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„Im Vordergrund steht die humanitäre Hilfe“

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Von: Thomas J. Schmidt

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Stephanie Krömer, Leiterin der Arbeitsagentur.
Stephanie Krömer, Leiterin der Arbeitsagentur. © Christoph Boeckheler

Stephanie Krömer, Leiterin der Arbeitsagentur, spricht im Interview über die Qualifizierung und Integration der ukrainischen Geflüchteten in den Frankfurter Arbeitsmarkt.

Zehn Millionen Menschen, jeder vierte Ukrainer, sind auf der Flucht. Etwa 300 000 sind schon in Deutschland angekommen, 6000 davon in Frankfurt. Wie sind ihre beruflichen Perspektiven? Darüber hat die Frankfurter Rundschau mit der Leiterin der Arbeitsagentur, Stephanie Krömer, gesprochen.

Sehen Sie schon ein Interesse der Ukraine-Flüchtlinge, in Frankfurt Arbeit aufzunehmen?

Einige Menschen aus der Ukraine und auch Ehrenamtliche, die sich für ukrainische Geflüchtete engagieren, sind schon auf uns zugekommen. Die Menschen aus der Ukraine bringen berufliche Qualifikationen mit, die für uns, für unseren regionalen Arbeitsmarkt sehr wertvoll sind. Einige Integrationsideen gibt es bereits. Es ist allerdings noch viel zu früh, dies in Zahlen zu fassen. Zunächst sind die Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, froh, in Sicherheit zu sein. Sie benötigen eine Bleibe, Versorgung, Plätze an den Schulen für die Kinder und müssen vor allem erst einmal ihre teils schrecklichen Erlebnisse verarbeiten. Wir dürfen nicht vergessen: Diese Menschen mussten aus ihrem Heimatland fliehen, um einem Krieg zu entkommen! Und sie mussten Familienmitglieder, Ehepartner, Freunde zurücklassen. Wir unterstützen gern, wo wir können, haben eine bundesweit geschaltete Dolmetscherhotline, eine mit ukrainisch- und russischsprachigen Kolleginnen und Kollegen besetzte Beratungshotline und eine schnell auffindbare Informationsübersicht auf unseren Internetseiten, jetzt auch auf unserer regionalen Agenturseite, eingerichtet. Dennoch: Im Vordergrund steht zunächst die humanitäre Hilfe. Wir werden niemanden drängen!

Es sind überwiegend Frauen mit Kindern. Welche Schwierigkeiten stellen sich da im Arbeitsmarkt? Etwa Kinderbetreuung ...

Richtig, die Betreuung der Kinder muss gewährleistet sein, damit eine Mutter eine berufliche Tätigkeit aufnehmen kann. Daran führt kein Weg vorbei. Außerdem geht es um die Anerkennung beruflicher oder universitärer Abschlüsse, die Voraussetzung dafür sind, eine den bereits vorhandenen Qualifikationen entsprechende Arbeit aufzunehmen. Wir möchten Menschen, die bei uns arbeiten möchten, einen guten, existenzsichernden Einstieg in den Arbeitsmarkt bieten. Hier geht es nicht darum, möglichst schnell irgendeine Beschäftigung anzubieten. Das wäre der falsche Ansatz. Zudem sind für die meisten Berufe entsprechende Sprachkenntnisse erforderlich. Das setzt häufig den Besuch von Sprachkursen voraus, um ausreichende Deutschkenntnisse zu erwerben.

Welche Voraussetzungen bringen diese Leute mit? Sind sie qualifiziert?

Nach den ersten Gesprächen, die wir geführt haben, können wir bestätigen, dass das Qualifizierungsniveau insgesamt hoch ist. Und das auch in Berufsbereichen, die bei uns besonders gefragt sind, wie beispielsweise in IT-Berufen, medizinischen Berufen und dem Erziehungswesen. Laut einer aktuellen Studie unseres Forschungsinstitutes IAB ist der Bildungsgrad der ukrainischen Bevölkerung insgesamt hoch. Der Anteil an Frauen, die über einen Hochschulabschluss verfügen, liegt sogar über dem der Männer. Für unseren Arbeitsmarkt wären diese Potenziale ganz klar eine Bereicherung.

Welche Schritte sind erforderlich, damit die Qualifikation hier anerkannt werden kann?

Voraussetzung für die Aufnahme einer Berufstätigkeit ist zunächst eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Diese wird durch die Ausländerbehörde erteilt. Durch eine aktuell für Geflüchtete aus der Ukraine geltende Richtlinie zum vorübergehenden Schutz kann die Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme recht zügig und ohne weitere Hürden erteilt werden. Ist die Fiktionsbescheinigung erstellt, können wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Beratungs- und weiterführenden Qualifizierungsangeboten unterstützen. Dazu gehört auch, dass wir dabei helfen, die entsprechenden Anerkennungs- und Qualifizierungsberatungsstellen ausfindig zu machen.

Wie lange dauert eine solche Anerkennung in der Regel?

Da gibt es kein einheitliches Zeitfenster. Das ist unterschiedlich und hängt natürlich auch davon ab, wie viele Menschen sich in welchem Zeitfenster bei den entscheidenden Stellen melden. Zudem ist die berufliche Anerkennung je nach Berufsgruppe an unterschiedlichen Stellen angedockt. Die eine, einzige Anlaufstelle gibt es dafür nicht.

Was kann man zu den sprachlichen Erfordernissen des Arbeitsmarktes sagen? Gibt es Sprachkurse bei Ihnen im Rahmen der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt?

Zum grundsätzlichen Spracherwerb gibt es zunächst die sogenannten Integrationskurse, die über das Bamf – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – angeboten werden. Wir als Agentur für Arbeit können aber Sprachkurse für weiterführende fachliche Sprachkenntnisse vermitteln, anbieten und finanzieren. Dabei handelt es sich meist um eine Kombination aus beruflichen Qualifizierungsinhalten und der Vermittlung beruflicher Sprachkenntnisse. Da sind wir am Start.

Ihrer Beobachtung nach: Wie lange wollen die Familien in Deutschland bleiben? Wenn sie so rasch wie möglich zurück wollen, werden sie sich unter Umständen nicht bei Ihnen melden, um eine Arbeit vermittelt zu bekommen?

Dazu kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand eine Prognose abgeben, denn das hängt ganz entscheidend vom weiteren Verlauf des Kriegsgeschehens ab. Die Menschen haben ihr Land ja nicht verlassen, weil sie es wollten, sondern weil sie sich dazu gezwungen sahen. Dementsprechend möchten die meisten so schnell wie möglich wieder in ihre Heimat und in ihr gewohntes Leben zurückkehren. Dennoch haben wir, wie zu Beginn gesagt, bereits Anfragen erhalten, und ich gehe davon aus, dass es mehr werden. Wir werden auf jeden Fall alles tun, um diese Menschen zu unterstützen. Dabei ist unser Schwerpunkt: Wir wollen ganzheitlich, entsprechend der bestehenden Qualifizierungen und mit Blick auf die besten individuellen Perspektiven beraten.

Ist der Arbeitsmarkt in Frankfurt aufnahmefähig genug?

Das kann ich mit einem ganz klaren Ja beantworten. Wir haben in der Rhein-Main-Region ein großes, vielseitiges Angebot aus nahezu allen Branchen und Unternehmenssparten, dazu ein internationales Publikum. Wir benötigen Zuwanderung sogar, um den großen und perspektivisch weiter steigenden Fachkräftebedarf jetzt und in Zukunft auch nur annähernd decken zu können.

Interview: Thomas J. Schmidt

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