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„Hilfe, jetzt sofort!“

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Von: Timur Tinç

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Mehmet Ali Yıldırım, der am Tag des Erdbebens in der Türkei in Hatay war, versucht nun, seine Verwandten nach Deutschland zu holen.
Mehmet Ali Yıldırım, der am Tag des Erdbebens in der Türkei in Hatay war, versucht nun, seine Verwandten nach Deutschland zu holen. © Monika Müller

Mehmet Ali Yildirim war am Tag des schweren Erbebens in der türkischen Stadt Antakya. Er will Familienmitglieder nach Frankfurt holen, verzweifelt aber an der Bürokratie.

Mehmet Ali Yildirim ist müde. Der 38-Jährige versucht, sich auf den Beinen zu halten, weil er seinen vom Erdbeben betroffenen Verwandten in der Türkei helfen und sie nach Deutschland bringen will. Doch ob dem Frankfurter das gelingt, ist fraglich. „Nicht nur meine Verwandten, auch viele andere Menschen müssen jetzt sofort in Flugzeuge gesetzt und hergebracht werden. Es spielen sich Überlebensdramen ab“, sagt Yildirim.

Er war am 6. Februar in Antakya in der Provinz Hatay in der Wohnung seiner Eltern. Yildirim war mit seiner Schwester und ihrem Mann sowie ihrer ältesten Tochter mit Mann und insgesamt drei Kindern aus Deutschland in die Türkei gereist, um den kranken Vater zu besuchen. An jenem Tag begann plötzlich die Erde in den frühen Morgenstunden zu beben. „Ich erinnere mich nur daran, dass das Licht kam und ging, die Schränke anfingen umzufallen. Dann hörte es kurz auf und dann begann der Boden einzustürzen“, erinnert er sich. Der dritte Stock war plötzlich der zweite. Mit seinen Eltern nahm er das Notwendigste wie sein Telefon in die Hand, rannte zum Treppenhaus. Doch die Treppe existierte nicht mehr. So stiegen allesamt nach oben, wo die anderen Verwandten bereits dabei waren, aufs Dach zu steigen. Die Tür der Nachbarwohnung konnte Yildirim aufbrechen und die dortige Familie befreien. „Was mit den Menschen im ersten Stock passiert ist, wissen wir bis heute nicht“, sagt er. Ihm ist es mit Hilfe der anderen Männer gelungen, alle, die es aufs Dach geschafft hatten, in Sicherheit zu bringen. Noch heute schmerzt ihm davon der Rücken.

Petition und Spende

Yildirim hat zusammen mit zwei weiteren Mitstreitern eine Petition mit der Forderung gestartet, um eine unbürokratische Einreise für Menschen aus der Erdbebenregion zu ermöglichen.

Spenden sammelt ein Freund via Paypal, um es betroffenen Familien vor Ort und punktuell genau weiterzuleiten. FR

Das Leid, das er in den folgenden Stunden mit ansehen musste, habe er in keinem Filmszenario auch nur annähernd jemals gesehen. Menschen, die Arme oder Beine verloren haben und blutüberströmt durch die Straße liefen. Die Schreie und Hilferufe von Menschen aus den Trümmern. Aufflammende Brände, die selbst der strömende Regen nicht löschen konnte. Ausgeharrt hat die Familie im Auto der Schwester. Wer seine Notdurft verrichten musste, wurde bis auf die Knochen nass. Weinkrämpfe, Angst, Adrenalinschübe „haben unser emotionales System durcheinander gebracht“, erzählt Yildirim über die ersten Stunden nach der Erbebenkatastrophe.

Nach mehreren Stunden haben sie zumindest einen Gaskocher und Babynahrung auftreiben können. Geschäfte wurden schon geplündert. Sein Schwager hat später noch die Medikamente aus dem Haus geholt. „Mein Vater hat den Krebs besiegt, aber er muss täglich Medikamente nehmen“, berichtet Yildirim. Ihm war es derweil mit seiner deutschen SIM-Karte geglückt, einen Anruf nach Deutschland abzusetzen, von wo aus jemand seinen älteren Bruder in Antalya benachrichtigen konnte, dass die Familie in Sicherheit sei. Er kam dann eineinhalb Tage später mit Auto und Benzinkanistern. Die Familie konnte daraufhin die Stadt verlassen, von wo aus es in ein Hotel nach Antalya weiterging.

