Klimawandel im Frankfurter Forst: „Wir sind die Augen im Wald“

Wie verkraftet ein erfahrener Förster die Veränderungen durch den Klimawandel, wie geht ein junger Berufseinsteiger damit um? Ein Gespräch im Wald über Verantwortung und Verlust.
Treffen im Goldsteiner Wald. Revierchef Axel Saamer hält noch schnell einen E-Rollerfahrer an, der nichts auf Forstwegen zu suchen hat, dann klappt er Campingstühle unter Bäumen auf. Jagdhundwelpe Anouk ist auch dabei. Wir wollen darüber sprechen, wie der Klimawandel die Förster belastet. Wie hält man das aus, wenn der Wald, für den man verantwortlich ist, so sehr leidet?
Herr Saamer, Herr Müller, warum sind Sie Förster geworden?
Axel Saamer: Mich haben in der Schule schon Naturwissenschaften interessiert. Förster war eine der Optionen. Es ist aber auch ein Wirtschaftsberuf. Wir wurden ausgebildet, um Holz zu produzieren. Das ist mir auch wichtig.
Fabian Müller: Draußen in der Natur sein. Der Opa war Jäger, das war ein Punkt, und dass ich selber vom Land komme.
Was bedeutet Ihnen der Wald?
FM: Der Wald als Arbeitsplatz – da ist immer alles sichtbar, anfassbar. Im Studium hat man gesehen, was für tolle Orte es überall im Wald gibt – und die Wichtigkeit, die er besitzt. Wir vereinen viel, den Naturschutz, die Waldwirtschaft, Ansprechpartner sein. Es ist eine multifunktionale Aufgabe.
AS: Wir haben uns im Studium als Universaldilettanten bezeichnet. (lacht) Wir sind rausgegangen und haben alles angefasst. Da hat man Feuer gefangen, die Liebe zum Wald, das Verantwortungsgefühl. Ohne Idealismus kriegst du das nicht gebacken. Das hier ist der Wald der Frankfurter Bürger, und dafür stehe ich. Ich verteidige hier jeden Quadratmeter, und das ist in Frankfurt nicht einfach.
Inwiefern?
AS: Hier geht die ganze Infrastruktur für den Flughafen durch. Alle Schlag wollen sie ein Loch buddeln, eine Bahnstation bauen, eine ICE-Trasse. Ich hatte in den 30 Jahren meines Berufslebens hier keine Phase, in der ich nicht an der Umsetzung von Großprojekten beteiligt gewesen wäre.
Haben Sie einen Lieblingsbaum?
AS: Zu Hause ja, einen Ginkgo biloba, den habe ich zum Hochzeitstag gepflanzt, im Jahr 2000. Aber im Wald ist es immer das System, das ich schätze, nicht das einzelne Individuum.
Sie, Herr Müller?
FM: Die Ulme. Als Auwaldbaumart, mit ihren charakteristischen kratzigen Blättern – und ich komme gebürtig aus Ulmbach, da gibt es Exemplare mit extrem breiten Brettwurzeln, das sah für mich immer aus wie Urwald. Dieser Baum hat mich geprägt, und er hat heute wieder eine gute Chance zu überleben.
Ein Lieblings-Waldtier?
FM: Den Schwarzspecht. Eine Schirmart, die auch anderen Arten das Überleben sichert.
Schwarzspecht-Höhlen werden hinterher von vielen „Nachmietern“ bewohnt.
FM: Weil so viele andere Waldbewohner von ihm profitieren, hat er für mich große Bedeutung.
AS: Mein Lieblings-Waldtier ist die Fledermaus, die nach dem Specht in dessen Wohnung einzieht. Mich fasziniert ihr Orientierungssinn, ihre Lebensweise. Man findet sie fast überall, hat ihr aber auch schon viel Lebensraum genommen. Ich versuche, ihr genug Refugium zu sichern.
Und wie sieht es aus mit einem Lieblingswetter?
AS: Wir fühlen uns in diesem Jahr ganz gut.
FM: Nach einem Sommerregen, Nebelschwaden im Wald, wie alles durchatmet, wie sich das Moos vollsaugt mit Wasser. Wenn augenscheinlich der Wald zufrieden ist. Jeder hat Wasser, alles ist gut.
AS: Die Gerüche!
FM: Ja!
AS: Die mit Sauerstoff angereicherte Luft!
FM: Ja, unbedingt.
Genau das hat sich verändert: Der Klimawandel hat es selten werden lassen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
AS: Försterdasein heißt immer: sich Problemen stellen. In jeder Förstergeneration gab’s Probleme. Nach dem Krieg war hier nix. Das waren Reparationshiebe …
… als Deutschland Holz abgeben musste, um Kriegsschuld abzutragen …
AS: … und die Menschen sind in den Wald gegangen und haben sich Holz geholt. Das war für die Förster ein Problem. Was man hier sieht, sind alles Nachkriegsaufforstungen. Katastrophen zu begegnen, den Wald zu erhalten, das ist etwas, das Förster immer begleitet hat. Meine Generation hatte mit Stürmen wie „Wiebke“ zu kämpfen. Der Schwammspinner hat hier alle Eichen zwei Mal komplett kahlgefressen. 2003, das erste Trocknisjahr. Die Eiche hat mir noch zehn Jahre Probleme gemacht. Invasive Pflanzenarten werden uns lange beschäftigen. Das ist mit dem Beruf verbunden. Man steht ständig da und fragt sich: Wie gehe ich damit um?
