Leder statt Geld für die Paulskirche in Frankfurt gespendet
Das Spendenregister für den Wiederaufbau der Paulskirche im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt enthält Kurioses. Ein Podcast informiert über 175 Jahre Demokratiegeschichte.
Ein dicker Wälzer ruht auf zwei Kissen im Lesesaal des Instituts für Stadtgeschichte. Das Buch birgt Kurioses zum Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Paulskirche. Es verzeichnet alle Spender:innen und was sie spendeten, damit das geschichtsträchtige Gebäude zum 100. Jahrestag der Nationalversammlung am 18. Mai 1948 wiedereröffnet werden konnte. Nicht alle gaben, wie das Land Hessen, das eine Million Reichsmark spendete, Geld. Die Stadt Offenbach schenkte Leder für den Bezug von Sesseln, Bad Orb 1000 Zigarren. Das Spendenregister ist eines von vielen Archivalien zur Geschichte der Paulskirche, die das Institut für Stadtgeschichte (ISG) verwahrt.
Zum Schutz des Spendenbuches, ein Geschenk der Stadt Würzburg, zieht Kristina Matron Handschuhe an und zeigt den aufwendig gestalteten Einband. Ein Phönix ist dort zu sehen und „Demokratia“, die Göttin der Demokratie, die nach den Schrecken des Nationalsozialismus wie die Paulskirche aus der Asche neu aufersteht. Dann blättert die ISG-Sprecherin einzelne Seiten auf. Auf einer ist vermerkt, dass die „Landesregierung Sachsens – Dresden“, obwohl Dresden durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg selbst weitgehend zerstört war, großzügige 100 000 Reichsmark für den Wiederaufbau gab. Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb (SPD) hatte in einem Spendenaufruf im Januar 1947 ausdrücklich um Unterstützung für das Bauvorhaben aus allen alliierten Besatzungszonen geworben. Selbst die SED, die Sozialistische Einheitspartei Deutschland, die sich zur Staatspartei der 1949 gegründeten DDR entwickelte, gab 10 000 Mark.
Das Würzburger Spendenverzeichnis ist eines von vielen Archivalien, die im Karmeliterkloster, dem Sitz des ISG seit 1959, in einem Tiefmagazin sowie in einem weiteren, siebengeschossigen Magazin an der Borsigallee gelagert werden, um das historische Erbe Frankfurts sicher zu bewahren. Das ISG ist eines der bedeutendsten Kommunalarchive Deutschlands, obwohl im Zweiten Weltkrieg vieles aus seinen Archivbeständen verloren ging.
Der damalige Leiter des Archivs, Harry Gerber, ein Nationalsozialist, wollte auch in der Endphase des Krieges Siegeszuversicht und eine Illusion von Normalität verbreiten. Deshalb stimmte er zu spät einer Auslagerung zu. Bombenangriffe im Januar und September 1944, bei denen das damalige Archivgebäude am Weckmarkt zerstört wurde, vernichteten knapp sieben Regalkilometer Archivalien, etwa 3,5 Regalkilometer konnten gerettet werden. Inzwischen sind die Bestände des ISG auf insgesamt etwa 25 Regalkilometer angewachsen.
Das ISG ist gesetzlich verpflichtet, historische und rechtlich bedeutsame Unterlagen der städtischen Ämter zu übernehmen. Das gilt nicht nur für analoge Akten. Auch Karten, Pläne, Fotos sowie digitale Bilder, Tonaufnahmen und Filme werden archiviert. Neben den Materialien der Stadtverwaltung sammelt das ISG systematisch Nachlässe, Karten, Pläne und Zeitungsausschnitte zur Stadtgeschichte sowie Zeugnisse von städtischen Vereinen und Firmen. Seine Fotosammlung umfasst inzwischen mehr als 2,5 Millionen Frankfurter Bilder vom 19. Jahrhundert bis heute. Gerade hat das Institut die älteste bekannte Aufnahme Frankfurts erworben. Der englische Fotopionier William Henry Fox Talbot fotografierte im Oktober 1846 von der Fensterbank seines Hotelzimmers aus Zeil und Hauptwache.
In der Sammlung sind auch Fotografien vom Besuch des US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 25. Juni 1963 in Frankfurt, nur wenige Monate vor dem tödlichen Anschlag auf ihn in Dallas. Vor seiner Ansprache in der Paulskirche hielt er direkt auf dem Römerberg und nicht, wie andere Staatsgäste luftig erhoben vom Balkon des Römers, eine Rede. „Diese Nähe begeisterte damals die Menschen“, sagt Kristina Matron und führt einen zeitgenössischen Film des Presse- und Informationsamtes der Stadt vor, der sich ebenfalls im ISG-Bestand befindet. Er zeigt, wie sich Kennedy anschließend zusammen mit Sicherheitskräften durch die Menschenmenge in Richtung Paulskirche schob. In seiner Ansprache hob er die Bedeutung der Paulskirche hervor. Kein anderes Gebäude in Deutschland könne einen begründeteren Anspruch auf den Ehrentitel der „Wiege der deutschen Demokratie“ erheben.