In der Zeit in Antakya hat Yildirim keine Rettungsteams, keine Hilfsgüterverteilungen, keine Gendarmerie gesehen. Seit dem Erdbeben an diesem Montag mit einer Stärke von 6,4 ist das Wohnhaus der Eltern komplett eingestürzt. Yildirim ist seit einer Weile wieder in Deutschland und versucht, mit seiner älteren Schwester die Verwandten herzuholen. Yildirim versucht, den Onkel seiner Nichte sowie dessen Frau und deren Sohn zu sich zu holen. Den Onkel dürfte er laut den aktuellen Regelungen holen, dessen Frau und Neffe aber nicht. Ein weiteres Problem für Yildirim: Der Musiker, der in Istanbul und Frankfurt studiert und seinen Master gemacht hat, ist arbeitssuchend, soll aber Gehaltsnachweise der drei letzten Monate besorgen. „Ich habe jemanden genannt, der mir bei der Finanzierung helfen würde, aber das wird nicht anerkannt.“

Trotzdem sollte er einen formlosen Brief an das Bürgeramt schreiben. Einen Termin hat er erst für kommenden Montag erhalten. Der Brief muss bearbeitet werden und Yildirim auf eine Antwort warten. „Alle Originaldokumente müssen dann per Express geschickt werden. Dann müsste der Einladungsprozess folgen und der Visaprozess in Gang gesetzt werden. Wertvolle Zeit, während Millionen Menschen das Nötigste fehlt. „Und die Verwandten in der Türkei müssen da ja auch noch Formulare ausfüllen. Mit welcher Konzentration sollen sie das machen?“, fragt er.

Seine Verwandten haben es zwar aktuell besser als diejenigen, die noch in der betroffenen Region leben. Trotzdem mussten seine Eltern bereits vier Mal das Hotel wechseln und hatten nicht in allen warmes Wasser oder eine Heizung. Sie tragen dieselben Klamotten, mit denen sie ihre Heimat vor zwei Wochen verlassen haben. Für das eingestürzte Haus, das einen Wert von umgerechnet rund 150 000 Euro hat, hat sein Vater umgerechnet 500 Euro vom Staat ausgezahlt bekommen. Davon sind 400 Euro schon für die Ausstellung von Reisepässen weggegangen. Sollte allen Anträgen stattgegeben werden, müssten Flugtickets, Krankenversicherung und weiteres bezahlt werden. „Ich brauche mindestens 4000 oder 5000 Euro, um überhaupt alle herzubekommen“, sagt Yildirim

Die bürokratischen Hürden hält Mehmet Ali Yildirim für unmenschlich. Während des Syrienkriegs und des Ukrainekriegs sei es auch möglich gewesen, den Menschen unkompliziert zu helfen. Er habe selbst als freiwilliger Helfer an verschiedenen Aktionen teilgenommen. „Während wir versuchen, die Menschen zu retten, die sich gerade dem Tod nähern, werden uns solche bürokratischen Hürden in den Weg gebaut“, sagt Yildirim.

Mit befreundeten Musikern will Yildirim demnächst in Frankfurt oder in der Umgebung ein Benefizkonzert organisieren und Spenden sammeln, die direkt an Familien in der Türkei geschickt werden sollen. In den vergangenen Tagen hat er bereits punktuell Menschen Geld geschickt, damit sie sich wenigstens das Nötigste kaufen können. Über Unterstützung würde er sich dabei freuen.

Er hofft, dass es doch noch einen Weg gibt, seine gesamte Familie nach Deutschland zu holen, damit sie erst einmal zur Ruhe kommen können. Hinzu kommt, dass von ihm verlangt wird, mit seinem eigenen Geld die Menschen nach Deutschland zu holen, aber nach drei Monaten sollen sie nach der aktuellen Regelung wieder das Land verlassen. „Wo sollen die Menschen denn nach drei Monaten hin? Antakya ist ein Ort, wo es nichts mehr gibt. Kein Abwassersystem, keine Schulen, keine Häuser, nur Trümmer. Ich wünsche mir, dass uns die Hand ausgestreckt und sofortige und vor allem menschliche Hilfe geleistet wird.“ Er kenne 40 bis 50 Familien, die die gleichen Probleme wie er in den Bürgerämtern erlebten. „Wir sind zusammen aus den Trümmern gestiegen, ich kann sie nicht einfach da lassen.“

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