Herr Müller, welchen Wandel spüren Sie in Ihrer Arbeit?
FM: Ich bin ja erst kurz in dem Beruf. Diese kurze Zeit ist geprägt von Kalamitäten seit dem Trockenjahr 2018, von großen Problemen, die nicht vergleichbar sind mit den vergangenen 20 Jahren. Dass große kahle Flächen entstehen, auf die die Sonne ungehindert einstrahlt, Flächen, die man wieder begrünen muss. Dass man zugleich für seine Umgebung einen Bildungsauftrag erfüllt. Ich bin einer der wenigen in meinem Umfeld, die in grünen Branchen arbeiten. Meine Kumpels sind Versicherer, dies und das, alles wichtig. Aber in der Generation meines Großvaters hatten viel mehr Leute ein Wissen über die Natur. Es gibt eine große Notwendigkeit zur Information.
War Ihnen von Anfang an klar, dass sich der Beruf, den sie gewählt haben, durch den Klimawandel stark verändern würde?
FM: Wir haben im Studium mit Rollenspielen geübt, uns auf heikle Situationen vorzubereiten. Es geht nicht mehr nur darum zu gucken, welchen Baum wir entnehmen.
AS: Veränderungen hat es aber immer schon gegeben.
Sie würden nicht sagen: Was wir jetzt erleben, ist gravierender als der Schwammspinner? Kein großes Umdenken?
AS: Die Frage ist: Wie weit gehe ich in Richtung Naturschutz? Wenn es in Richtung Stilllegung geht und ich kein Holz mehr produziere, beißt sich der Hund in den Schwanz. Wollen wir lieber, dass die Taiga abgeholzt wird und die alles hierher karren?
ZU DEN PERSONEN
Axel Saamer, 59, drei Kinder, ist aufgewachsen in Frankfurt-Eschersheim hat dann Bankkaufmann gelernt bei der Stadtsparkasse, später Forstwirtschaft studiert, im Greifvogelschutz beim Regierungspräsidium Darmstadt gearbeitet. Seit 1993 ist er Forstrevierleiter Goldstein – und der Zweitjüngste in diesem Kollegenkreis. „Der personelle Wandel kommt in den nächsten Jahren“, sagt er.
Fabian Müller, 32, aufgewachsen in Steinau an der Straße-Ulmbach. Machte nach der Realschule eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker, dann Fachoberschule, Studium zum Forstingenieur. Arbeitete als Revierleiter in einem Privatwald, dann in einem Baumpflegebetrieb und ist beim Frankfurter Grünflächenamt seit 2020 Förster, der die Revierleiter vertritt. Müller sammelt zudem Daten zu den Themen Klimawandel und Wasserhaushalt. Später wird er ein eigenes Revier übernehmen. ill
Mit Stilllegung meinen Sie Wälder, die aus der Holzwirtschaft herausgenommen und als Wildnisgebiete deklariert werden, in denen sich der Wald frei entwickeln kann. Aber dabei geht es momentan nur um zwei Prozent der Fläche in Deutschland.
AS: Ja, aber ohne dass ich hier Holz bereitstelle, holt sich die Wirtschaft ihr Holz woanders.
FM: Wir vereinen das hier in Deutschland seit 300 Jahren. Es muss alles in einem Gleichgewicht stehen.
Das klingt nicht, als würde Sie der Klimawandel sehr belasten. Leiden nicht viele Förster darunter, keinen intakten Wald mehr an ihre Nachfolger übergeben zu können? Treibt Sie das um? Liegen Sie manchmal nachts wach, überlegen Sie, was soll werden?
AS: Die Frage ist, was lasse ich an mich heran. Der Försterberuf war von jeher mit Einsamkeit verbunden: Es gab immer Kollegen, die mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten. Es kommt darauf an, wie ich mich Veränderungen stelle. Es gibt den Spruch: „Wir schön hat es die Forstpartie, der Wald, der wächst auch ohne sie“ – der hat noch nie gestimmt.
(Die Förster lachen)
FM: Wir sitzen oft im Team zusammen und überlegen uns Strategien, was wir machen können.
In Rückblicken auf die „Tagesschau“ vor 40 Jahren heißt es: „Forscher warnen vor Klimakatastrophe“. Wie haben Sie damals reagiert? Hätten Sie im Wald etwas anders machen können?
AS.: Wir können nur spekulieren. Ich versuche immer, das Ganze zu erhalten mit dem, was ich tue.
Hat jemand, der mit dem Forst arbeitet, damals überlegt: Müssen wir grundsätzlich was ändern? Wie war die Reaktion auf diese Vorhersagen?
