ersten Stunde und Mitglied der Frankfurter Grünen. Die meisten seien damals sehr naiv an Politik herangegangen und hätten die Welt verbessern wollen, „was ich sehr sympathisch fand“, sagt der 45-Jährige, der heute in Italien lebt und mit seiner Firma „Giantech“ Hanfextrakte vermarktet. Unter den Aktivist:innen habe die Ansicht geherrscht, dass man nicht nur in einer Banken-, sondern auch in einer Demokratiekrise stecke, so Gianfrancesco. Letztlich sei die Bewegung aber zu diffus geblieben und im Camp „sehr verquer diskutiert“ worden. „Man konnte der Öffentlichkeit nicht mehr vermitteln, was dieses Camp da macht.“

Interview zu Occupy Wall Street

Soziologe Rucht: „Soziale Bewegungen stellen die Gesellschaft infrage“

Occupy Frankfurt: „Wahnsinnig offener Politisierungsraum“

Auch Jule, heute 31 Jahre alt und 2011 im Frankfurter Camp aktiv, beschreibt, dass sie damals das Gefühl großer Missstände zu Occupy gebracht habe. „Uns hat die Frage bewegt, wie wir in Zukunft leben wollen“, sagt die Aktivistin. „Wir wussten, es gibt eine soziale Frage, aber auch eine ökologische Frage, vor der wir stehen.“ Im Camp sei über hohe Mieten, Feminismus und marode Schulen diskutiert worden, alles ungebrochen aktuelle Themen.

Sicher sei die Floskel von den 99 Prozent, die vom bestehenden System nicht profitierten, platt gewesen, aber das Camp sei auch ein „wahnsinnig offener Politisierungsraum“ gewesen, sagt Jule. Eine heute zentrale politische Frage habe schon damals im Camp eine Rolle gespielt, nämlich die, wie demokratischer Streit mit Andersdenkenden funktioniere. Sie habe den Anspruch, mit allen zu reden, damals verteidigt, dabei aber auch „in absolute Abgründe geguckt“, so Jule. Im Umgang mit Rechten oder Corona-Leugner:innen frage sie sich bis heute, wann man mit Argumenten noch weiterkomme – und wann man das Gespräch besser abbreche.

Protest gegen die Räumung im August 2012.
Protest gegen die Räumung im August 2012. © Andreas Arnold

Jan Umsonst, eines der bekannteren Gesichter des Frankfurter Camps, steht bis heute hinter der Grundidee von Occupy, auch wenn er nicht am Namen hängt. „Es ging mir ums Prinzip, für eine selbstorganisierte Welt mit Wissen und friedlichen Mitteln zu kämpfen“, erinnert der 48-Jährige sich in einer E-Mail an die Frankfurter Rundschau. Er habe etwas gegen die „soziale, ökonomische und ökologische Zerstörung unserer Welt“ unternehmen wollen. Durch die Corona-Pandemie und den Klimawandel werde heute für alle sichtbar, dass „unsere globalisierte und von einander abhängige Welt mit jedem Jahr mehr ins Chaos abdriften wird“, so Umsonst. „Fridays for Future“ und andere globale Protestbewegungen würden aber immer wieder auftauchen, „bis wir gewinnen werden oder unsere Welt durch die bestehenden Strukturen ins Chaos gestürzt werden wird und die Menschheit auf einem zerstörten Planeten eine wahrlich traurige Zukunft haben wird“.

Occupy Frankfurt: Interesse an globalen Veränderungen

Ein 2011 ebenfalls sehr bekannter Frankfurter Occupyer, der sich bis heute Thomas Occupy nennt und damals in stets derselben blau-gelben Trainingsjacke unzählige Interviews gab, beklagt, dass die Bankenbranche heute genauso intransparent und verlogen sei wie damals. Der große Erfolg von Occupy sei es, die Parole von den 99 Prozent, die von globaler Veränderung profitieren könnten, populär gemacht zu haben, sagt der 61-Jährige. „Das hat die Occupy-Bewegung weltweit in die Köpfe gebracht.“ Ansonsten ist Thomas Occupy bis heute davon überzeugt, dass das Camp vor allem durch politischen und medialen Druck von außen gescheitert sei – nicht an sich selbst.

Das sieht Novak Petrovic ganz anders. Der Frankfurter Immobilienhändler, der mit Leidenschaft auf gierige Banken und die intransparente Finanzbranche schimpft und dabei stets betont, er habe selbst in seiner Karriere unzählige Banker:innen bestochen, findet, dass die Stadt sehr viel Geduld mit Occupy gehabt habe. Das Camp sei geräumt worden, „weil’s gar nicht mehr ging“, sagt der 64-Jährige. Die hygienischen Zustände im Camp seien am Ende unerträglich gewesen, die „Assambleas“ seien inhaltlich völlig zerfasert. „Man konnte sich einfach nie auf was einigen“, sagt Petrovic. Die Bewegung habe es nicht geschafft, „die Euphorie der ersten Wochen zu halten“.

Petrovic war im Herbst 2011 auf einer Reise nach Kanada auf die Occupy-Bewegung gestoßen und wurde später der heimliche Sponsor von Occupy Frankfurt. Er war es auch, der am Ende mehrere Zehntausend Euro für die Entrümpelung der Grünanlage bezahlte. Politisch habe die Bewegung zwar wenig erreicht, sagt Petrovic. Aber er glaube, dass die Idee von Protestcamps etwa vor Banken oder anderen Institutionen jederzeit wiederbelebt werden könne. „Occupy ist ja nicht tot, die Idee ist gut und berechtigt“, sagt der 64-Jährige. „Ich bin der Meinung, dass man das jederzeit wiederholen kann und vielleicht wiederholen muss.“ (Hanning Voigts)

Auch interessant

Kommentare