Programm
Das Institut für Stadtgeschichte ist einer der bedeutendsten Kommunalarchive Deutschlands. Es ist seit 1436 Frankfurts historisches Gedächtnis. Es archiviert historisch und rechtlich bedeutsamte Unterlagen der Stadtverwaltung und Dokmentationsmaterial, das für die Geschichte der Stadt wichtig ist. Das älteste erhaltene Schriftstück im Bestand ist eine von dem karolingischen Herrscher Karl III. am 2. Dezember 882 ausgestellte Urkunde.
Am Paulskirchen-Jubiläumsjahr beteiligt sich das Institut für Stadtgeschichte mit der Ausstellung „Auf die Barrikaden! Paulskirchenparlament und Revolution 1848/49 in Frankfurt“. Sie ist noch bis zum 18. September im Dormitorium des Karmeliterklosters zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Zu der Sonderausstellung gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm: Es werden regelmäßig Führungen angeboten, beispielsweise am Donnerstag, 23. März, 18 Uhr, und am Sonntag, 30. April, 15 Uhr. Daneben gibt es Vorträge: Am Montag, 27. März, 18 Uhr, etwa geht es unter dem Titel „Frankfurt in Rosa und Pistaziengrün“ um das Stadtbild nach Napoleon. Ein Überblick über alle Veranstaltungen findet sich online auf der Webseite des Instituts.
Dazu bietet das Institut für Stadtgeschichte unter dem Titel „Was geschah mit Robert B“ seit Neuestem einen Podcast an, der sich in insgesamt fünf Folgen, jede etwa 20 Minuten lang, mit einzelnen Szenen aus dem Gemälde „Der Zug der Volksvertreter“ des Berliner Künstlers Johannes Grützke in der Paulskirche beschäftigt. Der Podcast ist über ISG-Webseite zu finden.
www.stadtgeschichte-ffm.de
Deutlich ältere Archivalien zur Paulskirche sind in der Ausstellung „Auf die Barrikaden! Paulskirchenparlament und Revolution 1848/49“ zu sehen, die das ISG im Rahmen des Paulskirchen-Jubiläumsjahres bis zum 18. September im Dormitorium des Karmeliterklosters zeigt.
Im Mittelpunkt der Schau, zu der es ein umfangreiches Rahmenprogramm gibt, steht der Septemberaufstand 1848. Wegen des Waffenstillstands von Malmö, der den Krieg mit Dänemark beendete, kam es in der Frankfurter Innenstadt zu Barrikadenkämpfen zwischen den Reichstruppen, die die Nationalversammlung in der Paulskirche schützten, und Radikal-Demokraten, die den Krieg gegen Dänemark weiterführen wollten.
Was mit einigen der Aufständischen geschah, das verraten die Criminalia-Akten im ISG. In einer Vitrine der Ausstellung liegt die Untersuchungsakte des „Peinlichen Verhör-Amts“ der damals Freien Stadt Frankfurt über den Bürgersohn und Kaufmann Arnold Reinbach. Ihm wurde vorgeworfen, sich an den Kämpfen beteiligt zu haben, bei denen über 50 Menschen starben.
Der Gendarmerie-Wachtschreiber Eduard Gottlieb sagte im Untersuchungsverfahren aus, er habe Reinbach mit einer Pistole und einem Säbel auf der Zeil gesehen. Dieses wurde ohne den Beschuldigten geführt. Das Vorstandsmitglied des Arbeitervereins und des Demokratisch-republikanischen Vereins hatte sich nach dem Septemberaufstand nach Paris abgesetzt. Im Dezember 1854 bat er darum, nach Frankfurt zurückkehren zu dürfen. „Der Große Rat der Stadt lehnte sein Gesuch aber ab“, sagt Markus Häfner, Kurator der Ausstellung und Leiter der Abteilung Public Relations im ISG. Ob Reinbach je nach Frankfurt zurückkehren konnte, sei unerforscht.
Sehr viel mehr sei über Henriette Zobel bekannt, erzählt Markus Häfner. Sie ist in der Ausstellung auf einer Lithografie nach einer Zeichnung von Paul Bürde zu sehen. Das Bild zeigt, wie die Aufständischen Hans von Auerswald und Felix von Lichnowsky, beides Abgeordnete der Nationalversammlung, ermordeten. Henriette Zobel schwingt darauf einen roten Regenschirm. „Der war eigentlich schwarz und ist in der Dauerausstellung des Historischen Museums zu sehen“, sagt Markus Häfner. Wie es in ihrer Akte steht, wurde die Frau 1853 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Todkrank kam sie 1865 frei und lebte in Offenbach. Danach verliert sich ihre Spur. Vermutlich erlag sie ihrer Krankheit.
Wer sich auf das große Bürgerfest einstimmen will, das zum 175. Jahrestag des Einzugs der Nationalversammlung in die Paulskirche vom 18. bis 21. Mai gefeiert wird, dem bietet das ISG unter dem Titel „Was geschah mit Robert B.?“ einen fünfteiligen Podcast, der in Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung entstanden ist. Im Fokus steht das Gemälde „Der Zug der Volksvertreter“ von Johannes Grützke, das in der Wandelhalle der Paulskirche zu sehen ist. Die jeweils 20-minütigen Folgen, die über die Internetseite des ISG abgerufen werden können, greifen einzelne Szenen des Bildes auf und erzählen so 175 Jahre deutsche Demokratiegeschichte.


