Wahlprüfstein Soziales: Hilferuf der Frankfurter Jugendarbeit

Frankfurt sucht Wege, um armen Kindern und älteren Menschen das teure Leben in der Stadt leichter zu machen. Doch die Geldsorgen erreichen längst sogar besserverdienende Familien. Und auch der offenen Kinder- und Jugendarbeit droht der finanzielle Kollaps.
Den Begriff „Soziales“ zu fassen, gestaltet sich oft schwierig. Fast alle Bereiche, in denen Menschen miteinander in Kontakt kommen, werden davon berührt. In der Bankenstadt Frankfurt ist dabei der Kontrast zwischen Arm und Reich augenscheinlich – und am einfachsten im Alltag zu erkennen, wenn Menschen in feinen Anzügen und Kostümen auf den Gehwegen unterwegs sind, während daneben eine obdachlose Person auf Pappe in ihrem Schlafsack liegt.
Doch wie kann es in der fünfgrößten Stadt Deutschlands gelingen, die Kluft zwischen denen, die viel, und denen, die wenig haben, nicht immer größer werden zu lassen? Vor allem in Zeiten, in denen auch mittelständische Haushalte nicht mehr mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld zurande kommen. Dieser Frage muss sich die Stadtpolitik stellen.
Frankfurter Energiefonds im Gespräch
Angesichts der vielen Preissteigerungen bei der Energieversorgung geistert immer wieder ein Begriff durch die Diskussionen: ein Frankfurter Energiefonds. Zwar haben der Bund und das Land Hessen Gelder bereitgestellt, um Mehrbelastungen bei Strom und Heizung aufzufangen. Doch beklagen immer wieder Menschen, das Geld brauche zu lange, um direkt bei den Verbraucher:innen anzukommen.
Bereits bei der Auszahlung der Pauschalen, beispielsweise für Studierende, hat der Bund keine gute Figur gemacht. Ein stadteigener Fonds soll unmittelbar helfen und etwa Energiesperren verhindern. Frankfurts Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne) geht davon aus, dass im März der große Ansturm von Bürgerinnen und Bürgern kommen wird, die ihre mitunter stark erhöhten Energierechnungen erhalten haben. Noch seien die Preise gar nicht bei den Verbraucher:innen angekommen.
Folgen der Kinderarmut abfedern
Lässt man die Krise außer Acht, gab es 2021 rund 33.750 Haushalte, die auf Grundsicherung angewiesen waren. Hinter dieser Zahl steckt eine noch viel höhere Zahl an Betroffenen, in der Regel auch viele Kinder. Einer Bertelsmann-Studie zufolge leben in Hessen 14,2 Prozent der Kinder in Familien, die Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch II bekommen.
In Frankfurt war der Anteil zwar vor der Corona-Pandemie gesunken, doch angesichts der aktuellen Lage dürfte sich auch hier die Situation wieder verschärft haben. Die großen Hoffnungen ruhen auf der Kindergrundsicherung; die Entscheidung dafür fällt aber im Bund.
Wahlprüfsteine
Welche Themen entscheiden die OB-Wahl am 5. März? Wir stellen die Herausforderungen und die Herangehensweise der Kandidat:innen zu acht Politikfeldern vor.
- Wahlprüfstein Klima - wer kann das in Frankfurt?
- Wahlprüfstein Verkehr - Frankfurt muss sich neu erfinden
- Wahlprüfstein Sicherheit - und deren Grenzen in Frankfurt
- Wahlprüfstein Migration/Diversität - Vielfalt kaum abgebildet
- Wahlprüfstein Wohnen - Angst vor der Verdrängung
- Wahlprüfstein Bildung - zu langsam beim Schulbau
- Wahlprüfstein Kultur - vor der Spardebatte
- Wahlprüfstein Soziales - Hilferuf der Jugendarbeit
In Frankfurt muss es gelingen, die Folgen der Kinderarmut aufzufangen. Wer Schilderungen von Betroffenen hört, kommt immer zu den gleichen Schlüssen: Die Wohnung ist zu klein, um sich zu entfalten; es gibt kein gesichertes Essen; und es ist kein Geld für Aktivitäten da. Die Stadt muss also dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche Orte haben, an denen sie Platz zum Spielen und Treffen haben, dass es mindestens ein gesichertes Mittagessen gibt und die Teilhabe am kulturellen oder schlichtweg sozialen Leben möglich ist.
Das gelingt sicherlich mit den kostenlosen Eintritten in Museen und Schwimmbäder, die es bereits gibt. Der pädagogische Mittagstisch ist ein weiterer Baustein. Dass dieser mittlerweile komplett kostenlos ist, ist eine wichtige Verbesserung, die beibehalten werden sollte.
Stadtweit boten im August 2022 laut Sozialdezernat 44 Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit, Kirchengemeinden, Nachbarschaftszentren oder Vereine das Mittagessen samt pädagogischer Betreuung an. Ein noch größeres Netzwerk wäre wünschenswert.
FR-Wahlhelfer
20 Kandidat:innen treten bei der OB-Wahl in Frankfurt am 5. März an. Auf dieser Seite finden Sie die Positionen der fünf Bewerberinnen und Bewerber mit den größten Siegchancen. Aber was ist mit den anderen? Was denkt Maja Wolff über Kulturpolitik, welche Meinung hat der Bahnbabo zur Situation im Bahnhofsviertel? Und macht die Kunstfigur Prof. Dr. Bembel von der „Partei“ etwa seriöse Politik?
Diese Fragen beantwortet der digitale Wahlhelfer der Frankfurter Rundschau. Die Kandidatinnen und Kandidaten haben von uns 25 kommunalpolitische Thesen vorgelegt bekommen. Etwa: „Der öffentliche Raum soll umgebaut werden: zugunsten des Radverkehrs, Fußverkehrs und Nahverkehrs und zulasten des Autoverkehrs“ oder „Die städtische Wohnungsgesellschaft ABG sollte die Miete für Haushalte, die Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten, stark senken.“ Darauf sollten sie mit Ja, Nein oder Neutral antworten. Zudem konnten sie einen kurzen Kommentar zur These abgeben.
