Janine Wissler: „Die Regierung duckt sich bei der Impfpflicht weg“

Die Linken-Vorsitzende und Frankfurter Bundestagsabgeordnete, Janine Wissler, spricht im FR-Interview über Russland und die Nato, Frankfurter Themen in Berlin und die Impfpflicht.
Nach 13 Jahren im Hessischen Landtag und zwölf Jahren an der Fraktionsspitze der Linken sitzt die Frankfurterin Janine Wissler nun als Abgeordnete im Bundestag. Sie war bei der Bundestagswahl Spitzenkandidatin für die Linke in Hessen und bundesweit, Anfang 2021, zur Bundesvorsitzenden ihrer Partei gewählt worden. In der FR spricht die 40-Jährige über Russland und die Nato, die Impfpflicht und die Frankfurter Themen in Berlin.
Frau Wissler, Sie kennen den Hessischen Landtag gut – was ist nun im Bundestag anders?
Die Dimensionen. Auch wenn der aktuelle Hessische Landtag relativ groß ist – der Bundestag ist mit 736 Abgeordneten um ein Vielfaches größer und unübersichtlicher. Die Wege sind länger, die Ausschüsse größer. Im Landtag hat man alle Abgeordneten spätestens nach ein, zwei Jahren gekannt, hier in Berlin ist es unpersönlicher.
Die Impfpflicht ist eines der ersten großen Themen für Sie im Bundestag. Verschiedene Modelle werden diskutiert. Welches Modell bevorzugen Sie?
Wir sind in der Partei noch in der Diskussion und schließen eine Impfpflicht als Ultima Ratio nicht aus. Aber im Moment lenkt die Impfpflichtdebatte vom eigentlich Notwendigen ab. Bis die Impfpflicht in Kraft tritt, ist es Frühsommer. Es sind aber noch gar nicht alle Maßnahmen unterhalb der Impfpflicht ausgeschöpft. Dort, wo auf aufsuchende Stadtteilarbeit, auf Beratung und Aufklärung gesetzt wurde, ist die Impfquote höher. Es stellen sich auch noch viele Fragen zur Ausgestaltung der Impfpflicht. Wie sehen die Sanktionen aus? Wie soll sie kontrolliert werden ohne nationales Impfregister? Deswegen sind wir da in einem Diskussionsprozess. Denn das Ob ist nicht unabhängig vom Wie.
Linken-Abgeordnete Janine Wissler: Impfpflicht-Prozess aus Rücksicht auf die FDP
Gesetzesvorlagen zur Impfpflicht sollen von Abgeordneten fraktionsübergreifend ausgearbeitet und zur Abstimmung gestellt werden. Sehen Sie das als gutes Verfahren für die Einführung einer Impfpflicht an?
Grundsätzlich kann man schon aus dem Parlament heraus Anträge entwickeln. Aber bei einer so komplexen Frage, die auch verfassungsrechtlich geprüft werden muss, wäre es schon wichtig, dass die Regierung einen Vorschlag einbringt. Dazu können sich dann alle im Parlament verhalten und auch alternative Anträge stellen. Bei dem jetzigen Verfahren habe ich das Gefühl, dass es ein Wegducken der Regierung ist und vor allem aus Rücksicht auf die FDP so gemacht wird.
Es geht nun im Bundestag auch um außenpolitische Themen. Was halten Sie von der Forderung Russlands, dass sich die Nato nicht weiter gen Osten erweitern soll?
Wir haben es schon immer für einen Fehler gehalten, dass sich die Nato immer weiter nach Osten erweitert hat, auf Aufrüstung setzt und auch Länder, die eher eine Brückenfunktion hätten einnehmen können, ins Nato-Bündnis mit aufgenommen wurden. Aber wir halten es auch für völlig falsch, dass es seitens Russlands Truppenaufmärsche an der ukrainischen Grenze gibt. Es muss Schluss sein mit dem Säbelrasseln. Es ist notwendig, Gespräche zu führen und diplomatische Beziehungen wieder aufzunehmen.
Warum hat die Linke diese Woche einen eigenen Bundespräsidentenkandidaten aufgestellt? Sind Sie mit Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident nicht zufrieden?
Gerhard Trabert, der auch als „Arzt der Armen“ bekannt ist, stellt die Frage der sozialen Ungleichheit, der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität in den Vordergrund. Es geht ihm darum, gerade in der Pandemie den Blick auf die zu lenken, die so oft gar nicht wahrgenommen werden. Etwa auf Menschen in der Obdachlosigkeit, Geflüchtete, Nicht-Krankenversicherte, Menschen an den EU-Außengrenzen. Sie erfahren zu wenig Aufmerksamkeit in dieser Gesellschaft, im Koalitionsvertrag der Ampel – und auch beim aktuellen Bundespräsidenten. Deswegen ist Gerhard Trabert ein Angebot, eine Wahlmöglichkeit zu haben.
Linken-Chefin Wissler als Abgeordnete im Bundestag: Neues Mitglied im Eintracht-Fanclub
Sie beschäftigen sich nun mit den ganz großen Themen. Haben Sie da Zeit, Frankfurter Belange in den Bundestag einzubringen?
Es gibt viele Frankfurter Belange, die auch für andere Städte wichtig sind. Bezahlbarer Wohnraum, bezahlbare Mieten, das macht vielen Menschen in Frankfurt Sorgen, aber auch woanders. Ich bin Mitglied im Finanzausschuss, die Regulierung von Finanzmärkten ist auch für den Finanzplatz Frankfurt ein Thema. Auch die Frage von Umverteilung, von gerechter Steuerpolitik. Das Thema Verkehrswende mit Frankfurt als größtem Flughafen, die notwendige Verlagerung von Kurzstreckenflügen, der Ausbau der Schieneninfrastruktur – es gibt eine ganze Menge Themen, die Frankfurt direkt betreffen.
Schaffen Sie es überhaupt noch ab und zu nach Frankfurt?
Ja, über Weihnachten war ich gerade länger in Frankfurt. Aber da ich nicht nur Abgeordnete, sondern auch Parteivorsitzende bin, bin ich häufig in Berlin. Gerade jetzt in der Anfangszeit. Ich versuche, so zu planen, dass ich zwei Wochen in Berlin bin und dann auch wieder eine in Frankfurt.
Der Frankfurter Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour hatte Sie eingeladen, Mitglied im Eintracht-Fanclub des Bundestags zu werden. Sind Sie es geworden?
Der Aufnahmeantrag ist schon abgeschickt. (Interview: Sandra Busch)