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Hessischer Inklusionspreis will gute Beispiele des gemeinsamen Lebens sichtbar machen

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Von: Peter Hanack

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Inklusion gelingt im Alltag häufig nicht. Bei der Verleihung des ersten Hessischen Inklusionspreises im Dominikanerkloster in Frankfurt aber gab es Grund für ganz viele fröhliche Gesichter.
Inklusion gelingt im Alltag häufig nicht. Bei der Verleihung des ersten Hessischen Inklusionspreises im Dominikanerkloster in Frankfurt aber gab es Grund für ganz viele fröhliche Gesichter. © Rolf Oeser

In Frankfurt ist der Hessische Inklusionspreis erstmals verliehen worden. Die Erstplatzierten kommen aus Frankfurt und Laubach. Es wird deutlich, dass Menschen mit Behinderungen es im Alltag noch immer schwer haben.

In Frankfurt ist am Freitag zum ersten Mal der Hessische Inklusionspreis verliehen worden. Der Preis ehrt Einrichtungen, die sich besonders für das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen einsetzen. Redner und Rednerinnen würdigten die Ausgezeichneten, kritisierten jedoch zugleich, dass Inklusion im Alltag längst nicht überall umgesetzt werde. Die Frankfurter Rundschau ist Medienpartnerin des Hessischen Inklusionspreises.

Die Aufregung vor der Verleihung ist groß

Kinderlachen, aufgeregtes Reden und Herumlaufen prägten die Stimmung an diesem Freitagnachmittag im festlich beleuchteten, licht- und luftdurchfluteten großen Saal des Frankfurter Dominikanerklosters. Kein Wunder, schließlich war dies eine Premiere, eine Uraufführung, wie Moderator Andreas Michael Winkel es nannte. Zum ersten Mal wurde dort der Hessische Inklusionspreis verliehen, und da die Eingeladenen nicht wussten, ob sie unter den Ausgezeichneten sein würden und wenn, auf welchem Platz auf dem Treppchen sie stünden, war die Aufregung verständlicherweise groß.

Neun Auszeichnungen beim Hessischen Inklusionspreis

Insgesamt wurden neun Preise verliehen. In der Kategorie „frühkindliche Bildung“ siegte die Kita Grüne Soße aus Frankfurt, die viel Wert auf die ästhetische Bildung der Jungen und Mädchen setzt und bei der Jury vor allem auch mit ihrem Konzept der Gebärdensprache für alle punktete. Bei den Schulen war die Integrierte Gesamtschule Süd, ebenfalls aus Frankfurt, erfolgreich. Dort wird in inklusiven, altersgemischten Gruppen unterrichtet, was den Leistungsdruck mindert – ebenso wie die Tatsache, dass Noten dort erst ab Klasse 9 eine Rolle spielen.

Bei den Vereinen war der Tennisclub Laubach siegreich. Dort können Rolli-Fahrerinnen auch gemeinsam mit Menschen ohne Behinderungen den Filzball über das Netz jagen.

Wie wenig Inklusion, also das selbstverständliche Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen Begabungen und Handicaps, im Alltag gegenwärtig ist, machte Gabriele Naxina Wienstroer deutlich. Die Vorsitzende des Landesbehindertenrats erzählte, wie sie 1979 als damals 15-Jährige mit ihrem Rollstuhl noch im Güterwaggon verreisen musste. „Natürlich hat sich seitdem vieles verbessert und wir können reisen“, sagt sie.

Preisträger

Insgesamt neun Preise in drei Kategorien wurden beim ersten Hessischen Inklusionspreis vergeben.

Frühkindliche Bildung

1. Kita „Grüne Soße“, Sozialpädagogischer Verein zur familienergänzenden Erziehung e.V., Frankfurt

2. Integrative Kindereinrichtungen, Lebenshilfe Frankfurt

Schule

1. IGS Süd, Frankfurt

2. Grundschule Süd-West, Eschborn

3. Gesprächskreis Inklusion an der Wöhlerschule, Frankfurt

Freizeit/Sport/Vereine

1. „Tennis für alle“, Tennisclub Laubach

2. Projekt „ZukunftsDorf22“, Kassel

3. Inklusiver Klettertreff im DAV Kletter- & Boulderzentrum Gießen

3. Inklusives Wohn- und Begegnungszentrum „Am Alten Flughafen“, Lebenshilfe Gießen. pgh

Ohne Assistenzen geht fast nichts

Aber noch immer ist an vielen Bahnhöfen und vielen Zügen eine Assistenz nötig, um voran zu kommen. Auch Museen und Restaurants seien oft nur durch Hinter- oder Nebeneingänge zugänglich, wenn man im Rollstuhl sitze, wie Wienstroer erzählt. „Dieser neue Preis kann helfen, die Hindernisse sichtbar zu machen“, drückt sie ihre Hoffnung aus. Zugleich sei es schade, „dass wir dafür überhaupt eine Preisverleihung brauchen“.

Adressiert war die politische Botschaft auch an die im Hessischen Landtag vertreteten Parteien. Von dort waren allerdings lediglich die Landtagsabgeordneten Ulrike Alex von der SPD sowie die Linken-Fraktionsvorsitzende Elisabeth Kula in das Dominikanerkloster gekommen.

Beim Inklusionspreis gibt es Geld und ein Brett

Als Preise erhielten die Erstplatzierten neben einem eher symbolischen Geldbetrag von 500 Euro ein ebenso symbolisches dickes Brett – das es zu bohren gelte, um Inklusion weiter voranzubringen, wie Thilo Hartmann erläuterte. Der Landesvorsitzende der GEW Hessen ist einer der treibenden Kräfte des Hessischen Inklusionspreises.

