1. Mai in Frankfurt: Geld für Bildung statt für Waffen

Die DGB-Demonstration durch Frankfurt zieht etwa 5000 Menschen an. Die hohe Inflation und der Krieg in der Ukraine prägen den Protestzug und die Kundgebung auf dem Römer.
Frank Werneke könnte Optimismus verbreiten. In den Arbeitskämpfen der vergangenen Monate sei die Streikbereitschaft so hoch wie nie gewesen, allein die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi habe in den vergangenen Monaten 90 000 Mitglieder hinzugewonnen, zählt ihr Bundesvorsitzender auf. „Die Gewerkschaften sind zurück“, ruft er bei der Abschlusskundgebung der 1.-Mai-Demonstration des Frankfurter DGB auf dem Römerberg. Sie seien so stark, dass ihre Gegner:innen das Streikrecht aushöhlen wollten. Dabei sei jeder Angriff auf das Streikrecht ein Angriff auf die Demokratie.
Doch die Situation für Menschen, die nicht blendend verdienen oder geerbt haben, bleibt schwierig. Werneke weist etwa auf die stark gestiegenen Preise für Strom, Heizung und Lebensmittel hin – wobei er Unternehmen vorwirft, diese stärker als nötig hochzusetzen, um sich „dumm und dämlich“ zu verdienen. Der einzige Weg, diese steigenden Lebenshaltungskosten auszugleichen, seien kräftige Lohnerhöhungen, sagt er.
Im Protestzug gibt es Kritik am Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst
Vielen im Demonstrationszug, der von der Hauptwache aus knapp eineinhalb Stunden durch die Innenstadt zieht, gehen die Tariferhöhungen, für die sie auf die Straße gegangen sind, aber nicht weit genug. „Kein Abschluss mit Reallohnverlust“ ist etwa auf einem Verdi-Banner zu lesen. Und: „Nein zum Tarifabschluss ÖD“, also im öffentlichen Dienst.
Der traditionelle Protestzug zum Tag der Arbeit, an dessen Spitze der Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel (SPD) und die Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler, zu sehen sind, vereint wieder einmal ein extrem breites Spektrum an Gruppen, was der Frankfurter DGB-Chef bei der Abschlusskundgebung ausdrücklich lobt. Eine Sprecherin der Verdi-Jugend beklagt mickrige Ausbildungsvergütungen und Bafög-Sätze. Reiche häuften immer mehr Vermögen an, zugleich litten immer mehr Kinder und Jugendliche unter Armut. Ein feministisches Streikkollektiv skandiert: „Küche, Ehe, Vaterland – unsere Antwort Widerstand“. Das Gewerkschaftsbündnis FAU fordert auf einem Banner, „Kapitalismus abschaffen“. Binding-Beschäftigte kämpfen gegen das Aus für ihre Brauerei und sammeln Unterschriften. Solidarität für den Widerstand im Iran ist immer wieder Thema. Eine kommunistische Gruppe fordert, „stoppt den Krieg gegen Russland“.
Verdi-Chef warnt in Frankfurt vor Aufrüstung: „Immer mehr Waffen schaffen keinen Frieden“
Der Krieg in der Ukraine prägt den Protestzug wie im vergangenen Jahr stark und spaltet die nach DGB-Schätzungen etwa 5000 Demonstrierenden. Der Verdi-Chef stellt sich klar gegen all jene unter diesen, die Russland eher als Opfer denn als Aggressor sehen, versucht aber auch Gemeinsames zu finden. „Uns eint das Ziel, das Töten zu verhindern.“ Fast in jedem Block der Demonstration werden die steigenden Rüstungsausgaben der Bundesregierung kritisiert. Statt der Bundeswehr 100 Milliarden Euro über ein Sondervermögen zur Verfügung zu stellen, solle man besser in Bildung und Gesundheit investieren, heißt es etwa. „Immer mehr Waffen schaffen keinen Frieden“, sagt auch Werneke. Zum ersten Mal spricht der designierte Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) bei der Maikundgebung. Das sei für ihn als ehemaligen Gewerkschaftssekretär des DGB eine große Ehre, betont er auf dem Römerberg, wo die Menschen dicht an dicht stehen. Er ruft alle, die für soziale Gerechtigkeit kämpfen, auf, gegen Rassismus und Antisemitismus aufzustehen – und gibt einen Einblick, was er im Amt prioritär angehen will. Jedes Kind müsse dieselben Chancen haben, sagt er.
Es dürfe nicht länger darauf ankommen, wo jemand herkomme. Ausdrücklich betont er, dass die Stadt ihre selbst gesetzten Klimaziele erreichen müsse. Und er verspricht, sich für den Erhalt von Industriearbeitsplätzen einzusetzen.
Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) zeigt sich erfreut, dass sich so viele Menschen kämpferisch für ihr Recht einsetzten, nicht aufgäben. Wütend sei sie dagegen, dass viele dieser Tage versuchten, Streiks zu delegitimieren. „Streik ist Demokratie“, ruft sie. Zwei Auszubildendenvertreter eines Frankfurter Klinikums berichten eindringlich von ihren Arbeitsbedingungen. Im Spätdienst gebe es oft nur zwei Fachkräfte für 30 Patient:innen, sagen sie. Auszubildende würden für Tätigkeiten eingesetzt, für die sie noch nicht qualifiziert seien. Das sei nicht zuletzt gefährlich.