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Historisches Museum Frankfurt: Dem eigenen Rassismus auf der Spur

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Von: Jana Ballweber

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Künstlerische Interventionen machen zukünftig dauerhaft auf diskriminierende Erzählungen in den Ausstellungen aufmerksam.

Eine türkise Spur zieht sich durch das Historische Museum Frankfurt. Wer durch die Ausstellungen schweift, stolpert seit gestern immer mal wieder über Tafeln, Möbel oder Markierungen in dieser Farbe, die sich oft so gar nicht organisch in die sorgfältig kuratierten Museumsräume einfügen wollen. Doch dieses Stolpern ist gewollt. Es soll bei Besucher:innen an den Stellen hervorgerufen werden, an denen Menschen mit Rassismuserfahrungen schon vorher gestolpert sind. Über rassistische Darstellungen Schwarzer Menschen, kulturelle Stereotype oder fehlendes Bewusstsein für die Verheerungen, die der europäische Kolonialismus in vielen Teilen der Welt hinterlassen hat und bis heute hinterlässt.

„Blickwechsel – dem Rassismus auf der Spur“: So heißt die Ausstellung, mit der das Historische Museum deutsche und europäische Kolonialgeschichte und auch die eigenen rassistischen Zuschreibungen oder Leerstellen bei der Präsentation bestimmter Ausstellungsstücke aufarbeitet. Zehn Künstler:innen und Aktivist:innen haben gemeinsam mit Kuratorin Puneh Henning 18 solcher Orte im Museum aufgespürt – und interveniert.

Da ist zum Beispiel eine Vitrine, bis obenhin gefüllt mit dem kostbaren Frankfurter Ratssilber. Prunkvoller Tafelschmuck aus dem 18. Jahrhundert, den Repräsentationspflichten einer Stadt wie Frankfurt scheinbar angemessen. Dass in der Darstellung ein vermeintlich Schwarzer Sklave unter dem Gewicht eines überdimensionierten Trinkhorns in die Knie geht, entging bislang sicher vielen staunenden Besucher:innen. Co-Kuratorin Marie Antoinette N’gouan macht es ihnen mit ihrer Intervention nun nicht mehr so leicht. Denn vor dem Ratssilber in der Vitrine verstreut liegen an die 40 Mobiltelefone. Wieder eine Stolperfalle fürs Auge: Die Handys ebenso wie das Silber ungeklärter Herkunft symbolisieren den Raubbau an Rohstoffen, den europäische Kolonialisten in Ländern des globalen Südens betrieben haben – und bis heute betreiben.

Interventionsspur

Seit dem 29. April sind die Interventionen „Blickwechsel - Dem Rassismus auf der Spur“ in den Ausstellungen des Historischen Museums zu sehen. Sie verteilen sich über die anderen Ausstellungen und sind an türkisen Markierungen und Schildern zu erkennen. Die Interventionen werden dauerhaft zu sehen sein.

Am 21. Mai findet von 15.30 Uhr bis 18 Uhr eine Führung und ein Podiumsgespräch zum Thema „Plurale Erinnerungskulturen in der postmigrantischen Stadtgesellschaft“ statt. Zwei Kuratorinnen führen durch die Interventionsspur und durch das Ausstellungsprojekt „Biografisches Kabinett zu Theodor Wonja Michael“.

Kuratorin Puneh Henning führt am 25. Mai um 16 Uhr durch die Interventionsspur. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt vier Euro, und zusätzliche drei Euro für die Führung. jaba