Die Nutzer:innen können zu diesen Thesen selbst Stellung nehmen und sie bei Bedarf doppelt gewichten. In der Auswertung erfahren sie dann, wie groß die Übereinstimmung ihrer Positionen mit den Antworten der einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten ist.
Der Wahlhelfer findet sich im digitalen Dossier der FR zur OB-Wahl: www.fr.de/ob-wahl
Freien Träger stehen „mit dem Rücken zur Wand“
Doch damit einher geht ein gravierendes Problem: die finanzielle Lage der freien Träger der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Seit 2016 wurden die Zuschüsse nicht mehr adäquat ersetzt, rechnet der Frankfurter Jugendring vor. Zwar gab es 2019 eine Erhöhung des Zuschusses zu Personalkosten um drei Prozent, doch allein nach der Tarifrunde 2022 stiegen die Kosten um 5800 Euro je Vollzeitstelle.
Dadurch fehlten nun im Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit 2,2 Millionen Euro allein an Personalkosten – Sach- und Mietkosten sowie gestiegene Energiekosten gar nicht berücksichtigt.
Die Folgen sind verheerend. Einigen Trägern drohe die Insolvenz, Öffnungszeiten wurden verringert, Mädchen- und Jungentage gestrichen, ganze Treffs geschlossen. „Die Einrichtungen stehen mit dem Rücken zur Wand“, lässt der Jugendring mitteilen.
Frankfurt-Pass Segen und Fluch zugleich
Ein probates Mittel der Stadt, um Menschen mit wenig Geld eine Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen, ist der Frankfurt-Pass. Die Einkommensgrenze, um diesen beantragen zu können, liegt bei Einpersonenhaushalten bei 976 Euro netto, bei Zweipersonenhaushalten bei 1264 Euro netto.
Für jede weitere Person erhöht sie sich um 288 Euro. Der Pass ermöglicht vergünstigte Eintritte in Museen, Schwimmbäder und weitere Einrichtungen. Auch die Nahverkehrstickets sind damit günstiger. Ein großes Problem ist die Stigmatisierung. Wer die Karte an der Kasse vorzeigt, outet sich automatisch als arm.
OB-Wahl in Frankfurt
FR-Online-Dossier: Wer wird Oberbürgermeister oder Oberbürgermeisterin von Frankfurt? Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden am 5. März. Stichwahl-Termin wäre der 26. März. Die FR bündelt ihre Berichterstattung mit Analysen, Porträts und aktuellen Nachrichten in einem Online-Dossier.
Mit dem exklusiven FR-Wahlhelfer können Sie einfach und interaktiv herausfinden, welche:r Kandidat:in Ihnen inhaltlich nahe steht. 25 Thesen hat die FR-Redaktion ausgesucht - die Sie selbst gewichten können.
FR-Stadtgespräch zum Nachschauen: Am Mittwoch, 8. Februar, stellten sich den Fragen des FR-Römerteams die Kandidat:innen Manuela Rottmann, Uwe Becker, Mike Josef, Daniela Mehler-Würzbach und Yanki Pürsün. Die Diskussionsrunde lässt sich im Video nachsehen.
OB-Talks: Mit dem Medienmanager Bernd Reisig (Stiftung „Helfen helfen“) lud die FR vier Kandidat:innen zu Einzelgesprächen ins SAE Institute: Uwe Becker (CDU), Manuela Rottmann (Grüne), Mike Josef (SPD) und - als Ergebnis einer Lerser:innen-Abstimmung - der Kandidat der „Partei“, Prof. Dr. Dr. Bembel, vertreten durch Katharina Tanczos. Die vier Abende im Video zum Nachschauen.
Ein besonderes Augenmerk muss die Politik auch auf Ältere richten. Seit Jahren steigt die Zahl der Seniorinnen und Senioren, die auf Grundsicherung angewiesen sind. Lag die Zahl im September 2018 in Frankfurt noch bei 10.430, so bezogen im September 2022 bereits 13.343 Menschen über 65 Jahre Grundsicherung.
Wie bereits bei Kindern versucht die Stadt auch in dieser Altersgruppe mit den gleichen Mitteln zu helfen. So wird das Angebot der Seniorenmittagstische bezuschusst, damit nur noch 2,80 Euro dazuzuzahlen sind. Auch der Antrag eines Frankfurt-Passes ist für ältere Menschen möglich. Damit erhalten sie beispielsweise Ermäßigungen auf Ausflüge und Veranstaltungen speziell für Senior:innen, die von der Stadt angeboten werden.
Geflüchtete ohne Chance am Wohnungsmarkt
Auch die Unterbringung und Integration von geflüchteten Menschen ist Teil des Sozialbereiches. Das Dezernat von Elke Voitl spricht von fast 10.000 geflüchteten und wohnungslosen Personen, wobei der Anteil an Geflüchteten mit rund zwei Dritteln überwiegt. Momentan bekommt die Stadt keine Zuweisungen vom Land; die Lage scheint sich etwas entspannt zu haben. Doch noch immer lebt ein großer Teil der Menschen in Unterkünften, die Familien nicht den Platz und nicht die Intimität bieten, die sie brauchten.
Klar ist, dass der Wohnungsmarkt umkämpft ist. Den allerwenigsten Geflüchteten ist es möglich, auf eigene Faust eine Mietwohnung zu finden. Auch die Stadt sucht nach Grundstücken und Liegenschaften, die man zur Unterbringung nutzen kann. Damit geht man nahtlos zum nächsten Problem über: Die Zahl der Sozialwohnungen ist stark gesunken. Von 67.980 im Jahr 1990 auf 30.477 Sozialwohnungen 2020.
Zwar gibt es die Vorgabe, dass in neuen Baugebieten bis zu 30 Prozent geförderte Wohnungen entstehen und bis zu 15 Prozent gemeinschaftliches und genossenschaftliches Wohnen Platz finden müssen, doch fordern Kritiker:innen höhere Prozentzahlen. Weil viele Menschen sich Frankfurt einfach nicht mehr leisten können.

