1. Startseite
  2. Frankfurt

Houellebecq kommt zur Buchmesse

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Claus-Jürgen Göpfert

Kommentare

Der ganz normale Trubel auf der Frankfurter Buchmnesse.
Der ganz normale Trubel auf der Frankfurter Buchmnesse. © Michael Schick

Frankreich will als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ein Zeichen für Toleranz setzen. Viele prominente französische Autoren werden nach Frankfurt kommen, darunter der Superstar Michel Houellebecq.

Er ist der Meister des Schwarz-Weiß, in dessen überbordenden Bilderwelten man sich völlig verlieren kann. Mehr als 50 Originalzeichnungen von Marc-Antoine Mathieu hängen seit wenigen Tagen an den Wänden des Museums Angewandte Kunst in Frankfurt. Wirbel drehen sich, Schluchten klaffen – es gibt keine Sicherheit, keinen Halt in diesen Bildern. „Kartografie der Träume“ ist der erste von mehreren hundert Programmpunkten, mit denen sich der Ehrengast der Frankfurter Buchmesse im Oktober präsentiert: Frankreich.

Frankreich, ein Land im politischen Aufbruch – nach dem Wahlsieg von La République en Marche am Sonntag will man mehr denn je dieses Signal vermitteln. Anne-Marie Descotes, französische Botschafterin in Deutschland und erst seit dem 6. Juni im Amt, betont denn auch, dass Frankreich mit dem Buchmessenauftritt „der Gefahr der Spaltung und Abschottung“ in Europa begegnen wolle. „Wir müssen die humanistischen europäischen Werte fördern, Toleranz und Weltoffenheit“, sagt die Diplomatin unter dem Beifall der versammelten Kulturschaffenden im Forum des Museums. Aber nicht allein Frankreich bestreitet diesen Buchmessenbesuch, sondern die 84 Länder mit insgesamt 220 Millionen Menschen, in denen Französisch gesprochen wird. Die Frankophonie also, zum Beispiel die französischsprachige Schweiz, Wallonien, Luxemburg und viele Länder Afrikas, Asiens und des Maghreb. „Die französische Sprache gehört nicht Frankreich“, sagt Paul de Sinety, der Vorsitzende des Gastlandauftritts.

Literarischer Redner bei der Eröffnung der Buchmesse am 10. Oktober wird denn auch Wajdi Mouawad sein, Autor, Schauspieler und Dramaturg libanesischer Herkunft, der in Paris das Théâtre national de la Colline leitet. All das sind deutliche Zeichen gegen den verengten Kulturbegriff eines Front National.

112 Tage vor dem Eröffnungsabend können die Organisatoren eine stolze Zwischenbilanz ziehen. Weit mehr als 100 französischsprachige Autorinnen und Autoren haben ihre Teilnahme an der Buchmesse zugesagt. Darunter auch der sehr zurückgezogen lebende literarische Superstar Michel Houellebecq. Er will am 11. Oktober im Frankfurter Schauspiel vor großem Publikum lesen und diskutieren. Viele andere namhafte Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind dabei, von Yasmina Reza über Emmanuel Carrère und Luc Boltanski bis hin zu Virginie Despentes und Tahar Ben Jelloun.

Eine große Bewegung hat dieser Gastlandauftritt schon jetzt in der Verlagslandschaft ausgelöst. Nicht weniger als 473 französische Titel sind bisher aus diesem Anlass ins Deutsche übersetzt worden, darunter 213 Romane und 143 Comics. Täglich verlängert sich diese Liste noch. Auch klassische Werke der französischen Literatur wie etwa die Bücher von Charles Baudelaire, George Sand oder des Ethnologen Claude-Lévi Strauss („Traurige Tropen“) sind neu aufgelegt worden.

Das heißt: Mit französischer Literatur soll der Buchhandel in diesem Jahr in Deutschland auch ordentlichen Umsatz machen. Dieser wirtschaftliche Hintergrund eines Ehrengastauftritts ist für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Buchmesse stets sehr wichtig. Eine Land mit schwach entwickelten Strukturen der Buchproduktion hat es deshalb sehr schwer, Ehrengast zu werden. Aber davon ist an diesem Dienstag bei der Präsentation des Ehrengastes nicht die Rede.

Lieber spricht Buchmessen-Direktor Juergen Boss von einem Europa, das „politisch zunehmend unter Druck gerät und in dessen Bevölkerung wir tiefe Risse beobachten“. In diesen unruhigen Zeiten festige der Auftritt Frankreichs auf der Frankfurter Buchmesse die engen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich.

Im Zentrum auf dem Messegelände wird der 2500 Quadratmeter große Ehrengastpavillon stehen, der sich als Bibliothek der Vielfalt französischsprachiger Literatur versteht. „Gleichzeitig verleiht ihm ein Tragwerk aus Holzleisten die Anmutung eines Baugerüsts, das den Prozess des Entstehens und Werdens symbolisiert“, sagt Ruedi Baur, der künstlerische Leiter des Ehrengastauftritts.

Natürlich darf im Pavillon auch eine Gutenberg-Presse nicht fehlen, auf der sich die Besucher selbst Texte drucken lassen können. Und auch die Brasserie nicht, die eine Anmutung französischer Küche vermittelt. Im Pavillon wird die Oktober-Sendung des „Literarischen Quartetts“ des ZDF aufgezeichnet (Ausstrahlung am 13. Oktober um 23 Uhr). Und es gibt dort die Möglichkeit, einen virtuellen Tauchgang in die französische Sprache zu unternehmen und dabei Figuren von Samuel Beckett und Eugene Ionesco zu begegnen.

„Francfort en français“ („Frankfurt auf Französisch“: Unter diesem Motto präsentieren etliche Frankfurter Kulturinstitutionen französische Kultur. Im Deutschen Filmmuseum am Schaumainkai etwa macht die „Filmfabrik“ des Regisseurs Michel Gondry Station. Er will zeigen, dass alle Menschen Filmemacher sein können. In nur drei Stunden sollen Gruppen von jeweils fünf bis zwölf Personen ihre eigenen Kurzfilme drehen. In festgelegten Kulissen, mit ausgewählten Kostümen.

In der Goethe-Universität treffen am 12. Oktober französische Philosophie und Kritische Theorie aufeinander. Und französische Intellektuelle wie der Historiker Patrick Boucheron oder die Philosophin Julia Kristeva laden Interessierte zu „Konferenzen“ ein. Im Haus am Dom gibt es am 8. Oktober literarische Begegnungen unter dem Motto „Je vous écris d’Europe“ („Ich schreibe Euch aus Europa“).

Buchmessen-Direktor Boos lobt die französische Literatur als „sehr stark in der Gegenwart verankert“. Die deutsche dagegen übe sich im Blick zurück: „Wir sind gerade in den 70ern angekommen.“

Auch interessant

Kommentare