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Vier Bäume in wenigen Stunden

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Von: Boris Schlepper

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Bis Mitte kommenden Jahres soll auf dem Grundstück ein neues Wohnhaus entstehen.
Bis Mitte kommenden Jahres soll auf dem Grundstück ein neues Wohnhaus entstehen. © christoph boeckheler*

Die Stiftung für Blinde und Sehbehinderte schafft in der Adlerflychtstraße Platz für einen Neubau. Dass dafür alte Bäume gefällt werden mussten, sorgte für Proteste im Stadtteil.

Sobald der Kran positioniert ist, geht alles recht schnell. Stück für Stück packt der hydraulische Ausleger die Äste, kappt sie mit einer integrierten Säge und hebt sie komplett nach unten. Selbst vor dem dicken Stamm der alten Eiche macht die Maschine keinen Halt. Innerhalb kürzester Zeit sind nur noch Reste von dem Meter hohen Baum in der Adlerflychtstraße übrig.

„Ich bin maßlos traurig“, sagt ein älterer Mann, der das Spektakel von der gegenüberliegenden Straßenseite aus verfolgt. „So einen schönen Baum bekommen wir in 100 Jahren nicht mehr. Und das für ein Wohnhaus.“ Doch das ist der Plan: Die Eigentümerin des Grundstücks, die Stiftung für Blinde und Sehbehinderte, hat am Dienstag vier große Bäume fällen lassen, um Platz für einen Neubau mit 20 Mietwohnungen zu schaffen.

Das Projekt ist umstritten, sowohl in der Stadtregierung als auch im zuständigen Ortsbeirat 3 (Nordend). Die Untere Naturschutzbehörde hatte die Fällung zunächst nicht gestattet, da die Bäume erhaltenswert seien. Die Bauaufsicht hatte das Vorhaben jedoch genehmigt, da es für das Areal einen Bebauungsplan gibt. Planungsdezernent Mike Josef (SPD) hatte im Planungsausschuss klargemacht, dass er die Entscheidung nicht nur juristisch, sondern auch politisch richtig finde (die FR berichtete).

„Wir konnten die Fällung leider nicht verhindern“, sagt Gabriele Trah, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Ortsbeirat 3, vor Ort. Leider gelte Baurecht vor Naturschutz. „Das ist ein trauriger Tag für das Nordend, wenn eine der letzten unversiegelten Oasen mit fantastischen Baumbestand einem Bau für teure Wohnungen weichen muss“, so Trah. „Bitter ist auch, dass nicht mal eine geförderte oder genossenschaftliche Wohnung dabei ist.“ Behutsame Nachverdichtung, wie im Koalitionsvertrag beschrieben, „kann man das nicht nennen“.

Rod Thomas, der seit rund 20 Jahren in einer der 40 Wohnungen der Stiftung zwischen Adlerflycht- und Stalburgstraße lebt, ist traurig. Die Fläche sei für die Anwohner und Anwohnerinnen ein Ort zum Ausruhen und Entspannen gewesen. Dass die Bäume weichen müssen, „das trifft einem ins Herz“. Der Garten sei eine Oase gewesen, sagt auch Willi Preßmar, der lange Zeit die Grünen im Ortsbeirat vertrat, „auch für die Nachbarschaft“.

Stiftungsvorstand Andreas Enzmann bedauert ebenfalls, dass die Bäume gefällt werden mussten. Bei der Planung des Neubaus, der Mitte 2023 stehen soll, seien alle Varianten durchgespielt worden, um sie zu erhalten. Da sie genau im Baufenster gestanden hätten, sei ein Erhalt nicht möglich gewesen. Die Stiftung werde jedoch im Innenhof, wo derzeit ein versiegelter Parkplatz ist, eine neue Grünanlage mit großen Bäumen schaffen. „Dafür nehmen wir sehr viel Geld in die Hand.“ Auch seien zwei der vier Bäume krank gewesen. Gutachter hätten sie zudem vorab untersucht, ob dort Tiere brüten oder leben. Das war nicht der Fall.

Dass der Neubau überhaupt entsteht, liege daran, dass in Frankfurt dringend Wohnraum benötigt werde, sagt Enzmann. Die Stiftung sei jedoch kein Investor, der versuche, viel Geld zu verdienen. Auch entstünden „keine Luxuswohnungen“, sondern ein grünes Stadthaus mit Wohnungen, die bevorzugt an Menschen mit Sehbehinderungen vergeben werden sollen. Wie hoch die Miete pro Quadratmeter werde, sagte er nicht. Bei der derzeitigen Entwicklung am Baustoffmarkt könne er sich nicht festlegen, das wäre „unredlich“.

Damit sich solche Fälle nicht wiederholen, fordert der Ortsbeirat, künftig früher über Nachverdichtungsvorhaben informiert zu werden. Die Grünen wollen zudem schauen, ob es weitere schützenswerte Grundstücke im Nordend gibt, für die gegebenenfalls ein veralteter Bebauungsplan gelte, der überarbeitet werden müsse, kündigt Gabriele Trah an.

So soll der Neubau einmal aussehen.
So soll der Neubau einmal aussehen. © Stiftung für Blinde und Sehbehi

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