„NSU 2.0“-Prozess in Frankfurt: Angeklagter begegnete Polizei „mit dem Finger am Abzug“

Ein Polizist schildert die dramatische Festnahme des Tatverdächtigen im „NSU 2.0“-Verfahren in Berlin. Er erklärt, warum der Zugriff in der Wohnung erfolgte.
Frankfurt – Der Angeklagte im „NSU 2.0“-Prozess hat nach Angaben der Polizei eine Waffe auf die Beamten gerichtet, als sie ihn am 3. Mai 2021 festnehmen wollten. „Der Finger war am Abzug“, sagte der Leiter operative Maßnahmen im Landeskriminalamt, der bei dem Einsatz in Berlin vor Ort war und am Donnerstag (21.04.2022) als Zeuge vor dem Landgericht Frankfurt aussagte.
Alexander M. ist angeklagt, weil er mehr als 100 rechtsextreme, rassistische und sexistische Schreiben mit Morddrohungen an Journalist:innen, Politiker:innen und Rechtsanwält:innen verschickt haben soll, die mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnet waren, angelehnt an die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Auch Widerstand gegen die Beamten zählt zu den Anklagepunkten.
Details zur Festnahme des Angeklagten im „NSU 2.0“-Prozess
Der Polizist schilderte, wie das Mobile Einsatzkommando (MEK) die Wohnungstür von Alexander M. mit vier Rammstößen aufgebrochen hatte. M. sei ihnen in der engen Wohnung entgegengekommen und habe eine Waffe mit dem Lauf in Richtung der Polizei gerichtet, den Finger am Abzug. Nach mehrfacher Aufforderung, die Waffe wegzulegen, habe er reagiert. „Bestimmt fünf, sechs, sieben Mal“ sei M. dazu aufgefordert worden.
Der Angeklagte M. bestritt, dass er Widerstand geleistet habe. „Ich dachte, ich werde jetzt überfallen“, schilderte er. Als er gemerkt habe, dass es sich um die Polizei handele, habe er die Waffe sofort niedergelegt.
„NSU 2.0“-Prozess in Frankfurt: „Dann wird uns die Presse zerreißen“
Der LKA-Beamte machte klar, dass in dieser Situation aus seiner Sicht die Gefahr bestand, dass ein Polizist auf M. hätte schießen können. „Wenn wir uns nicht so sensibel vorbereitet hätten, dann wäre es wahrscheinlich passiert“, formulierte er. Das MEK sei darauf eingestellt gewesen, dass es zu einer Konfrontation kommen könnte, weil M. schon früher wegen Beleidigungen, Körperverletzungen und Waffenbesitz aufgefallen war. Der Beamte schilderte, dass man in der Vorbereitung darüber gesprochen habe, dass M. auf keinen Fall durch einen Polizeischuss „mit letalem Ausgang“ getötet werden dürfe. „Dann wird uns die Presse zerreißen“, weil die Polizei „den einzigen Zeugen“ beseitigt hätte, so die Befürchtung.
Die Polizei steht in dem Fall unter besonderer Beobachtung, da der Verdacht besteht, dass auf mehreren Revieren persönliche Daten von Personen abgefragt wurden, die kurz darauf für Drohschreiben verwendet wurden. In der nächsten Woche ist in dem Prozess vor dem Landgericht daher die Vernehmung von Polizeibeamten aus dem 1. Revier auf der Frankfurter Zeil geplant, wo Daten der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz abgerufen worden waren, die kurz darauf von „NSU 2.0“ bedroht wurde.
Festnahme im „NSU 2.0“-Prozess: Angeklagter sollte am laufenden Rechner erwischt werden
M.s Verteidiger Marcus Steffel mutmaßte, die Polizei könne eine Widerstandshandlung bewusst in Kauf genommen haben. Er und sein Kollege Ulrich Baumann fragten mehrfach nach, warum die Polizei den Beschuldigten nicht beim Einkaufen vor dem Supermarkt festgenommen hatte, wo er vermutlich arglos und unbewaffnet gewesen wäre. Der Einsatzleiter erläuterte dazu, der Sonderermittler der hessischen Polizei, Hanspeter Mener, habe um die Festnahme in der Wohnung gebeten. Denn „Hauptziel“ sei es gewesen, den Beschuldigten am laufenden Rechner vorzufinden, von dem er die Drohschreiben versandt haben soll.
Ein weiterer Polizeibeamter wurde am Donnerstag zu pornografischen Videos und Filmen befragt, die auf dem Rechner des Angeklagten gefunden worden waren. M. wird vorgeworfen, jugendpornografisches Material besessen zu haben. Der Angeklagte zweifelte aber an, dass die abgebildeten Personen minderjährig waren, wie es der Polizeiexperte dargestellt hatte.
In den Zeugenstand wurden auch ein Journalist der Tageszeitung „taz“ und eine Oberstaatsanwältin der Berliner Justiz gebeten, die Schreiben vom „NSU 2.0“ erhalten hatten. Die Comedienne Carolin Kebekus, die ebenfalls von diesem Absender beleidigt und bedroht worden war, war ebenfalls geladen, erschien aber nicht vor Gericht. (Pitt von Bebenburg)