AS: Der erste Vorbote war 2003. Wir hatten keinen pflanzenverfügbaren Niederschlag von Ostern bis September. Es hat sich 2004 wieder beruhigt. Wir beobachten. Wir sind die Augen im Wald. Wir schauen die Bäume an: Wer reagiert wie? Mittlerweile ist jeder Baum im Stadtwald geschädigt. Aber wir sind zuversichtlich, eine Waldgesellschaft auch in Zukunft sicherstellen zu können.
War damals nicht der Gedanke, dass Sie schon anfangen müssen mit dem Umdenken, um den Wald der Zukunft gegen die Klimakatastrophe zu verteidigen?
AS: Doch. Die Warnungen waren ja 2003 schon da.
Ja, aber ich meine …
AS: … die waren auch 1990 schon da, sicher …
Auch 1980.
AS: … da hat man natürlich nicht drauf reagiert, da hat man gesagt: O.k., das war dann meistens woanders, da, wo es heftig gebrannt hat. 2003 hat man das dann im Zusammenhang gesehen.
Sie haben also auf die sichtbaren Veränderungen reagiert .
AS: Es ist ja ein globales System. Unser Klima hier ist abhängig vom Atlantik. Wenn der Golfstrom mal nicht mehr da ist, werden wir uns alle umgucken. Das Problem, das wir heute haben, ist, dass sich durch den menschlichen Einfluss die Geschwindigkeiten verändert haben.
Wie stark belastet Sie das?
AS: Kann ich das, was war, hinter mir lassen? Ich kann es ja nicht mehr ändern. Es ist Natur. Die kann ich nicht beeinflussen. Manchmal bin ich darüber froh und nehme es hin, wie es kommt. Das ist fast schon eine religiöse Einstellung. Wenn ich nach vorne blicke und die Zukunft gestalte, habe ich damit auch nicht so sehr das Problem.
Herr Müller, was können wir machen, wir alle? Was würden Sie sich wünschen, damit es dem Wald in Zukunft besser geht?
FM: Dass die Mittel, die wir brauchen, bereitgestellt werden. Dass die Bürger Verständnis zeigen, auch wenn es mal gröber zugeht. Es sieht manchmal aus wie nach einer Heuschreckenplage. Wir müssen diese Situation gemeinsam überstehen. Nicht: „Ach, ihr hättet es doch schon vor soundsovielen Jahren wissen können, die Förster sind doch dran schuld, dass hier die Fichte steht …“
… die im Taunus in Massen stirbt.
FM: Ja. Nur ist jetzt ein neuer Kollege wie ich, der frühestens seit 2018 auf diesen Prozess einwirken kann, die falsche Adresse. Wir sind ja daran interessiert, dass wir gemeinsam etwas ändern.
Wenn es nach Ihnen geht: Sollen die Menschen weniger Auto fahren, weniger fliegen, weniger Kreuzfahrten machen, diesem Wald hier zuliebe?
FM: Das ist ein frommer Wunsch. Jeder möchte, dass sich die Leute da etwas mehr zurücknehmen, aber: leben und leben lassen. Wenn jemand glaubt, er muss seinen Urlaub in Südamerika machen, dann ist es bei ihm vielleicht noch nicht angekommen, oder er hat sich einen Lebenstraum erfüllt und ist sonst noch nie geflogen. Ich will keinem diktieren, dass er jetzt weniger Auto fahren soll. Es wäre ein schöner Effekt, man hat es ja seit Corona gespürt. Offenbar muss man gar nicht so oft wegfliegen. Man hält es auch mal so aus. Aber das ist meine persönliche Meinung.
AS: Ich gehöre zu der Generation, die in vollen Zügen genossen hat, dass uns keiner Vorschriften machte. Es ist ein Wunsch, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck anpassen. Es geht darum, eine Bewusstseinsänderung zu erreichen. Ich hoffe, dass wir uns als Europäer mit der Thematik auseinandersetzen. Ich strampele mich ab bis zu meinem letzten Dienst-Tag, um diese Fläche hier zu erhalten, aber das kann ich alleine nicht machen, das können nur wir alle zusammen.
Meine Herren, wie sieht der Wald in 30 Jahren aus?
FM: So, dass die Kulturen aufgehen, die die Kollegen hier angelegt haben.
AS: In 30 Jahren dominiert die Eiche diese Waldgesellschaft, die Kiefer wird sich weiter reduziert haben, die Buche auch. Die Linde haben wir im Fokus. Und was auch schattenertragend ist, vor 2000 Jahren hier schon von den Römern kultiviert wurde, ist ...
FM: ... die Esskastanie.
Würden Sie noch einmal Förster werden wollen?
AS: Ja.
FM: Ja. Dass ich mich hier im Wald aufhalten darf, das ist genau, was ich mir vorgestellt habe. Wenn mich Leute anhalten und Sachen fragen, und ich sehe: Die haben jetzt was verstanden.
AS: Ich weiß: Im nächsten Frühjahr kommt wieder Grün. Dann geb’ ich auch nicht auf.
Interview: Thomas Stillbauer