DIE POSITIONEN DER KANDIDATINNEN UND KANDIDATEN
Manuela Rottmann (Grüne)

Die Kandidatin der Grünen will den Inhaber:innen des Frankfurt Passes ein 25-Euro-Ticket subventionieren, um Bus und Bahn günstiger nutzen zu können. Rottmann würde sich für die Innenstadt rund um die Zeil mehr soziale Einrichtungen wünschen. Auch Bildung und Kultur sollen dort eine größere Rolle spielen.
Beim Frankfurter Weg in der Drogenpolitik weiß sie, dass es neue rechtliche Möglichkeiten braucht, um ihn weiter zu beschreiten. Als Oberbürgermeisterin will sie nach Berlin fahren, um die Rechtsanpassungen im Bund durchzusetzen. Gerade für ältere Menschen sollen Nahversorgung, Gesundheitsversorgung, Freizeit- und Erholungsflächen fußläufig möglich und erreichbar sein.
Auch die Barrierefreiheit erwähnt die Kandidatin explizit, aber unspezifisch in ihrem Programm. Die Träger von Alten- und Pflegeeinrichtungen möchte sie für den Ausbau kultursensibler Angebote gewinnen. Sie befürwortet einen Energiefonds, aber lehnt den städtischen Einstieg bei Binding ab.
Yanki Pürsün (FDP)

