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Frankfurt: Die Herrin der Stimmzettel

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Von: Georg Leppert

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Annette Hilger hat einen langen Sonntag vor sich.
Annette Hilger hat einen langen Sonntag vor sich. © Monika Müller

Annette Hilger verfügt als Wahlvorstand über viel Erfahrung, großesPflichtbewusstsein und ein gesundes Maß Humor. Am Sonntag ist sie bei der OB-Wahl im Einsatz.

In den vergangenen Wochen und Monaten hat Annette Hilger viel gelesen über die Pannen bei der Wahl in Berlin im September 2021. Und so genau wusste die 58 Jahre alte Frankfurterin nicht, ob sie lachen oder weinen soll. In den Wahllokalen gibt es nicht genügend Stimmzettel? Und dann legt ein Wahlhelfer einfach den Zettel auf den Kopierer und vervielfältigt ihn dutzendfach?

Annette Hilger schüttelt den Kopf. „Eines weiß ich: So etwas wird bei mir nie vorkommen – niemals “, sagt die Niederräderin. Man glaubt es ihr aufs Wort.

Seit knapp 40 Jahren arbeitet Annette Hilger bei jeder Abstimmung in Frankfurt im Wahllokal. Erst war sie Wahlhelferin, doch längst ist sie die Vorsteherin im Wahlraum 371-03 in der KGS Niederrad. Am Sonntag wird sie spätestens um 7.30 Uhr vor Ort sein, und als erste Amtshandlung wird Hilger die Stimmzettel zählen. Sollten es zu wenige sein, „werde ich das Wahllokal nicht öffnen, sondern sofort das Wahlamt anrufen“, sagt sie resolut.

OB-Wahl in Frankfurt

FR-Online-Dossier: Wer wird Oberbürgermeister oder Oberbürgermeisterin von Frankfurt? Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden am 5. März. Stichwahl-Termin wäre der 26. März. Die FR bündelt ihre Berichterstattung mit Analysen, Porträts und aktuellen Nachrichten in einem Online-Dossier.

Mit dem exklusiven FR-Wahlhelfer können Sie einfach und interaktiv herausfinden, welche:r Kandidat:in Ihnen inhaltlich nahe steht. 25 Thesen hat die FR-Redaktion ausgesucht - die Sie selbst gewichten können.

FR-Stadtgespräch zum Nachschauen: Am Mittwoch, 8. Februar, stellten sich den Fragen des FR-Römerteams die Kandidat:innen Manuela Rottmann, Uwe Becker, Mike Josef, Daniela Mehler-Würzbach und Yanki Pürsün. Die Diskussionsrunde lässt sich im Video nachsehen.

OB-Talks: Mit dem Medienmanager Bernd Reisig (Stiftung „Helfen helfen“) lud die FR vier Kandidat:innen zu Einzelgesprächen ins SAE Institute: Uwe Becker (CDU), Manuela Rottmann (Grüne), Mike Josef (SPD) und - als Ergebnis einer Lerser:innen-Abstimmung - der Kandidat der „Partei“, Prof. Dr. Dr. Bembel, vertreten durch Katharina Tanczos. Die vier Abende im Video zum Nachschauen.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Derartige Probleme hatte sie in den ganzen Jahren und Jahrzehnten nicht ein einziges Mal. Und auch bei der Landtagswahl 2018, als es in Frankfurt Probleme gab und manche der zunächst veröffentlichten Ergebnisse nicht stimmten, lief bei Frau Hilger im Wahlraum 371-03 alles glatt.

Annette Hilger ist eine pflichtbewusste Frau. Eine Frau, die hohe Ansrpüche an sich selbst stellt. Das gilt für ihre Tätigkeit als Wahlvorstand ebenso wie für ihren Beruf. Im Sozialamt der Stadt kümmert sie sich um Unterkünfte für Geflüchtete. Eine anspruchsvolle Aufgabe in Frankfurt, insbesondere seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine.

Es soll kein falsches Bild von Annette Hilger entstehen. Die Niederräderin arbeitet professionell und stets verlässlich – aber nicht befreit von Spaß. Ohnehin ist sie ein humorvoller Mensch. Hilger belegt regelmäßig Kurse in Improvisationstheater, und das merkt man ihr an. Wie sie etwa das Drama ums Wahlgeheimnis darstellt, das sich mitunter vor ihren Ohren abspielt, ist einfach nur lustig...

