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Inobhutnahmen in Frankfurt: Teenies in Not

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Von: Kathrin Rosendorff

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Leiterin Petra Eppinger-Arnold im Wohnzimmer der Inobhutnahme Bornheim: „Wir wollen den Mädchen eine schöne Umgebung schaffen.“
Leiterin Petra Eppinger-Arnold im Wohnzimmer der Inobhutnahme Bornheim: „Wir wollen den Mädchen eine schöne Umgebung schaffen.“ © Rolf Oeser

Eigentlich sind Inobhutnahmen nur eine kurze Übergangslösung für Kinder und Jugendliche, die in ihrer Familie nicht bleiben können. Aber weil es weniger Plätze in Anschlussstellen gibt, bleiben sie dort oft länger. Das stellt Personal und Betroffene vor große Herausforderungen, wie das Beispiel aus Frankfurt-Bornheim zeigt

Es klingelt oft an der Tür. Auch spät nachts. Vor der Eingangstür hängt eine Kamera, um drinnen zu schauen, wer davorsteht. Eltern haben hier keinen Zutritt. „Ich fühle mich hier sicher, weil nicht jeder rein darf“, erzählt die 13-jährige Ariana*, die in Wirklichkeit anders heißt.

Die Inobhutnahme Bornheim in Frankfurt ist ein geschützter Raum für Teenie-Mädchen zwischen 12 und 15 Jahre. Einige von ihnen sind von ihrem Zuhause, ihren Eltern geflüchtet. Alle, die hier sind, können wegen Kindeswohlgefährdung nicht mehr zu Hause bleiben. Aus den verschiedensten Gründen: Die 15-jährige Alina* erzählt: „Meine Mutter hat mich geschlagen. Wir haben viel gestritten. Sie hat versucht, mir ihre Religion aufzuzwingen. Ich hatte keine Freiheit, durfte nie rausgehen. Meine Mutter akzeptiert auch meine Homosexualität nicht. Sie hasst meine Freundin.“ Das Teeniemädchen mit den schwarzblau gefärbten Haaren sitzt an diesem Tag entspannt auf der Couch im liebevoll eingerichteten Wohnzimmer des Hauses. „Es ist chillig hier. Die Betreuerinnen sind sehr nett“, sagt sie. Auf dem Holztisch in der Mitte stehen Blümchen. „Make my heart smile“ ist auf einem Bild zu lesen. An der Wand hängen Postkarten in weißen Bilderrahmen eingerahmt, auf denen steht: „Stay strong“, „Love“ oder „Choose to Shine“. „Wir wollen den Mädchen eine schöne Umgebung schaffen, ihnen zeigen: ‚Ihr seid es uns wert‘“, betont die Leiterin des Hauses, Petra Eppinger-Arnold.

Denn viele der Mädchen hätten in ihrem Leben wenig Liebe, Anerkennung erfahren. Sarah* ist eins der Mädchen, die vorübergehend hier wohnen. Sie ist bereits 16 und will „nie wieder nach Hause“. Sie habe die ständigen Beleidigungen des Vaters nicht mehr ausgehalten. „Ich habe mich nicht geliebt gefühlt, ich war einsam, verletzt. Alles an mir hat ihm nicht gepasst. Sogar meine künstlichen Nägel waren ein Grund, mich zu beschimpfen.“ Die Leiterin betont: „Wir haben sie, obwohl sie schon 16 ist, aufgenommen, weil andere Inobhutnahmen voll waren.“

