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Lautstarker Protest gegen „Reichsbürger“: „Riederwald hat keinen Bock auf euch“

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Von: Jürgen Streicher

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Menschen aus dem Frankfurter Stadtteil beziehen auf einer erneuten Mahnwache klar Position gegen Verschwörungstheorien und Antisemitismus.

Frankfurt - Mit Rasseln, Tröten und Pfeifen wird die wiederholt skandierte Forderung „Reichsbürger raus!“ begleitet. Später kommen auch Hupkonzerte der an der Ampel stehenden Autos dazu, die Menschen am Steuer und auf dem Beifahrersitz haben verstanden, um was es hier geht, und sich animieren lassen. Es geht um mehr als ein Ärgernis, um eine Bedrohung der Atmosphäre in ihrem Kiez.

Als „lockere Forderung“ wollte Jutta Auerbach, Mitorganisatorin vom örtlichen Demokratiekreis Riederwald, zu Beginn der Protestveranstaltung die Kernbotschaft von allen im Chor hören, sie ertönte dann immer wieder im Wechsel mit „Haut ab!“. Rund 70 Menschen haben sich am Samstag direkt neben dem Stein des Anstoßes zur Mahnwache versammelt. In Sicht- und Hörweite zum ehemaligen chinesischen Restaurant, in dem nun Anhänger der „Reichsbürger“ ein Clublokal für den Verein „Lebensglück e.V.“ etablieren wollen, dessen Glücksverständnis sie überhaupt nicht teilen.

Frankfurt: „Man kennt sich, Riederwald ist ein Dorf“

Treffpunkt der Demonstranten ist am „Torbogen“, wie sie hier den Platz nennen, wo die Schäfflestraße vom Erlenbruch abgeht in das ziemlich alte Wohnquartier. Rechts vom Torbogen die zum Teil schon 1912 gebauten Arbeiterwohnungen des Volks-, Bau- und Sparvereins, auf der anderen Seite ist die städtische ABG Holding GmbH Eigentümerin. Unter den Arkaden im offenen Viereck eine Bäckerei mit Stehcafé, ein Friseur, ein Döner, eine Fußpflege, mehr nicht. „Der Protest ist aus dem Quartier gewachsen“, sagt Jutta Auerbach. „Man kennt sich, Riederwald ist ein Dorf.“ Das ist liebevoll gemeint.

Es sind keine Krawallbürger:innen, die hier neben der viel befahrenen Straße Am Erlenbruch stehen, es ist eher ein großes Familientreffen Gleichgesinnter mit klarer Einstellung. „Wir brauchen kein Königreich Deutschland im Riederwald. Hier leben weltoffene Menschen.“ Für solche Plakate gibt es Applaus. Oder für die harsche Kritik an „antisemitischen Verschwörungsideologien“, für die klare Aussage: „Riederwald hat keinen Bock auf euch“. Dazu pfeifen ein paar ausgewiesene „Omas gegen Rechts“ durch die Zähne.

Rufe und Plakate kennzeichnen den Protest gegen die rechte Randgruppe.
Rufe und Plakate kennzeichnen den Protest gegen die rechte Randgruppe. © privat

roße Reden sind nicht vorgesehen, alles scheint gesagt, der Widerstand der Straße wächst. Die SPD hat vorab schriftlich zur Teilnahme an der Kundgebung aufgefordert und sich für eine schnelle „Räumung der Reichsbürger aus dem Riederwald“ ausgesprochen. Auch ihr OB-Kandidat Mike Josef hat bei der ABG Holding GmbH gedrängt, der Mietvertrag mit dem Nachmieter des chinesischen Restaurants ist gekündigt, ein erwirkter Räumungstitel liegt vor.

Frankfurt: Keine lauten Reden, eher stille Parolen

Vier Polizisten stehen entspannt am Rand der kleinen Fläche, es wird hier keinen Ärger geben, das ist zu spüren. Keine lauten Reden, eher stille Parolen auf den umgehängten Protestplakaten. Nur die Sprechchöre zwischendrin. „Das musste nicht sein“, sagen einige zu den notdürftig mit Pappe zugeklebten eingeschlagenen Fenstern des früheren Lokals, das die Betreiberfamilie Ende des Jahres untervermietet hat, ohne zu wissen, wen sie sich da als Untermieter ins Haus geholt hat. Die Scherben liegen sauber zusammengekehrt am Boden, die an die Basis des Hauses gesprayten Parolen von Reichsbürger-Gegnern sind übertüncht.

Die heilen Fenster auf der anderen Seite lassen wegen der dort versprühten roten Farbe kaum einen Blick ins Innere zu. Im kleinen Schaufenster vor dem Eingang, der nur auf Klingeln geöffnet wird, weist ein kleiner Zettel darauf hin, dass „dies kein öffentliches Lokal ist“, nur ein vereinsinterner Treffpunkt von „Lebensglück e.V.“; gesunde Ernährung und Seminare zu Gesundheitsthemen seien dessen Anspruch.

Riederwald: Sie werden keine Ruhe geben im Dorf

Die Menschen hier wollen nicht „unter dem Deckmantel von Naturkosmetik und Nahrungsergänzungsmitteln von Verschwörungstheorien überzeugt werden“, schreibt die SPD-Landtagskandidatin für den Wahlkreis 39 im Frankfurter Nordosten, Stefanie Minkley, im Aufruf zur Kundgebung. Vor Ort ist die Kandidatin der Grünen im gleichen Wahlkreis: Nilab Alokuzay-Kiesinger sucht das Gespräch mit Bürger:innen.

Nach einer Stunde mit vielen „Reichsbürger raus“- und „Haut ab“-Rufen, die im Ladenlokal nun sichtbar gehört werden, ruft Jutta Auerbach zum Wiederkommen am nächsten Samstag um die gleiche Zeit auf. Sie werden keine Ruhe geben im Dorf. „Vielleicht können wir ja dann beim Umzug helfen.“ Eine klare Botschaft dazu gab es am Wochenende nicht. Die bisher gesetzte Räumungsfrist läuft heute ab. (Jürgen Streicher)

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