Ein Ehepaar, immerhin nutzen sie unterschiedliche Wahlkabinen. Dann ruft der Mann: „Duuuu, Helga, wie wähle ich jetzt die CDU?“ Oder der Erstwähler, der keine Ahnung hat, was er eigentlich machen soll. Hilger erklärt ihm in aller Ruhe, wie so eine Wahl funktioniert, der Mann macht sein Kreuz, und drückt der Wahlvorsteherin den Stimmzettel einfach in die Hand. Erst als Hilger ihn energisch zurückruft, und Annette Hilger kann durchaus energisch werden, wird ihm klar, dass der Zettel wohl in die Wahlurne gehört.

OB-Wahl in Frankfurt

Rund 512.000 Menschen können am Sonntag, 5. März, bei der OB-Wahl in Frankfurt ihre Stimme abgeben. 20 Kandidatinnen und Kandidaten treten an. Sofern im ersten Wahlgang niemand auf mehr als 50 Prozent kommt, gibt es zwischen den beiden Bestplatzierten am 26. März eine Stichwahl.

Briefwahl lässt sich auf der Internetseite www.frankfurt.de beantragen. Allerdings wird die Zeit dafür nun schon knapp. Wer nicht am Sonntag ins Wahllokal gehen kann oder will, sollte lieber das Briefwahllokal in der Stiftstraße 29 (Innenstadt) besuchen und dort direkt abstimmen. Öffnungszeiten: Montag von 9 bis 17 Uhr, Dienstag und Mittwoch von 7.30 bis 14 Uhr, am Donnerstag von 10 bis 18 Uhr und am Freitag von 7.30 bis 13 Uhr.

Die Wahlbenachrichtigungen sind mittlerweile alle verschickt. Sie gelten auch für die Stichwahl. Wer keine bekommen hat, aber wahlberechtigt ist, sollte sich ans Wahlamt wenden, Telefon 069 / 212 - 40 400.

Der Klassiker aber kommt bei Annette Hilger nicht vor. Mama und Papa im Wahllokal, das Kind dabei. Es schaut erst in der einen, dann in der anderen Kabine vorbei und teilt schließlich mit: „Papa, die Mama wählt ja etwas ganz anderes als du.“

Hilger hat von solchen Fällen gehört und sagt deshalb klar: Wenn Kinder lesen können, dürfen sie nicht in die Wahlkabine. Dafür bietet sie den Jungen und Mädchen ein Alternativprogramm an. Sie dürfen selbst wählen – auf Stimmzetteln, die Hilger vorher ungültig gemacht hat.

Was treibt jemanden an, immer wieder bei der Organisation der Wahl zu helfen? Die 50 Euro, die in Frankfurt als Aufwandsentschädigung gezahlt werden, sind es bestimmt nicht. Annette Hilger geht es um gesellschaftliche Verantwortung. Als junge Frau unternahm sie eine Reise nach Warschau und ins frühere Konzentrationslager Stutthof.

Eindrücklich erfuhr sie, was ein Regime tun kann, wenn es keine freien, gleichen und geheimen Wahlen gibt. Sie beschloss, für die Demokratie einzutreten – im Wahlraum von 7.30 Uhr bis abends, wenn alle Stimmen gezählt sind.

Sie selbst war auch politisch aktiv. Erst bei den Grünen. Es war die Zeit der Friedensbewegung und der Proteste gegen die Startbahn West. Hilger machte mit und kassierte prompt eine Anzeige, weil sie ein Wahlplakat gestaltete mit dem Hessen-Löwen als wild um sich knüppelnden Polizisten. Das Verfahren wurde eingestellt, die Grünen zogen in den Landtag ein und wurden der Niederräderin dort „zu bürgerlich“. Sie trat aus der Partei aus.

Mittlerweile ist Hilger SPD-Mitglied. Doch Wahlkampf macht sie nicht. Der anstrengende Job, dazu die Tätigkeit als Wahlvorstand, das reicht ihr dann doch. Schließlich soll auch noch Zeit bleiben für Kinobesuche, für Konzerte, für Reisen.

Wie viel Hilger am kommenden Sonntag zu tun haben wird? Sie hofft auf viel Arbeit. Dass Menschen nicht wählen gehen, kann sie gar nicht verstehen. Wer keinen Kandidaten oder keine Kandidatin untersützen möchte, sollte doch zumindest „ungültig“ wählen, sagt Hilger: „Das sind die echten Protestwähler.“

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