Zehn Plätze gibt es hier, an diesem Tag sind nur sechs belegt. „Normalerweise sind wir voll belegt. Es ist ungewohnt ruhig. Morgen kann es aber wieder anders aussehen. Es passiert schon mal, dass wir drei Mädchen an einem Tag aufnehmen.“ Im Oktober 2017 wurde die Inobhutnahme Bornheim eröffnet. „Der Hauptgrund, warum die Mädchen kommen, sind Eltern, die mit ihren Kindern überfordert sind, gefolgt von körperlicher Gewalt. Fälle von sexuellem Missbrauch gibt es bei uns eher selten.“ Anders als andere Inobhutnahmen in Hessen hätten sie nicht mit Personalmangel zu kämpfen. Die acht Vollzeitstellen seien mit zehn Mitarbeiterinnen belegt. Die meisten der Mädchen würden aber oft länger als vorgesehen bleiben. Denn: „Wir sind eigentlich nur ein Übergangsort für Notsituationen. Statt vier bis sechs Wochen bleiben die Mädchen zwischen zwei bis drei Monaten, manche auch länger.“ Nur ein Drittel gehe zurück zur Familie, das geschehe meist nach wenigen Wochen. Aber warum bleiben die anderen Mädchen so lange? „Ein Problem ist, dass viele Stellen beim Frankfurter Jugendamt nicht besetzt sind. Dadurch stockt die Fallbearbeitung. Auch dann, wenn die Mitarbeiter:innen sehr engagiert sind“, so Eppinger-Arnold.

In dem Moment bringt ein Taxifahrer einen Koffer eines Mädchens. „Die Mädchen flüchten oft nur mit einem Täschchen und ihrem Handy, die Eltern packen später die Koffer. Aber weil das Jugendamt so wenig Personal hat, wird der Koffer eben auch mal mit dem Taxi gebracht.“ Sie betont, ein weiteres großes Problem sei, einen geeigneten Platz in einer Wohngruppe in Frankfurt zu finden. „Es fehlen Wohngruppen, vor allem therapeutische Wohngruppen. Einige mussten auch schließen, weil der Personalmangel zu groß war.“

Und die Leiterin sagt: „Manchmal gibt es auch einen freien Platz in einer Wohngruppe im Odenwald, aber die Mädchen wollen in Frankfurt bleiben. Hier haben sie ihre Freunde, hier gehen sie zur Schule.“ Viele der Mädchen sind nicht das erste Mal in einer Inobhutnahme. So eben auch Alina, die es mit ihrer Mutter nicht ausgehalten hatte: „Vor einem Jahr war ich auch schon mal in einer Inobhutnahme, ich bin dann zurück nach Hause, ich wollte meiner Mutter eine Chance geben. Aber sie hat mich genauso schlecht behandelt.“ Seit Januar ist die 15-Jährige jetzt schon in der Einrichtung in Bornheim. Seitdem wartet sie auf einen Platz in einer Wohngruppe. Ein großes Problem sei, so die Leiterin: „Wir können vieles nicht in die Wege leiten. Wir sind nur dafür da, die erste Krise zu meistern, Sicherheit und Schutz zu geben, aber für die Perspektivenplanung ist das Jugendamt zuständig. Manchmal sind Kolleginnen etwas frustriert, weil wir nicht mehr machen können. Wir können den Mädchen zuhören, sie bei Gesprächen zum Jugendamt begleiten. Aber einen Therapieplatz beispielsweise dürfen ihnen nur ihre Eltern oder ein Vormund besorgen. Wir wünschten uns, dass den Mädchen schneller Perspektiven gegeben werden, damit sie mit ihrem Leben weitermachen können und sie nicht das Gefühl bekommen, dass sich niemand für sie interessiert.“

Weil sie länger blieben, sei es für beide Seiten auch nicht so einfach, sich wieder zu trennen. „Wir gewöhnen uns an die Mädchen und sie sich an uns. Wenn die Mädchen später in eine geeignete Wohngruppe ziehen, sind wir einerseits traurig, sie gehen zu lassen. Aber gleichzeitig freuen wir uns, dass sie eine gute Perspektive haben.“ An den Spinden der Mitarbeiterinnen hängen Zettel und Post-its, die Mädchen zum Abschied hinterlassen haben. Auf einem Post-it steht: „Hab dich lieb“, auf einem anderen: „Sarah, kann gut bei Just Dance“ tanzen. „Wir duzen uns hier alle“, sagt Eppinger-Arnold.

Sie und ihre Kolleginnen seien alle Sozialarbeiterinnen, keine Therapeutinnen. Die Mädchen, die hierherkämen, hätten oft große Probleme mit der Schule. Alina wiederholt gerade die neunte Klasse. Monatelang ist sie nicht in die Schule gegangen. „Der Stress mit meiner Mutter macht zu müde“, sagt sie. Zur Wahrheit gehöre aber auch, so Eppinger-Arnold, dass sie den Anschluss nicht hinbekam nach der langen Zeit des Homeschooling in der Pandemie; so dass sie eben auch aus Frust, nicht mitzukommen, nicht mehr zur Schule wollte.

