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Lebende Photographien

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Von: Thomas Stillbauer

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Als in Frankfurt die Bilder laufen lernten: Das Filmmuseum blickt zurück und zeigt in einer Ausstellung die alten „Filmtheater“ der Stadt. Zu manchen Filmvorführungen musste in den Frühtagen des Films die Polizei anrücken - etwa wenn eine „indezente Bauchtanzszene“ zu sehen war.

Kinematographie? Was ist das denn? „Die ganze Sache sei durch eine Reihe einander folgender Ausdrucksbilder erzielt, die an einander gereiht sind und ebenso schnell an der vergrößerten Linse vorüberziehen“, zitieren die „Frankfurter Nachrichten“ am 6. März 1896 erste Berichte über die brandneue Technik. „Es grenzt ans Wunderbare.“

Kurz darauf nennt man das Wunder schon ganz salopp: Kino. Im Filmmuseum lässt sich jetzt sehr schön sehen, wie sich die Lichtspielszene in Frankfurt entwickelte. Die laufende Ausstellung „Filmtheater“ hat auch eine Abteilung für die hiesige Kino-Historie. „Als wir die schönen Fotos gesehen haben, ist es mit uns, die wir Kino lieben, ein bisschen durchgegangen“, gesteht die Kuratorin Jessica Niebel.

Sogar ein kleines Kino mit hölzernen Klappsitzreihen und Original-Filmprojektor aus den 50er Jahren zog in die Ausstellung ein. Es flimmert und rattert. Und nebenan zeigt eine Dokumentation den ganzen Tag über, wie das damals war, als die Bilder in Frankfurt laufen lernten.

Die erste verbürgte Filmaufnahme erlebt die Stadt am 10. Mai 1896: Mitarbeiter der französischen Kino-Erfinder, der Brüder Lumière, filmen Kaiser Wilhelm II, wie er zur 25-Jahr-Feier des Friedensvertrags mit Frankreich eintrifft. Der fertige Film wird in Berlin vorgeführt. Das Resultat lässt noch zu wünschen übrig – der Kaiser ist kaum zu erkennen. Aber die Sensation ist ja auch nicht der Kaiser, sondern der Umstand, dass sein Frankfurter Auftritt in Berlin anzusehen ist, wie Ronny Loewy im Buch „Lebende Bilder einer Stadt“ schreibt.

Die erste Filmvorstellung in Frankfurt zeigt Ende Mai 1896 das Varieté Orpheum an der Konstablerwache. „Neueste Erfindung!“, steht auf den Plakaten: „Größtes Wunder des 19. Jahrhunderts.“ Die Berichterstatter sehen „Gestalten in voller Bewegung und mitten aus dem Leben gegriffen“ sowie „lebende Photographien“. Die Leute strömen zunächst in die Wanderkinos, etwa zum „Riesen-Kinematograph“ auf dem „Messe-Juxplatz“.

Das erste feste Kino eröffnet am 3. März 1906 in der Kaiserstraße 60: das „Kinematographen-Theater“ des Hamburger Gastwirts August Haslwanter. Ein nachhaltiger Erfolg. Blick ins Programm anno 1911: „1. Die Liebe des gnädigen Fräuleins – Spannendes Sensationsdrama aus dem modernen Leben. (Spieldauer 1 Std.) 2. Kraftübungen der Geschwister Amalie und Leonore (...)“

Die Gegend um den Hauptbahnhof ist damals ein Zentrum des Films, berichtet Jessica Niebel. Das Hohenzollern-Theater, Ecke Hohenzollernstraße (heute Düsseldorfer Straße) und Niddastraße, zeigt im Januar 1911 „Abgründe“ mit Stummfilmstar Asta Nielsen, laut Programmblatt „das größte und Aufsehen erregendste kinematographische Drama der Welt – übertrifft alles bisher Dagewesene“. Der Jubel ist nicht einhellig. „Ein von Trivialitäten triefendes Schundstück“ nennt die „Lehrerin einer hiesigen Töchterschule“ den Nielsen-Film in ihrem Brief an den Polizeipräsidenten: „Es ist unbegreiflich, wie man dem Publikum ein Stück solch gemeinen Inhalts, wie der des Stücks ,Abgründe‘ bieten kann.“ Am widerwärtigsten sei die „indezente Bauchtanzszene“. Die Polizei schreitet prompt ein – und die Frankfurter kommen nicht in den Genuss des weltberühmten Tanzes der Asta Nielsen.

