Mit Clemens im Frankfurter Brentanobad abtauchen

Die Sonne macht Bäder zu Menschenmagneten. Nur Frühschwimmer haben die Chance auf einen Hauch Romantik.
Clemens Wenzeslaus Brentano war gewisslich ein Dichter der Romantik, der sich gewaschen hatte. Das ist ja nicht immer so einfach. Im Frankfurter Brentanobad etwa begrüßt die Besucher:innen ein Aushang: „Wegen eines technischen Defekts ist leider unsere komplette Duschanlage außer Betrieb.“ Einige der morgendlichen Badegäste fühlen sich offenbar um ihr Duschvergnügen betrogen, rufen laut Weh und Ach und fragen, wann sich dieser beklagenswerte Zustand ändern werde. Ein Badmitarbeiter hat sich als Hoffnungsvergrämer am Eingang postiert, blickt wie ein schwindsüchtiger Adept der Heidelberger Romantik ins Nirgendwo und sagt traurig, „wir benötigen Ersatzteile. Ersatzteile in diesen Zeiten? Das kann dauern“.
Auch die Kundin an der Kiosktheke macht den Eindruck, als sei ihr ein Wenzeslaus über die Leber gelaufen. Das Eis sei aber teuer, moniert sie. „Das ist nicht teuer“, kontert die Verkäuferin. „Ein Liter Sahne kostet mittlerweile über sechs Euro! Denken Sie mal nach!“ „Nein!“, widerspricht die Kundin, denkt dann aber doch mal nach und wundert sich selbst: „Ich habe gestern für 40 Euro eingekauft und dann in den Einkaufswagen geguckt. Da war nichts drin.“
Herrjeh, was ist nur mit den Leuten los? Sicher, Brentano hat bekanntlich seinen Lebensabend in Schwermut verbracht, aber doch nicht einen sonnigen Freibadmorgen. Aber wie Brentano schon so treffend bemerkte: „Du kannst den Geist nicht erzeugen. Du kannst ihn nur empfangen“.
Da allerdings besteht beim Brentanobad noch Nachbesserungsbedarf. Sicher, hin und wieder stehen auf ein paar Schildern unsterbliche Worte des namensspendenden Dichterfürsten, aber meist mangelhaft zitiert und aus dem Kontext gerissen: „Raucherzone hier“, „Nur für Schwimmer“, „Wassertiefe 1,80 Meter - Rödelheim hat Meer“. Sicher, das alles hat Brentano irgendwann mal zumindest so ähnlich gesagt, aber fast immer im Zorn, und hinterher tat es ihm auch leid. Dabei ließe sich mit echter brentanoscher Poesie gewiss ein Lächeln auf manches Antlitz zaubern und kaputte Duschen und teures Eis verlören viel von ihren Schrecken.
Einer muss einfach mal den Anfang machen. Etwa auf der neuen Rutsche des Brentanobads. Laut Bedienungsanleitung handelt es sich um eine „Breitwellenwasserrutsche“, wie schon Brentano sie liebte. Sie ist „nur für geübte Schwimmer“ von mindestens zwölf Lenzen berutschbar, am Ende warten auf die Wagemutigen „16 Zentimeter Fallhöhe“ als Lohn der Angst. „Können Sie schwimmen?“, fragt auf der Rutschen Höhe die besorgte Bademeisterin den Rutschbereiten. Auf solch profane Frage weiß Brentano die rechte Antwort: „Einsam will ich untergehen, / keiner soll mein Leiden wissen. / Wird der Stern, den ich gesehen, / von dem Himmel mir gerissen, / will ich einsam untergehen, / wie ein Pilger in der Wüste.“ Tatsächlich, die Bademeisterin lächelt, aber nicht wirklich fröhlich, eher ein bisschen verunsichert.
Doch dem Rutscher bleibt hienieden keine Zeit, nicht für Angst und nicht für Reue. Schon reißt ihn der Mahlstrom der Breitwellenwasserrutsche in die Tiefe, wirft ihn unbarmherzig in die Fallhöhe und nach schier endlosen 16 Zentimetern schließen sich über ihm die todeskalten Wasser (unbeheizt!) des großen Brentanobeckens (Wassertiefe 1,65 Meter, nur für Schwimmer). Wahrlich, nun wäre es Zeit, aus voller Brust den Bademeister anzurufen: „Meister, ohne dein Erbarmen / Muß im Abgrund ich verzagen / Willst du nicht mit starken Armen / Wieder mich zum Lichte tragen.“ Doch schweig Herz, kein Schrei! Unter Wasser hört den ja eh keiner. Und wider alles Erwarten taucht der Getauchte auch wieder auf.
Mit Brentanos Hilfe kann also schon eine an sich eher belanglose Rutschpartie zu einem wahren Donnerwetter der Romantik werden. Aber das funktioniert nur morgens. Spätestens gegen 11 Uhr ist diese Magie perdu. Zu viele Menschen strömen jetzt ins Bad, Schlangen vor dem Eingang, Schlangen vor der Eisausgabe, Schlangen an der Breitwellenwasserrutsche. Da kann die Wohlfahrt nimmer gedeihen, und wer jetzt noch keine Bahn gezogen hat, der zieht auch keine mehr.
Spätestens am frühen Nachmittag geraten Bad und Romantiker dann unweigerlich an ihre jeweiligen Belastungsgrenzen. Aber auch dafür gibt es natürlich ein passendes Brentano-Zitat: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Ach ne, das war gar nicht Brentano. Der hat vielmehr gesagt: „Die Menschen sind doch das Herrlichste auf der Welt.“ Hoffnungsloser Romantiker!