Sein Engagement erkläre sich auch daraus, dass „wir selbst eine inklusive Familie sind“ und er oft erlebe, wie schwierig der Alltag für Menschen mit Handicaps und deren Umfeld sein könne. „Es wird viel fantastische Arbeit geleistet“, so Hartmann. Man müsse dafür kämpfen, dass diese gesehen werde und anderen ein gutes Beispiel sein könne. Ausgelobt war der Preis von der Gruppe Inklusionsbeobachtung, in der Elternbund Hessen, der Verein Gemeinsam leben, die Landesschüler:innenvertretung, Landesbehindertenrat, Landesausländerbeirat sowie die GEW Hessen zusammengeschlossen sind.

1. Platz Verein: Tennisclub Laubach

Tennis ist toll, auch im Rolli wie beim Tennisclub Laubach möglich.
Tennis ist toll, auch im Rolli wie beim Tennisclub Laubach möglich. © Rolf Oeser

Tennis für alle: Das ist das Motto des Tennisclubs Laubach. Dort, zu Füßen des Vogelsbergs gelegen, schlagen Menschen mit und ohne Handicap seit dem Jahr 2020 die Filzbälle übers Netz. Aktuell haben 15 der 230 Mitglieder, davon 170 Aktive, eine geistige oder körperliche Behinderung. Für Rollstuhlfahrende, die über keinen eigenen Sportrollstuhl verfügen, hat der TCL mit Unterstützung des hessischen Tennisverbandes und des hessischen Sportministeriums einen solchen Rollstuhl im Wert von rund 2500 Euro angeschafft, den sich alle Interessierten ausleihen können. Seit 2021 treten auch gemischte Mannschaften bei Wettbewerben an. Durch den gemeinsamen Sport sei es gelungen, „Barrieren in den Köpfen“ abzubauen und zugleich die Zahl der Mitglieder zu erhöhen, heißt es im Bewerbungsschreiben um den Hessischen Inklusionspreis. Mit Hilfe des Förderprogramms „Eine Barriere weniger“ der Aktion Mensch wurde im vergangenen Jahr der Weg vom Clubhaus zu den Plätzen gepflastert und eine Rampe gebaut, um den Rolli-Spieler:innen den Zugang zu erleichtern. 2023 nun sollen die Toiletten im Clubhaus behindertengerecht umgebaut werden. Dafür werden zurzeit noch die nötigen Fördermittel akquiriert. pgh     

1. Platz Schule: IGS Süd, Frankfurt

Schule für alle: Die IGS Süd in Frankfurt kann sich als Sieger fühlen.
Schule für alle: Die IGS Süd in Frankfurt kann sich als Sieger fühlen. © Rolf Oeser

Die IGS Süd hat sich gleich als ganze Schule um den Hessischen Inklusionspreis beworben. Die integrierte Gesamtschule aus Frankfurt hat dazu ihr gesamtes, 43 Seiten starkes Schulkonzept eingereicht - weil es nicht darum gehe, einzelne Projekte hervorzuheben oder Aktionen zu initiieren. Inklusion, so heißt es im Bewerbungsschreiben, „sollte selbstverständlich sein! In einem System wie Schule muss Inklusion in allen Bereichen von allen Akteur*innen mitgedacht und Hindernisse und Hemmnisse wie Noten oder die Unterrichtsorganisation abgebaut werden“. Das hat die Schule seit ihrer Gründung 2016 auch zu tun versucht. Dazu hat die IGS Süd ein neues Unterrichtskonzept entwickelt und konsequent eingesetzt. So lernen die Schüler und Schülerinnen selbstständig mit Lernbausteinen in sogenannten Fachbüros. Dort können sie dann auch selbst entscheiden, welches Fach gelernt wird. Die Klassen sind jahrgangsgemischt, Noten gibt es erst ab Klasse 9. In allen Projekten, Klassen und Unterrichtssituationen arbeiten Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen gemeinsam, regelmäßige Morgenkreise auch in höheren Jahrgängen sollen das Gemeinschaftsgefühl weiter stärken. pgh

1. Platz Kita: Grüne Soße, Frankfurt

Seit einigen Jahren schon lernen alle Kinder und Erwachsenen in der Kita Grüne Soße die deutsche Gebärdensprache, die Fachkräfte haben zum großen Teil Gebärdenkurse in ihrer Freizeit belegt. Der Umgang damit ist spielerisch und die Kinder lieben es, sich körperlich und gebärdend auszudrücken, wie es in der Bewerbung der Einrichtung um den Hessischen Inklusionspreis heißt. Zudem unterstütze das Gebärden die Sprachbildung. Einmal die Woche kommt eine gehörlose Gebärdensprachdozentin ins Haus, um gemeinsam zu üben. Barrieren zwischen hörgeschädigten und hörenden Menschen sollen so abgebaut und die Kommunikation gefördert werden. Die Kinder haben gemeinsam mit der Dozentin ein Gebärdenbuch mit Spielen und Liedern aus dem Kitaalltag erstellt. Es ist ein buntes, sehr lebendiges Mitmachbuch von Kindern für Kinder entstanden, in dem auf Fotos Gebärden gezeigt und beschrieben werden - von „Stop“ und „Weiter“ bis „Happy Birthday to you“. Die „Kita Grüne Soße“ liegt im Frankfurter Süden, besteht seit zehn Jahren. Träger ist der „Sozialpädagogische Verein zur familienergänzenden Erziehung e.V. (SozPäd)“, Platz gibt es dort für insgesamt 42 Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren. pgh

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