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Immer weniger Zeit für Kranke

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Von: Jutta Rippegather

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Kundgebung auf dem kalten Römerberg statt arbeiten in der warmen Praxis: Ärzteprotest am Mittwoch. Christoph Boeckheler (2)
Kundgebung auf dem kalten Römerberg statt arbeiten in der warmen Praxis: Ärzteprotest am Mittwoch. Christoph Boeckheler (2) © Christoph Boeckheler

Das Personal der Arztpraxen protestiert gegen Defizite in der ambulanten Versorgung. 260 Haus- und Kinderpraxen in Hessen sind ohne Nachfolge.

Protestieren statt heilen: Rund 1000 Ärztinnen und Ärzte und ihr Praxispersonal haben am Mittwoch auf dem Frankfurter Römerberg für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert. Sie fordern einen Inflationsausgleich, weniger Bürokratie und eine Vergütung, die sich an ihrerer Leistung orientiert. Nicht zuletzt auch, um ihre Medizinischen Fachangestellten angemessen bezahlen zu können, die immer rarer würden, Großartiges leisteten, ohne dass dies von der Politik gewürdigt werde, wie mehrere Ärztevertreter betonen.

Kranke hätten schon jetzt unter den Folgen der chronischen Unterfinanzierung zu leiden. Die Zeit für Behandlungen falle immer knapper aus. Regionen außerhalb der Ballungsräume kämpften bereits mit Unterversorgung.

Neugeborene nicht zu behandeln

260 Haus-, Kinder- und Jugendpraxen in Hessen seien nicht besetzt, die Arbeit kaum mehr zu stemmen: „Jeden Tag lehnen wir die Aufnahme neuer Patientinnen und Patienten ab, selbst die Versorgung Neugeborener ist vielerorts unmöglich“, sagt Ralf Moebus, Kinder- und Jugendarzt aus Bad Homburg und Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen. In seiner Rede auf dem Römerberg fordert er mehr Medizinstudienplätze und ein Ende der Budgetierungen, wie die Politik sie seiner Fachgruppe jetzt in Aussicht gestellt hat. Eine Reaktion auf die massiven Versorgungsengpässe in der Pädiatrie, die im Herbst und Winter durch die Medien gingen. Der Druck habe gewirkt, den wollen die Ärztinnen und Ärzte in den nächsten Monaten aufrechterhalten. So lange bis alle Fachgruppen adäquat honoriert werden.

„Wir arbeiten mehr und mehr und bekommen immer weniger“, sagt Monika Buchalik vom Hausärzteverband Hessen. Dabei werde vergessen, dass mehr als 97 Prozent der Behandlungen in Deutschland in Praxen stattfinden. „Wir sind der Schutzschild der Kliniken und werden miserabel behandelt.“

Wie groß der Frust ist, zeigt die relativ hohe Beteiligung an der Kundgebung am Mittwoch in Eiseskälte. Da ist Regina Föste, Gynäkologin aus Gelnhausen, die mit zehn Medizinischen Fachangestellten und ihren vier Kolleg:innen dem Aufruf zum vierten Protesttag in Hessen seit Oktober gefolgt ist. Sie hat es satt, immer mehr Einschränkungen hinzunehmen. „Die Kosten steigen, und jetzt streicht man uns auch noch den Zuschlag für Neupatienten.“ Auch falle es immer schwerer, Medizinische Fachangestellte zu finden. Seit drei Monaten ist in dem Medizinischen Versorgungszentrum in Gelnhausen eine Stelle vakant. „Obwohl wir schon übertariflich zahlen.“

„Sehr fordernd“

Ein paar Meter weiter steht das Team einer Hausarztpraxis in Frankfurt-Bornheim. Eine davon ist Silke Bichiov. Seit 40 Jahren arbeitet sie als Medizinische Fachangestellte in einer Hausarztpraxis, sagt sie. „Erheblich anstrengender“ sei ihre Tätigkeit in dieser Zeit geworden. „Stellenweise sehr fordernd.“ Und auf Nachfrage ergänzt sie, dass auch der Umgangston ein anderer geworden sei: „Zum Teil sind die Patienten sehr unhöflich.“

Ingrid Gerlach, Bundesvorsitzende des Verbands der medizinischen Fachberufe, drängt darauf, das Ruder sofort herumzureißen. „Die Kolleginnen sind am Ende“, sagt sie. Rund 46 Prozent aller Medizinischen Fachangestellten erwögen, den Beruf wegen der hohen Stressbelastung und mangels Wertschätzung zu verlassen. Ohne sie könne eine Praxis aber nicht funktionieren, denn das gehe nur in Teamarbeit. „Sie koordinieren die Terminplanung, geben telefonische Auskünfte, organisieren das Praxismanagement, assistieren bei Diagnostik und Therapie, und sie sind eine wichtige Säule in der Prävention und Prophylaxe“, sagt Gerlach. „Sie führen die Diskussionen, wenn keine Termine frei sind und Versicherte aufgrund von Überlastung abgewiesen werden.“

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