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"Die Holocaust-Leugner sind sehr laut"

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Sybille Steinbacher in ihrem Büro im Institut.
Sybille Steinbacher in ihrem Büro im Institut. © Peter Juelich

Sybille Steinbacher, Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts, spricht über den Kampf gegen fehlendes Geschichtswissen, Fritz Bauer und die Situation des Instituts in Zeiten der AfD.

Vor 50 Jahren starb in Frankfurt Fritz Bauer, der hessische Generalstaatsanwalt, der mit den Auschwitz-Prozessen die erste juristische Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland initiierte. Das nach ihm benannte Fritz-Bauer-Institut, das Geschichte und Wirkung des Holocaust aufarbeitet, richtet zum Gedenken am Sonntag einen Festakt in der Paulskirche aus. Die FR sprach mit der Direktorin des Instituts, Sybille Steinbacher. 

Frau Steinbacher, was hat Fritz Bauer uns heute noch zu sagen, 50 Jahre nach seinem Tod?
Er hat uns sehr viel zu sagen. Er war rechtspolitisch wie gesellschaftspolitisch bedeutsam für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Er hat viel dazu beigetragen, dass die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema zu einem Teil der politischen Kultur in unserem Land geworden ist. Als Bauer 1949 aus dem Exil zurückkam, war seine Arbeit alles andere als einfach. Er musste gegen viele Widerstände in der Politik und in der Gesellschaft kämpfen. 

Er hatte es mit alten Nazis im Justizapparat zu tun, die versuchten, ihre Arbeit bruchlos fortzusetzen und die NS-Vergangenheit zu verleugnen und zu verharmlosen. Da führt ein direkter Weg in die Gegenwart: Auch heute wird der Holocaust verleugnet und verharmlost. 
Ja. Leider kann man hier Parallelen sehen. Gerade in der Justiz gab es nach 1945 eine hohe Kontinuität der Eliten und einen starken Korpsgeist. Es war sehr schwierig, NS-Täter zu verfolgen. Heute in der Gegenwart ist leider alles möglich, was die Leugnung des Holocaust anbelangt. 

Es gibt nicht nur eine Verharmlosung, siehe das Fliegenschiss-Zitat von Alexander Gauland von der AfD, es gibt mehr. Was bedeutet das für die Arbeit des Instituts? 
Holocaust-Leugner hat es immer gegeben seit Ende des Zweiten Weltkrieges, aber sie sind jetzt sehr laut. Sie haben jetzt eine Partei, mit der sie im Bundestag vertreten sind, das sind andere Vorzeichen. Ich bin seit einem Jahr Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts, und ich habe einen dicken Ordner gesammelt mit übelsten Zuschriften, die ich bekomme aus diesen Kreisen. De facto sind es Leugner, sie verstehen es juristisch oft geschickt, sich nicht aufs Glatteis zu begeben. Aber sie bekennen sich mit vollem Namen. 

Das erleben wir auch bei der Zeitung, nur früher war das anonym. 
Das ist auffallend. Und es wird immer schlimmer: Mich hat es noch nie so geballt getroffen wie im zurückliegenden Jahr. 

Was steht in diesen Briefen und Mails?
(holt einen dicken Aktenordner) Oft wird die Zahl der Opfer angezweifelt, und es werden angebliche Gegenbeweise angeführt. Es wird behauptet, dass Lager wie Auschwitz nur Arbeitslager gewesen seien und dass die Leute wegen der anstrengenden Arbeit zu Tode gekommen seien. Es wird der systematische Massenmord in Zweifel gezogen. 

Was heißt das in der praktischen Arbeit für Sie? 
Es ist wichtiger denn je, Geschichtsbewusstsein zu schaffen. Also wirklich die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu führen. Wir dürfen nicht in Erinnerungsritualen erstarren. Volkhard Knigge, der Leiter der Gedenkstätten des KZ Buchenwald, hat es mal sehr schön auf den Punkt gebracht: Es geht um die freiwillige Selbstbeunruhigung. Das ist die Aufgabe des Instituts. Es geht nicht nur um die Verfolgung der Juden, sondern um alle Opfer von Massenverbrechen des Dritten Reiches. 

Es gibt archäologische Grabungen an früheren Orten des NS-Terrors. Der neue Direktor des Archäologischen Museums in Frankfurt, Wolfgang David, hat sich damit beschäftigt. 
Diese Grabungen sind sehr wichtig. Die Arbeit im ehemaligen Lager Dachau, die David unternommen hat, hat zum Beispiel viele Belege dafür erbracht, dass in Dachau 4000 sowjetische Kriegsgefangene erschossen worden sind. Es werden jetzt Namen recherchiert. Durch diese Ausgrabungen wurde viel in Gang gesetzt. 

Das Fritz-Bauer-Institut hat eine eigene Schriftenreihe. Wie beurteilen Sie die Unterstützung, die Sie aus der Öffentlichkeit und von der Stadt bekommen? 
Wir erfahren viel Unterstützung. Wir haben eine wissenschaftliche Schriftenreihe und außerdem eine mit kleineren Veröffentlichungen. Wir haben vier Träger: die Stadt Frankfurt, das Land Hessen, die Universität Frankfurt und den Förderverein. Es gibt eine sehr große Unterstützung aus der Frankfurter Zivilgesellschaft, die im Förderverein aktiv ist. Das ist eine Besonderheit in Frankfurt, das kenne ich aus anderen Städten nicht. Allein der Förderverein hat knapp 1000 Mitglieder. 

Braucht es mehr Aktivitäten in Schulen, um das Geschichtsbewusstsein junger Menschen zu stärken? 
Ja, unbedingt. Was oft fehlt, ist das Wissen über Zusammenhänge und konkrete Ereignisse. Es wäre wichtig, in Schulen noch mehr zu machen. 

Sorgen die sozialen Medien für eine gewisse Überforderung junger Menschen? 
Was man feststellen kann, ist: Das konkrete Wissen zur NS-Vergangenheit ist bei jungen Menschen nicht sehr präsent. Auch bei Geschichtsstudierenden fehlt ein gesichertes Wissen. Der Geschichtsunterricht in den Schulen wird leider immer weiter gekürzt. 

Sie bieten ab Montag ein zweitägiges Symposium an. 
Wir gehen der Frage nach, was Fritz Bauer mit der 68er-Generation zu tun hatte. Darüber gibt es wenig Erkenntnisse. Da geht es um die Strafrechtsreform und die Demokratisierung der Gesellschaft. Bauer hat ganz bewusst junge Staatsanwälte zur Aufarbeitung des Holocaust eingesetzt, um zu zeigen, dass es auch demokratische Juristen gab. 

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