Obdachlosigkeit in Frankfurt: „Ich bin zweckoptimistisch“

Joachim Brenner vom Förderverein Roma spricht im Interview über die Lage obdachloser Menschen aus Osteuropa. Die neue Koalition gibt ihm Grund zur Hoffnung.
Herr Brenner, die Stadt Frankfurt und die großen sozialen Träger beginnen wieder mit ihrem Winterprogramm für Obdachlose und bieten zusätzliche Schlafplätze. Wird in Frankfurt genug für obdachlose Menschen getan?
Nein. Nicht nur wir vom Förderverein Roma kritisieren, dass manche Menschen die vorhandenen Angebote nicht annehmen, weil sie Angst vor Massenunterkünften haben, oder weil die vorhandenen Unterkünfte nicht adäquat sind. Wir erleben immer wieder, dass Menschen nur ungern in der Notschlafstelle am Eschenheimer Tor übernachten. Das ist ja auch keine menschenwürdige Unterkunft, sondern ein U-Bahnhof. In unserer Sozialberatung hatten wir allein im September 15 Leute, die auf der Straße geschlafen haben.
Sie betreuen vor allem Roma aus EU-Staaten wie Rumänien oder Bulgarien, die aufgrund fehlender Rechtsansprüche schlechter gestellt sind ...
Genau. In der Sozialberatung machen wir weiterhin die Erfahrung, dass die Anspruchsprüfung durch das Sozialamt in vielen Fällen negativ ausfällt und dann gesagt wird, die Obdachlosigkeit könne nur beendet werden, indem eine Rückfahrkarte in die Heimatländer bezahlt wird. Und da beißt sich natürlich die Katze in den Schwanz, weil die Leute dort keine Perspektive haben und deshalb ihre Freizügigkeit innerhalb der EU nutzen, um sich in Frankfurt ein besseres Leben aufzubauen.
Anfang des Jahres wurden wegen der Corona-Pandemie für diese Menschen 20 zusätzliche Plätze im Henriette-Fürth-Haus geschaffen, die jetzt aber im März schon wieder auslaufen. Wie bewerten Sie das?
Das war eine Notlösung in einer Notsituation, die sehr stark genutzt wurde. Sie war leider von Anfang an nur für alleinstehende Männer gedacht, obwohl es auch alleinstehende Frauen und Familien gibt, die obdachlos sind. Im September wurde dann entschieden, diese Unterkunft zum März auslaufen zu lassen und frei werdende Plätze nicht mehr zu besetzen. Das bedeutet, dass die Situation sich weiter verschärfen wird. Aktuell wird uns zugesagt, dass es eine Anlaufstelle geben soll, die obdachlose Menschen unabhängig vom Status schneller unterbringt. Wir hoffen im Sinne der Betroffenen, dass das auch so kommt und die Unterkünfte bessere Standards haben.
Zur Person
Joachim Brenner (66) ist Geschäftsleiter des Frankfurter Fördervereins Roma. Der Verein setzt sich seit den 90er Jahren für die Interessen der Roma-Minderheit in der Stadt ein.
Sie haben also den Eindruck, dass sich mit dem neuen Magistrat in der Obdachlosenpolitik etwas bewegt?
Das ist noch nicht absehbar, es ist auch immer ein Politikum. Zumindest gibt es vielleicht bald eine Zwischenlösung. Unsere Zielsetzung ist nach wie vor, dass es in Frankfurt ein „Haus für Roma“ gibt, wo Roma menschlich untergebracht werden können und zudem auf ihre Erfahrungen mit Ausgrenzung, Diskriminierung und rassistischer Gewalt Rücksicht genommen werden kann.
Im Koalitionsvertrag war davon die Rede, dass die städtischen Unterkünfte allen Menschen unabhängig vom rechtlichen Status offenstehen sollen, auch die Idee eines „Hauses für Roma“ soll geprüft werden – so wie auch Projekte nach dem sogenannten „Housing First“-Ansatz, bei dem Obdachlose sofort in richtigen Wohnraum vermittelt werden. Wird sich in der Obdachlosenhilfe etwas tun?
Ich bin zweckoptimistisch, weil Baudezernentin Sylvia Weber, Sozialdezernentin Elke Voitl und Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg eine gewisse Sensibilität und Offenheit gegenüber unseren Themen und Anliegen haben. Das wollen wir jetzt nutzen, um nach den ganzen Jahren einer restriktiven und ordnungspolitischen Vorgehensweise gegen Obdachlose aus anderen EU-Staaten endlich Perspektiven für die Betroffenen zu schaffen.
Was sind da Ihre Ideen, wenn man von einem „Haus für Roma“ einmal absieht?
Wir fordern ja schon seit Jahrzehnten die Errichtung eines Kultur- und Gemeindezentrums für Roma, außerdem braucht es eine bessere Versorgung der Menschen in Bezug auf Gesundheit und Bildung, damit sie sich qualifizieren und eine Jobperspektive schaffen können. Außerdem befindet sich unsere Sozialberatung weiterhin in einer finanziell prekären Situation. Und die Stadtbevölkerung muss stärker für die besondere Situation von Roma und Sinti sensibilisiert werden.
