Kampf um ausländische Forscher

Die Frankfurter Goethe-Uni muss sich im weltweiten Wettbewerb behaupten – das kostet viel Geld. Das Land Hessen pumpt seit Jahren Millionen in die Spitzenforschung.
Von Volker Mazassek
Im Hörsaal 3 des Otto-Stern-Zentrums der Frankfurter Universität sitzen Wissenschaftler zusammen, um sich über ihre jüngsten Forschungsergebnisse austauschen. Es geht um Beschleunigerphysik, nur wenige Menschen verstehen, was das ist. Und selbst wenn sie es wollten, sie müssten erst mal ziemlich gut Englisch können, um den Vorträgen zu folgen. Das gilt nicht nur für die Redebeiträge im Hörsaal, auch in der Pause wird viel englisch gesprochen. Und wenn man auf die Website des Helmholtz International Center for Antiproton an Ion Research (HIC for FAIR) schaut, das diese Tagung veranstaltet, dann wird man auf einer englischen Startseite begrüßt.
Man spricht deutsch – doch in Teilen der Goethe-Uni ist das nicht mehr der Fall. Etwa bei den Experten, die Konzepte und Experimente für den riesigen Teilchenbeschleuniger FAIR entwickeln, der bei Darmstadt entsteht. Es ist eine internationale Community, pardon Gemeinschaft, die bei HIC for FAIR arbeitet, was „Hessen und Frankfurt als Standort für Spitzenforschung weltweit sichtbar macht“, wie es dort heißt.
Die Uni sieht das mit Wohlwollen. 2008 beschloss sie ein Internationalisierungskonzept, das der Globalisierung auch im Hochschulbereich Rechnung trug. Ziel war es, die Goethe-Uni international reputationsfähig zu machen, sowohl in der Spitzenforschung als auch beim akademischen Nachwuchs. Es ging dabei um eine Positionierung im weltweiten Wettbewerb, aber auch ums nackte Überleben. „Viele Masterstudiengänge, vor allem in den Naturwissenschaften, wären ohne internationale Studierende in ihrem Bestand gefährdet“, hieß es in einem Uni-Papier. Wenige Studierende und eine hohe Abbrecherquote zwangen zum Handeln. Damals begannen Akquise-Touren im Ausland, und so kam es, dass Martin Droba im fernen Bratislava bei einer Summer School den Wissenschaftsstandort Deutschland für sich entdeckte. Der 43-Jährige sitzt vor einem Hochfrequenz-Sender, einem Antrieb für Teilchenbeschleuniger wie FAIR, und spricht von der „einmaligen Gelegenheit“, die ihm die Uni Frankfurt bot. Er könne hier Grundlagenforschung betreiben und auch mal „crazy Ideen ausprobieren“. Die Bedingungen seien hervorragend. Deshalb möchte Droba hier bleiben.
In seiner Arbeitsgruppe forschten oder forschen junge Leute aus Westeuropa, aus Indien und Russland. Die bunte Mischung findet sich auch in anderen Physiker-Teams an der Uni. Deutschland rockt und lockt wissenschaftlich, jedenfalls zaghaft. In früheren Jahren gab es für Nachwuchstalente vor allem ein Ziel: die USA. Jetzt kommt auch Frankfurt / Germany in Betracht, womöglich eine Trendumkehr. Lucas Burigo jedenfalls schlug nach seiner Promotion ein Angebot aus den USA aus. Frankfurt sei „the best offer“ gewesen, sagt der 29-jährige Brasilianer. Er führt das Gespräch auf Englisch, so wie er es im Team gewohnt ist und in der zweisprachigen Verwaltung des Zentrums. Burigos Deutsch ist deshalb nicht so gut. Seine Tochter sei ihm weit voraus und mache sich einen Spaß daraus, seine Fehler zu korrigieren, erzählt er.
Gemeinsame Mentalität ein starkes Band
Der Brasilianer befindet sich in guter internationaler Gesellschaft. Die Bilanz von HIC for FAIR: Seit 2008 promovierten 77 Nachwuchs-Wissenschaftler, 47 Deutsche und 30 aus 18 anderen Ländern – ein Anteil von 39 Prozent. Dass sich junge Forscher aus dem Ausland auf den weiten Weg nach Frankfurt machen, hat mit Geld zu tun, viel Geld. Das Land Hessen pumpt seit 2008 über das LOEWE-Programm hunderte Millionen Euro in die Spitzenforschung. HIC for FAIR bekam bis Mitte 2014 rund 34,5 Millionen, bis Ende 2015 sind weitere 9,5 Millionen zugesichert. So wurden komfortable Forschungsbedingungen geschaffen und die Bezahlung der jungen Forscher finanziert.
Auch Hannah Petersen profitiert von diesen Landesmitteln. Die 32-Jährige, eine der jüngsten Physik-Professorinnen Deutschlands, weiß aus eigener Erfahrung, dass Geld und gute Bedingungen nicht alles sind für Talente, die mit dem Herz voller Hoffnung in die Welt hinausziehen. Knapp drei Jahre forschte sie in den USA, und „ich fühlte mich dort sehr deutsch und fremd“.
Mit den amerikanischen Kollegen lief es fachlich ausgezeichnet, doch nach der Arbeit ging sie meist mit Europäern ein Bier trinken. Die gemeinsame Mentalität war ein starkes Band. Sprache, Mentalität, Gepflogenheiten stellen eine große Herausforderung dar. Und so schaut die junge Professorin in ihrer Arbeitsgruppe auch auf die Bedürfnisse und Fallen jenseits der Beschleuniger-Physik. Ihr ukrainischer Doktorand etwa sei „total begeisterungsfähig“, treibe aber Vortragende mit seinen Fragen wie einen Sparringspartner vor sich her. Da müsse sie eingreifen. Und wenn es ganz banal darum geht, einen Ausflug zu organisieren, erklärt die Physikerin ihren Doktoranden genau, was zu tun ist. Mit der unterschwelligen Botschaft: „Achtung, Deutschland funktioniert hier anders.“
Für die Uni Frankfurt zählt das Zentrum zu den „Leuchttürmen der Internationalität“, wie es in einem Zwischenbericht heißt. Bekanntlich wird das Licht um Leuchttürme herum diffus. Zwar haben 40 Prozent der 2013 berufenen Professoren und Professorinnen einen ausländischen Pass, doch die Zahl der nicht-deutschen Studierenden stagniert seit Jahren bei unter 20 Prozent. Deutsche Studierende verweigern sich häufig der Zweisprachigkeit in Vorlesungen und Seminaren. Ausländische Kommilitonen scheitern oft an Sprache und sozialer Isolation. Man braucht schon die Robustheit, die Hannah Petersens ukrainischer Doktorand an den Tag legt. Er mischt mittlerweile fröhlich im Akkordeon-Orchester Heddernheim mit.