Internationale statt Nationalhymnen

Eine Ausstellung beim Landessportbund beleuchtet bis Ende Januar 100 Jahre Arbeiterfußball und 125 Jahre Arbeitersport.
Im Laufschritt kommen die Spieler der deutschen Bundesauswahl und des finnischen Auswahlteams die marmornen Treppenstufen hinunter, um von den rund 40 000 Besuchern und der Presse begeistert in Empfang genommen zu werden. Es ist der 28. Juli 1925, und im nur drei Monate zuvor eröffneten Frankfurter Waldstadion wird das Fußballfinale der ersten Internationalen Arbeiter-Olympiade ausgetragen. Die Partie endet 2:0 – die Mannschaft des deutschen „Arbeiter- Turn- und Sportbundes“ (ATSB) geht als erster Fußball-Olympiasieger des Arbeitersports in die Geschichte ein.
Diese und weitere historische Momentaufnahmen des Arbeitersports hält die Wanderausstellung „Der andere Fußball. 100 Jahre Arbeiterfußball – 125 Jahre Arbeitersport“ fest, die noch bis zum 31. Januar in den Räumen der Sportschule des Landessportbundes Hessen zu sehen ist. Initiiert vom „Paderborner Kreis – Arbeiterfußball“, widmet sich die Ausstellung auf 17 Roll-ups und zwei Wänden einem fast vergessenen Thema.
Bereits 1893 gründete sich der „Arbeiter-Turnerbund“ (ATB) als ein Zusammenschluss der zahlreichen Arbeiter-Turnvereine im Kaiserreich. Denn die Ausgrenzung der Arbeiterschaft und ihrer politischen Vertretungen durch das sogenannte Sozialistengesetz (1878–1890) machte auch vor dem Sport nicht Halt. Daher zeichnete sich der ATB fortan durch die größtmögliche Abgrenzung zu den bürgerlichen Turn- und Sportverbänden aus. Statt Leistungszwang und Konkurrenzdenken schrieb er sich neben dem Credo der sportlichen Fairness auch die Vermittlung allgemeiner und politischer Werte wie Frieden, Sozialismus und Solidarität auf die Fahnen.
Auch die ersten jüdischen Turn- und Sportvereine, wie etwa der „Jüdische Arbeiter-Sport-Klub Frankfurt“ (JASK), fanden im neugegründeten Verband schnell ihr Zuhause. Innerhalb weniger Jahre schuf die beständig wachsende Organisation eine umfangreiche Infrastruktur und errichtete ohne jegliche öffentliche Unterstützung in zahlreichen Städten und Regionen eigene Turn- und Sportplätze.
Die 1919 erfolgte Umbenennung in „Arbeiter-Turn- und Sportbund“ markierte gleichzeitig den Durchbruch des Fußballs in Deutschland – nach anfänglicher Skepsis erkannte der ATSB diesen letztlich als vollwertige Sportart an. Mit diesem Schritt demonstrierte der Verband, wie es in der Ausstellung heißt, „seinen Willen, dem bürgerlichen Deutschen Fußball-Bund (DFB) die Monopolisierung dieser attraktiven Sportart im eigenen Sozialmilieu nicht einfach zu überlassen“.
Schnell entstand eine reichsweite Ligastruktur des Arbeiterfußballverbands; zwischen 1920 und 1932 wurden 13 Bundesmeisterschaften ausgetragen. Und auf internationaler Ebene fanden bis 1932 insgesamt 76 Länderspiele der ATSB-Auswahl statt – bei denen, wie in der Begleitbroschüre der Ausstellung zu erfahren ist, „die Spieler anstelle der Nationalhymne gemeinsam mit dem Gegner die ,Internationale‘ sangen“. Zudem fanden die Spiele unter der Fahne der Weimarer Republik statt, anders „als bei den DFB-Länderspielen, wo die Nationalelf noch bis Mitte der 20er Jahre unter schwarz-weiß-roter Fahne des Kaiserreichs auflief“.
In dem regionalen Ergänzungsmagazin zur Ausstellung, „Arbeiterfußball in Hessen“, ist außerdem zu erfahren, dass der Arbeiter-Sportverein Griesheim am 29. Januar 1933 „auf dem Platz der bürgerlichen Spielvereinigung Griesheim 02“ die Landesmeisterschaft gegen den Arbeitersportverein Mainz gewann. „Es muss gleichzeitig das letzte Spiel gewesen sein, denn die alsdann eintretenden politischen Verhältnisse ließen einen weiteren Spielbetrieb nicht zu“, wird dort aus einer Chronik über „50 Jahre Fußball in Griesheim“ zitiert. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden bis Sommer 1933 die Arbeitersportverbände zwangsweise aufgelöst und enteignet, sodass fast 11 000 ArbeiterSport- und Turnvereine mit zusammen mehr als 900 000 Mitgliedern vor dem organisatorischen Aus standen.
Helga Roos vom Sportkreis Frankfurt betreut die Ausstellung und bezeichnet sie als „große Bereicherung“. Sie bemängelt, „dass in der Geschichte des DFB bisher äußerst wenig über diesen Zweig der deutschen Fußballgeschichte“ zu erfahren sei. Und das, „obwohl die Arbeiterfußballer nach 1945 die Erstgaranten für einen neuen antimilitaristischen, antifaschistischen und der Völkerfreundschaft verpflichteten Fußball“ darstellten. Für Roos steht eindeutig fest, dass Sport politisch ist und somit stets auch „gesellschaftliche Auseinandersetzungen widerspiegelt – vor 1933, während des Faschismus, heute.“
Daher betrachtet sie die Werte des Arbeitersports, wie sie in der Ausstellung vermittelt werden, auch als „durchaus aktuell in den Debatten um Fankultur, um Positionierungen und Haltungen gegen Neonazi-Organisationen und AfD-Hetze in den Stadien und quer durch die Republik.