Nein zum Antisemitismus

In der Frankfurter Paulskirche wird anlässlich des Konzerts von Roger Waters darüber diskutiert, was Politik und Gesellschaft gegen die Judenfeindlichkeit tun müssen.
Wo sind die roten Linien? Wann endet Kunstfreiheit? An welcher Stelle beginnen Haltungen, die wir nicht mehr aushalten können? Wie kann man der breiten Masse ein Verständnis von Antisemitismus vermitteln?
Diese und viele weitere Fragen wurden am Mittwochabend bei einer Diskussionsveranstaltung in der Paulskirche anlässlich des Roger-Waters-Konzerts aufgeworfen. An diesem Sonntag wird der Mitgründer der Kult-Band Pink Floyd in der Frankfurter Festhalle auftreten. Waters ist in den vergangenen Jahren mit antisemitischen Aussagen und Bühnenshows in die Kritik geraten. Die Stadt Frankfurt hat seinen Auftritt verboten. Das Verwaltungsgericht hob das Verbot wieder auf.
Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) war es deshalb wichtig, ein Zeichen zu setzen: „Antisemitismus als Meinungsfreiheit? Nicht mit uns“, lautete der Titel der Veranstaltung. Nur 250 Menschen waren gekommen. „Er ist der bekannteste Künstler der BDS-Bewegung und nutzt seine Konzerte als Propagandaplattform“, sagte Eskandari-Grünberg. Die Festhalle sei ein Ort der Shoah. Hier seien 3000 jüdische Männer inhaftiert, misshandelt und von dort aus deportiert worden. Nur ganz wenige seien zurückgekommen. „Wir müssen Wege finden, wie wir mit solche Veranstaltungen umgehen können“, leitete Eskandari-Grünberg das Programm ein.
Die Schauspielerin Barbara Englert trug einen Text aus dem Film „Julius Meyer, November 1938“ vor. Anschließend wurde der Dokumentarfilm über den deutschen jüdischen Juristen gezeigt, der zunächst in die Festhalle und dann ist das KZ Buchenwald deportiert wurde. Nach 29 Tagen konnte er es verlassen und floh nach England. Das Filmhaus Frankfurt und die Deutsch-Israelische Gesellschaft hatten den Film bereits am 16. April gezeigt und über die historischen Bezüge der Festhalle eine Diskussionsveranstaltung organisiert.
„Die Geschichte der Festhalle ist in Frankfurt durchaus bekannt“, sagte Marc Grünbaum, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde. Allerdings habe die Diskussion gezeigt, dass sich die Festhalle dessen überhaupt nicht bewusst sei. Vier Tage nach Roger Waters trete die rechtsextreme Rockband Freiwild auf. „Das zeigt, dass Roger Waters kein Unfall ist“, sagte Grünbaum.
„Was kann überhaupt noch stattfinden?“, fragte Moderatorin Eva-Maria Magel von der „FAZ“. Die Journalistin und Autorin Esther Schapira sieht ein grundlegendes Missverständnis in der Debatte. Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit seien erlaubt. In einer Demokratie, müsse man viel aushalten. „Was gar nicht geht ist, dass wir denen eine Bühne bieten“, sagte Schapira. Im BDS-Beschluss sei festgehalten, dass einem BDS-Propagandisten keine Bühne geboten werde.
Monty Ott sieht ein großes Problem darin, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass Antisemitismus oft chiffriert geäußert wird. Als Beispiel nannte er das Wort Globalist, das für eine internationale Elite benutzt wird. „Oberflächlich betrachtet gibt es eine anti-antisemitische Einstellung“, sagte Ott, der von 2018 bis 2021 Gründungsvorsitzender des Vereins Keshet Deutschland war, in dem sich queere Jüdinnen und Juden zusammengeschlossen haben. Unter der Oberfläche verberge sich jedoch sehr viel Unwissenheit. Es brauche viel frustrierende und auch schmerzhafte Arbeit mit der Gesellschaft, die sich gerne Lügen erzähle.
Marc Grünbaum forderte, dass die Politik sich darüber Gedanken machen müsse, wie sie im Rahmen der Gesetze Antisemitismus, Rassismus und Menschenverachtung Einhalt gebieten kann.
„Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir die Meinungsfreiheit aufs Spiel setzen, wenn wir die Meinungsfreiheit ohne jegliche Schranke gewährleisten.“ Schapira verwies auf die Haltung der Zivilgesellschaft. „Wir haben die Pflicht, das Maul aufzumachen“, sagte sie. „Wer schweigt stimmt zu.“
Der Psychologe Kurt Grünberg befand, dass die Stadt Frankfurt gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hätte Einspruch einlegen müssen. Antisemitismus dürfe auch nicht als Unterkategorie von Rassismus betrachtet werden. Waters hat in der Vergangenheit bei seinen Bühnenshows Schweineluftballons mit einem Davidstern in die Höhe steigen, und platzen lassen. Das Publikum sollte dem „Schwein“ dann am Ende den Rest geben. „Wenn das Publikum aufgefordert wird, tätig zu werden, dann ist das Volksverhetzung und politische Propaganda“, sagte Grünberg.
Ott betonte, das der gesetzliche Rahmen eigentlich da sei, aber Staatsanwaltschaften oder Polizei oft keinen Antisemitismus erkennen. In Deutschland herrsche ein riesiges Wissen und es gebe eine umfangreiche Forschung zum Thema Antisemitismus. Er fragte in die Runde, was denn verkehrt laufe, um ein Verständnis davon an die große Masse zu vermitteln. Es seien oft die gleichen Leute, die sich dagegen erheben würden, aber nicht die ganze Zivilgesellschaft. Grünbaum äußerte sich pessimistisch, dass am Sonntag zur Gegenkundgebung viele Menschen kommen.
Schapira forderte eine wachere Justiz, der von der Politik klare Vorgaben gemacht werden, die wiederum von der Öffentlichkeit unter Druck gesetzt wird. „Wir müssen uns überall einmischen und diesen mühsamen Weg ununterbrochen gehen“, sagte Schapira.