„Viele der Mädchen haben seit dem Lockdown Probleme, sie hatten keine Mutter mit Abi zu Hause, die ihnen mit den Hausaufgaben helfen konnte, und in der Schule geht der Lernstoff weiter. Zudem ist oft Mobbing ein Thema, warum die Mädchen nicht in die Schule wollen.“ Morgens wecken die Betreuerinnen die Mädchen. „Aber manche stehen einfach nicht auf. Was sollen wir machen? Wir können und wollen sie nicht an den Haaren rausziehen.“

Auch Suizidgedanken seien ein Thema. „Es gibt Abende, wo wir ein Mädchen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie bringen müssen, weil sie droht, sich was anzutun. Auch haben wir öfter Mädchen, die sich selbst verletzen.“ Zwei Mitarbeiterinnen seien bis 24 Uhr da, eine bleibe immer über Nacht. Viele der Mädchen hätten Schlafstörungen, brauchten nachts Gespräche, weil sie wegen ihrer Probleme nicht schlafen könnten. „Nachts kommt zudem oft ein Notfall rein, wenn es in einer Familie eskaliert. Oder auch bekommen wir einen Anruf von der Bundespolizei , wenn ein Mädchen auf der Durchreise, das von zu Hause geflüchtet ist, im Zug in Frankfurt entdeckt wird. Das Mädchen bleibt dann die Nacht hier. Länger bleiben dürfen aber ansonsten nur Frankfurter Mädchen.“ Hausregeln gibt es auch: Bis 21 Uhr müssen sie im Haus sein, jede hat ein eigenes Schlafzimmer, unten in der Küche wird frisch und gesund für sie gekocht. „Brokkoli ist nicht so mein Ding. Kuchen eher“, sagt eins der Mädchen und lacht.

Und auch wenn die Mitarbeiterinnen viele traurige Geschichten hörten, werde in der Inobhutnahme auch viel gelacht, so die Leiterin. Eins der Mädchen zeigt stolz einen Jutebeutel, den sie in einer Batikstunde selbst gefärbt hat. „Oft ist es auch lustig bei uns. Wir waren schon oft mit den Mädels zusammen im Kino, bowlen und auf der Dippemesse. Es sind Teenies. Es ist wichtig, dass sie auch eine gute Zeit haben.“ Die 13-jährige Ariana* bestätigt das: „Ich kann mit den Betreuerinnen über meine Probleme sprechen. Auch mit den anderen Mädels, kann ich ernst reden. Aber wir albern auch viel rum. Das ist wichtig, sonst ziehen uns unsere Probleme zu sehr runter.“ Seit zwei Wochen ist sie hier, in der letzten Wohngruppe, in der sie lebte, sei sie nicht mehr klargekommen. „Meine Mutter ist gestorben, als ich ein kleines Mädchen war. Mein Vater hatte dann eine neue Frau, sie wollte meinen Vater nur für sich. Am Ende sagte mein Vater: ‚Ich will, dass du gehst‘. Das hat mich sehr traurig gemacht. Ich war sechs Jahre alt.“ Momentan hat sie gar keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Sie wartet auf einen Platz in einer neuen Wohngruppe. Am Ende sagt sie den Satz, den fast alle Mädchen hier sagen: „Ich wünsche mir, dass alles wieder gut wird mit meiner Familie.“

*Alle Namen der minderjährigen Mädchen von der Redaktion geändert

Eine Mitarbeiterin bringt den Koffer, den die Eltern gepackt haben, ins Zimmer eines Mädchens.
Eine Mitarbeiterin bringt den Koffer, den die Eltern gepackt haben, ins Zimmer eines Mädchens. © Rolf Oeser
Einer der vielen Zettel am Spind der Mitarbeiterinnen, die die Mädchen ihnen hinterlassen haben.
Einer der vielen Zettel am Spind der Mitarbeiterinnen, die die Mädchen ihnen hinterlassen haben. © Rolf Oeser

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