„Es ist nicht geklärt, woher das Silber für den Tafelschmuck ursprünglich kam“, berichtet N’gouan. Auch in jedem der Handys stecke ein wenig Silber. „Ich bin sicher, die wenigsten Konsument:innen machen sich Gedanken, woher dieser Rohstoff stammt und welche Umweltzerstörungen sein Abbau in den Herkunftsländern verursacht“, erklärt sie. Kuratorin und Projektleiterin Henning, die im Museum auch das Amt der Agentin für Diversität ausübt, fügt hinzu: „Die Darstellung des Sklaven mit dem Trinkhorn ist eines der Ausstellungsstücke, bei dem wir im Zuge des Projekts darüber gesprochen haben, ob wir das Objekt überhaupt noch ausstellen sollten. Ich ganz persönlich finde, dass man es nicht zeigen sollte.“ Zu gewaltvoll sei das Bild, das dargestellt werde. „Es ist aber immer ein schmaler Grat, welche rassistischen Erzählungen man abbilden kann, um darüber zu informieren, dass es sie gibt und was dahinter steckt, und welche Objekte diese Erzählungen in einem Maße reproduzieren, dass wir sie aus der Ausstellung herausnehmen“, sagt Henning.

Dass es beim Projekt aber nicht darum gehe, durch die Sammlung zu gehen und kräftig auszusortieren, betont Kulturdezernentin Ina Hartwig: „Ausstellungsobjekte und die Art und Weise, wie man sie präsentiert, erzählen eine Geschichte. Ein antirassistischer Blick erzählt diese Geschichte anders, als es in einer Gesellschaft üblich ist, die ihre eigene Kolonialzeit noch nicht ausreichend aufgearbeitet hat.“ Diesen Punkt betont auch Museumsdirektor Jan Gerchow: „Die Sicht unserer Kurator:innen wird mittels dieser Interventionsspur ergänzt durch die Perspektive von Menschen, die von Rassismus betroffen sind.“

Was Gerchow meint, macht die Intervention „Kleine Münzen, große Veränderungen“ von Gladys Burk deutlich. Das Museum zeigt hier die Sammlung einer Familie, die eine Firma zum Guss von Münzen gegründet hatte. Ausgestellt werden unter anderem 15-Rupien-Stücke aus Gold. Diese Währung wurde während des Ersten Weltkriegs von deutschen Kolonialherren in Deutsch-Ostafrika zwangsweise eingeführt, um den lokalen Handel besser kontrollieren zu können. Der Einfluss auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben war immens. „Bislang wurde die koloniale Bedeutung der Münzen überhaupt nicht abgebildet“, gesteht Direktor Gerchow ein. Ein Generationengespräch zwischen Gladys Burk, ihrem Sohn und ihrem Vater in Kenia, das Besucher:innen neben den Münzen anhören können, füllt nun diese Leerstelle und erzählt eine gänzlich andere Geschichte der Ausstellungsstücke.

Andere Co-Kurator:innen nähern sich den Objekten eher künstlerisch. Kaja erzählt die fiktionale Geschichte der Schwarzen, zeitreisenden Gelehrten Ama Löwenstein, mit der sie einer namenlosen Schwarzen Person in einem Gemälde von Philipp Uffenbach eine Identität geben möchte. Liu Xue verzierte Bembel mit Motiven des Münchner Oktoberfestes und stellte sie zwischen europäische Repliken chinesischer Ming-Vasen, die traditionelle chinesische Motive oft geografisch und zeitlich komplett durcheinander warfen und einem stereotypen Bild Chinas Vorschub leisteten.

Bei aller Kritik an der weißen Mehrheitsgesellschaft, bei aller schonungslosen Konfrontation mit den eigenen Rassismen: Die Interventionsspur zeigt nicht mit dem Finger auf jemanden. Sie erklärt, sie macht sichtbar, sie macht verständlich, wo sich Rassismus im Alltag und in der Kunst versteckt und wo er sich gar nicht versteckt und wir ihn nur nicht sehen wollen. Wer im Museum 18 Mal gestolpert ist, versteht hinterher vieles besser und stolpert vielleicht ganz selbstständig noch ein 19. Mal, und das sogar ohne türkise Hilfestellung.

Bembel in neuem Gewand zwischen Repliken von Ming-Vasen.
Bembel in neuem Gewand zwischen Repliken von Ming-Vasen. © christoph boeckheler*

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