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„NSU 2.0“-Prozess: Frankfurter Polizei soll Beweise manipuliert haben

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Von: Pitt von Bebenburg

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1. Frankfurter Polizeirevier auf der Zeil: Auf einem Computer in diesem Revier waren Daten der bedrohten Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz abgerufen worden.
1. Frankfurter Polizeirevier auf der Zeil: Auf einem Computer in diesem Revier waren Daten der vom „NSU 2.0“ bedrohten Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz abgerufen worden. © Boris Roessler/dpa

Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohungen wird der Polizei in Frankfurt vorgeworfen, Beweise manipuliert zu haben. Ein PC mit wichtigen Daten war plötzlich „defekt“.

Frankfurt – Der Computer im 1. Frankfurter Polizeirevier, von dem unbefugt Daten der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz abgerufen worden waren, wurde möglicherweise später von einem Polizeibeamten manipuliert. Diesen Verdacht hat die Anwältin von Basay-Yildiz, Antonia von der Behrens, am Donnerstag (05. Mai) im Prozess um die rechtsextremen „NSU 2.0“-Drohungen geäußert und belegt.

Nach ihren Angaben geht aus den Ermittlungsunterlagen hervor, dass ausgerechnet dieser Computer am Abend des 11. September 2018 als defekt gemeldet wurde und „neu aufgesetzt“ werden musste. An jenem Tag hatten die Polizeibeamt:innen einer Dienstgruppe des Reviers von dem Verdacht erfahren, aus ihren Reihen könne eine rassistische Todesdrohung gegen Basay-Yildiz und ihre Tochter aus dem August 2018 stammen.

„NSU 2.0“-Prozess in Frankfurt: Anwältin geht von Beweismanipulation aus

Am Nachmittag des 11. September hatte es Durchsuchungen und Vernehmungen auf dem Revier gegeben. Als ein anderer Polizist um 19.00 Uhr zur Spätschicht den Rechner hochfahren wollte, stellte er fest, dass das nicht mehr möglich war, und meldete ihn als defekt.

„Der zeitliche Zusammenfall zwischen der Durchsuchung und dem Auftreten der Störung genau an dem fraglichen Rechner ist zu groß, als dass ernsthaft von einem Zufall ausgegangen werden kann“, argumentierte von der Behrens. Sie sprach von einer „möglichen beziehungsweise wahrscheinlichen Manipulation“. Welche belastenden Informationen auf dem Computer gewesen sein könnten, sei „nicht bekannt“.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass alle 116 Drohschreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“ dem arbeitslosen Berliner Alexander M. anzulasten sind, der deswegen und wegen weiterer Delikte angeklagt ist. Die Nebenklage-Vertreterin von der Behrens zeigt sich dagegen überzeugt, dass das erste „NSU 2.0“-Drohschreiben, das per Fax an Basay-Yildiz ging, von einem Polizisten des 1. Reviers abgeschickt wurde.

Frankfurt: Vorwürfe an die Polizei im „NSU 2.0“-Prozess – „Vertrauen unwiederbringlich zerstört“

Auch der Angeklagte betonte, er könne nicht „Alleintäter“ sein. Er warf der hessischen Polizei vor, mit großem „Verfolgungseifer“ gegen ihn ermittelt zu haben. So seien in die Auswertungen Rechner einbezogen worden, die bereits 2017 bei ihm beschlagnahmt worden seien, also vor Beginn der „NSU 2.0“-Drohserie. Er habe sie später nie wieder benutzt. Auf dem einzigen von ihm später verwendeten Computer seien aber nur vier Drohschreiben vollständig und sieben teilweise vorgefunden worden.

Die Berliner Kabarettistin Idil Baydar, die mehrfach vom „NSU 2.0“ mit dem Tode bedroht wurde, schilderte vor Gericht sehr emotional, welche Wut und Ängste die SMS und Schreiben bei ihr ausgelöst haben. „Das war schon traumatisierend“, sagte Baydar. Sie sei nun wegen Depressionen in Behandlung. Sie habe sich für ihre Auftritte private Security genommen und nutze keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr, berichtete die Kabarettistin über Konsequenzen aus den Drohungen.

Baydar schilderte ihren Eindruck, dass ihre wiederholten Anzeigen von der Polizei nur abgehakt worden seien. Wenn nun auch noch herauskomme, dass die Polizistinnen und Polizisten an der Drohschreiben-Serie beteiligt sein könnten, verstärke das nur ihr Misstrauen. „Mein Vertrauen in Polizei und Justiz ist unwiederbringlich zerstört“, sagte Baydar. Vorher hatte auch die Kriminalpsychologin Lydia Benecke geschildert, dass sie nach Drohschreiben des „NSU 2.0“ Sicherheitsmaßnahmen getroffen und dafür Ausgaben gehabt habe.

Neue Erkenntnisse im „NSU 2.0“-Prozess: Drohschreiben an Robert Habeck gefunden

Eine Ermittlerin berichtete als Zeugin, dass der Drohbriefschreiber in der Zeit ab Dezember 2018 zahlreiche Entwürfe für seine Briefe verfasst habe. Sie fänden sich in dem Postfach eines russischen E-Mail-Anbieters, von dem Drohmails ab diesem Zeitpunkt versandt wurden und das die Polizei auswerten konnte.

Dabei habe sich gezeigt, dass er sich mal vertippte, wenn er etwa die Linken-Politikerin Janine Wissler bedrohen wollte, und manche Mail trotz korrekter Adresse nicht zugestellt wurde, etwa an den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU). Die Zeugin vermutete, dies könne daran liegen, dass dessen Postfach die Mail von einem russischen Anbieter aus Sicherheitsgründen zurückgewiesen habe. In dem Fach fand die Ermittlungsgruppe auch mehrere Drohschreiben, die der Polizei vor der Auswertung noch nicht bekannt geworden waren, etwa an den Grünen-Politiker Robert Habeck. (Pitt von Bebenburg)

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