Der FDP-Kandidat setzt überraschende Akzente beim Thema Soziales. Pürsün möchte die Bedürfnisse des Ehrenamtes in den Fokus der Stadtpolitik rücken. Freiwilliges Engagement vereine nicht nur die Menschen, sondern verdiene auch Wertschätzung, die es noch zu wenig erhalte. Außerdem wünscht sich der FDP-Mann „mehr Angebote bei der Hebammenversorgung rund um die Geburt, für junge Familien und frühe Hilfen“.
Auch die Angebote gegen Vereinsamung möchte Pürsün, der für die FDP im Sozialausschuss sitzt, ausbauen. Der Liberale weiß um die finanziellen Nöte der freien Träger der Kinder- und Jugendarbeit. Durch einen Inflationsausgleich will er die Arbeit sichern.
Einen Einstieg bei Binding lehnt er ab. Zum einen, weil die Brauerei keinen Einstieg anbiete, zum anderen, weil die Stadt keine bessere Unternehmerin sei. Er positioniert sich auch gegen einen städtischen Energiefonds, weil es bereits einen landeseigenen Fonds gibt.
Daniela Mehler-Würzbach (Linke)

Die Kandidatin der Linken sollte in diesem Themengebiet ein Heimspiel haben, und tatsächlich spricht sie viele Aspekte an. So fordert sie eine wirksame Bekämpfung von Kinderarmut, auch indem man die Arbeitslosigkeit der Eltern in den Blick nimmt. Zudem will sie den Kampf gegen Obdachlosigkeit und für ein menschenwürdiges Wohnen aufnehmen.
Mehler-Würzbach fordert weiterhin, dass die Einkommensgrenzen für den Frankfurt-Pass spürbar angehoben werden. Die Unterfinanzierung der freien Träger der Jugendarbeit müsse ein Ende haben. In Ämtern und Behörden solle respektvoll mit den Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, umgegangen werden. Die Linken-Politikerin ist gegen Stromsperren und für einen Energiefonds. In der Binding-Frage hält sie die Schaffung einer städtischen Brauerei nicht für unmöglich.
Uwe Becker (CDU)

Der CDU-Kandidat möchte den Frankfurt-Pass gerne abschaffen. An seiner Stelle soll die „Frankfurt-Card“ treten, die jede Bürgerin und jeder Bürger, unabhängig vom Einkommen, hat. Auf ihr sollen dann individuelle Leistungen gespeichert werden, etwa das Nahverkehrsticket, die Museumsufercard und eben der Frankfurt-Pass, wenn man Anspruch darauf hat. Dadurch würde die Stigmatisierung an den Kassen wegfallen, weil für Umstehende nicht erkennbar ist, was auf der Frankfurt-Card ist.
Auch möchte der Christdemokrat die Kinderarmut abbauen. Dies gelinge über die Eltern, die man mit spezifischen Frankfurter Arbeitsmarktprogrammen in Lohn und Brot bringen solle. Die stadtteilnahe Altenpflege will er ausbauen, gerade Kurzzeitpflegeplätze fehlen, und Träger sollten dafür mehr Geld bekommen. Tarifanpassungen bei den freien Trägern der Jugendarbeit müssten schneller erfolgen. Einen Energiefonds befürwortet Becker ebenso wie den Einstieg der Stadt bei Binding.
Mike Josef (SPD)

Der SPD-Kandidat plädiert für anständige Löhne und Mitbestimmung in den hiesigen Unternehmen. Er möchte gern das Modell „Frankfurt-Zuschlag“ ins Spiel bringen. Dieses orientiert sich an der „München-Zulage“, die für Beschäftigte im öffentlichen Dienst in der Landeshauptstadt einen finanziellen Zuschlag zu ihrem Tariflohn vorsieht. Josef will auch den Aktionsplan „Frankfurt für alle bezahlbar“ ins Leben rufen. Ziel sind Löhne, von denen die Menschen in Frankfurt leben können.
Zudem würde er gern die Einkommensgrenze beim Frankfurt-Pass um etwa 20 Prozent anheben. Der Sozialdemokrat findet auch, dass die Stadt alles tun müsse, um den Gewerbestandort Binding und die Arbeitsplätze dort zu sichern. Er spricht sich aber nicht für einen Einstieg der Stadt bei Binding aus. Josef hält einen Energiesparfonds für zwingend erforderlich.