Kinos werden gleichgeschaltet

Im Ersten Weltkrieg erlebt Frankfurt vorwiegend Propagandafilme, danach geht der Boom weiter. 1925 macht das größte deutsche Kino auf: im Schumann-Theater mit 2500 Plätzen. Bis 1931 verzeichnet die Stadt geradezu explodierende Kino-Eröffnungszahlen. Dann kommt der „Ufa-Palast Groß Frankfurt“ am Eschenheimer Turm mit „Hitlerjunge Quex“ und „Jud Süß“ heraus. Die Filmproduktion wird von den Nationalsozialisten zentralisiert, auch die privaten Kinos können wegen staatlicher Kontrollen kein abweichendes Programm zeigen. 1945 liegt auch das Kino in Trümmern. Kein Strom, keine Heizung, überall Ruinen – aber bald schon wieder lange Schlangen vor dem Scala, später in Eldorado umbenannt, dem ältesten erhaltenen Frankfurter Kino. Der Unternehmer Friedrich Wollenberg eröffnet am Bahnhof das Luxor, erstes seiner später insgesamt zehn Kinos. Das Startkapital bezieht er aus dem Verkauf von 36 000 Kochtöpfen, die er aus abgewrackten Kampfjets hergestellt hat.

„Kino ist ein Kulturphänomen des 20. Jahrhunderts“, sagt Kuratorin Niebel, selbst Jahrgang 1977 und, wie sie sagt, „mit den Blockbustern aus den USA sozialisiert“. Voller Hochachtung spricht sie über  die Filmpaläste der Nachkriegszeit, etwa das im Dezember 1949 neueröffnete Metro im Schwan mit seiner begeisternden Architektur und dem bundesweit wichtigen Premierenprogramm.

Aber es sind nicht nur die großen Filmtempel, die damals die Menschen in Scharen anlocken. 1959 gibt es 85 Kinos in Frankfurt. „Unvorstellbar“, sagt Jessica Niebel. Fast jeder Stadtteil hat sein eigenes Lichtspielhaus – im Filmmuseum sind jetzt all die Namen aus dieser Zeit an der Wand zu lesen: Alhambra, Römer-Lichtspiele, Astoria, Urania, Lux am Zoo, Gloria-Palast – und natürlich all die Stadtteil-Lichtbühnen. Es lässt erst nach, als die Bevölkerung sich mehr und mehr mit Fernsehapparaten und Autos versorgt. Doch Frankfurt behält seine Stärke im Film: Aus der Filmclub-Szene und aus der Uni erwächst eine hochgeschätzte Programmkino-Landschaft mit Berger-Kino, Harmonie, Mal seh’n und nicht zuletzt dem richtungweisenden Kommunalen Kino, heute Deutsches Filminstitut.

„Die Menschen haben viel erlebt im Kino, es ist Zeitgeschichte und emotionaler Raum“, sagt die Kuratorin. Die Ausstellung, sagt Museumsdirektorin Claudia Dillmann, soll „erinnern an die Pracht, an die Idee von Kino, was es einmal bedeutet hat, den Menschen, dem Publikum“. Ein bisschen Trost ist auch dabei. Wer zum Beispiel das MGM (später Royal, noch später geschlossen) besonders vermisst, der kann auf zwei Original-Sitzen des Großkinos sitzen und das aus den Original-Werbebuchstaben gebildete Wort FILMTHEA ER lesen. War wohl nur noch ein T übrig.

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